Samstag, 29. Oktober 2016

Meine Erlebnisse nach der Veröffentlichung des Romanes - Kapitel 1 - 5 (Last Update: 13. Oktober 2018)

Hier geht es zum Vorgängerwerk dieses Textes:

Christoph Altrogge


Der Männerrechtler


Eine Mischung aus Roman, Blog
und Tagebuch


Schilderungen, die unmittelbar
an verschiedene Ereignisse
aus dem Tatsachenroman
"Musik im Kopf"
anknüpfen.


Gegebenenfalls empfiehlt es sich, zum besseren Verständnis zuvor die Inhaltszusammenfassung des Romanes zu lesen.

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1. Das Fest

Mit der Post hatte ich eine Einladung bekommen. Nachdem ich in der Stube das ganze Werbematerial auf dem Tisch abgelegt hatte, widmete ich mich ihr gleich als Erstes. Ich entnahm meinen alten Brieföffner, den ich zu meinem 13. Geburtstag geschenkt bekommen hatte, aus dem Stiftebecher am Rande des Stubentischs und begann damit den Briefumschlag aufzuritzen. Hernach entnahm ich das standardmäßig gedrittelt gefaltete Blatt.
"Gesellschaft der Freunde der Zeitgeschichte", las ich da.
Kenne ich nicht, dachte ich. Klingelt bei mir spontan nichts.
Einen Ballabend veranstalteten die im Palais Soundso in der Wiener Innenstadt.
Wahrscheinlich hatte ich auf irgendeinem Pressetermin mal in einer Liste meine Adresse hinterlassen, sodass ich in deren Verteiler gelandet war, vermutete ich.
Auch wenn ich tatsächlich keine blasse Ahnung hatte, wie ich zu der Ehre kam, beschloss ich, die Einladung anzunehmen.

Die Nacht war bereits über der Stadt hereingebrochen, als ich in der Straße in der Wiener Innenstadt angekommen war, in der sich das bewusste Palais befand. Es war mir bisher nur aus der Kunstgeschichte und aus diversen Reiseführern ein Begriff gewesen.
Das pompöse barocke Treppenhaus war an unzähligen Stellen von Lampen und Laternen erleuchtet. Die leistungsstarken Glühlampen darin steigerten den Glanz der Architektur ins fast Unermessliche.
Vor mir lag die für Bauten jener Epoche typische, lange hohe Treppe mit den extrem flachen Stufen. Roter Teppich mit einer speziellen Musterleiste links und rechts war darauf gespannt.
Rechts ein Geländer aus barocker Steinschnitzerei, links eines in Form eines Seils in weinrotem Samt, wie man es aus vielen Schlössern kannte.
Das Spektakulärste von allem jedoch das riesige, gläserne Deckengemälde, welches sich über das gesamte Treppenhaus erstreckte.
Ich bedauerte ein wenig, mich nicht in Ruhe all diesen Details widmen zu können, da im Moment das Vordringlichste war, diese rätselhafte Situation aufzulösen.
Das Treppenhaus war vollkommen menschenleer. Einzig am oberen Ende der langen Treppe vernahm ich aus einem Saal Musik und Gespräche.
Je weiter ich nach oben stieg, umso deutlich erkannte ich, dass sich am oberen Ende der Treppe in der Wand eine Nische mit einer altgriechischen Skulptur befand.
Gleich links daneben war der Eingang zu dem Saal, aus dem die Geräuschkulisse drang.
Als ich den Saal betrat, dachte ich, ich hätte den Verstand verloren!!! Von allem Verrückten, was ich in den letzten Jahren erlebt hatte, war das die unschlagbare Krönung!!!
Die Gäste der Veranstaltung waren allesamt Personen, die irgendwann einmal in meinem Leben eine Rolle gespielt hatten. Das Verrückteste daran: Sie schienen seit dem Tag, an dem ich sie zum letzten Mal sah, überhaupt nicht gealtert zu sein! Und viele von ihnen waren doch schon gar nicht mehr am Leben!
Ich war vollkommen paralysiert, während ich zwischen den runden, gedeckten Ballsaaltischen hindurch schritt. Ich war überhaupt nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu denken.
Bestimmt an die zwei-, dreihundert Personen befanden sich in dem Saal.
Tony saß da, mein alter Freund aus Kastanienberg.
Simone, meine ungefähr 25-jährige Spielkameradin mit acht, neun Jahren, die sich mir gegenüber stets seeeeehr offenherzig gab.
Am Nachbartisch: die sächselnde Gartenzwerg-Ausgabe des "Kettenrauchers" aus "Akte X", der Doktor Mabuse für ostdeutsche Hartz IV-Empfänger – Hartmut Gornwald.
Die rothaarige Ilka, mit der ich zu Beginn der Siebten Klasse ein paar Mal ausgegangen bin.
Katharina.
Meine damalige Vorgesetzte während meines Ferienjobs in Hessen, die mich von einer Betriebsfeier mit zu sich nach Hause genommen hatte und sich dort von mir sturzbetrunken übers Knie legen ließ. Aufgrund meiner speziellen Veranlagung fiel für mich dieser Abend unter die Rubrik Das-erste-Mal-Sex-mit-einer-Frau.
Carmen, so wie Tony im Alter von 16.
Und schließlich: Magda! Sie winkte mir von weitem zu, als sie mich sah.
Vorn auf der Tanzfläche spielte ein Orchester gerade den Gold-und-Silber-Walzer von Franz Lehár.
Mehr automatisiert als bewusst nahm ich an einem leeren Tisch gleich am Rande der Tanzfläche Platz.
Ich war nach wie vor von diesen Erlebnissen geistig wie ausgeschaltet, so dachte ich nicht daran, auch nur einen der Gäste persönlich zu begrüßen.

Nach ungefähr einer halben Stunde erschien ein Kellner im roten Frack bei mir, nachdem mir ein Kollege von ihm schon kurz nach meinem Eintreffen eine Flasche Sekt hingestellt hatte. Er sprach mich an: "Der Gastgeber des heutigen Abends würde sie gern persönlich sprechen."
"Und wer ist das?"
Er ging nicht auf mein Anliegen ein, sondern sagte nur: "Darf ich Sie bitten, mir zu folgen?"
Auch wieder halb automatisiert stand ich auf. Unter normalen Umständen wäre ich wohl vor Neugier fast geplatzt, wer denn der Organisator eines so bizarren Events sei, das jenseits aller Vorstellungskraft liegt. Doch nach den Ereignissen des heutigen Abends konnte mich fast nichts mehr überraschen, und so folgte ich dem Livrierten ziemlich emotionslos.
Eine im Vergleich zu der anderen eher unspektakuläre Treppe folgte hinter einer Tür am Rande des Saals. Sie schien mir erst bei Umbauarbeiten in noch relativ junger Vergangenheit eingefügt worden zu sein.
Bald darauf hatten wir ihr Ende erreicht. Der Kellner öffnete die Tür zu einem Büro. "Bitte!" Er machte eine einladende Handbewegung.
Nun schlug mein Herz doch bis zum Halse angesichts der Tatsache, gleich denjenigen kennenzulernen, der all dies inszeniert hatte.
Mit einem Schritt, der mir riesengroß vorkam, trat ich in den Raum hinein.
Allerlei technische Geräte befanden sich in ihm. Fast ein wenig wie der Vorführraum eines Kinos erschien er mir.
Erst auf den zweiten Blick bemerkte ich den Mann, der, mir den Rücken zugewandt, auf einem Bürodrehsessel vor mir saß.
Das war doch ……………………. der Hofrat!!!!!!!!!!!
Jedes Mal, wenn ich an diesem Abend gedacht hatte, die Groteske der Vorkommnisse ließe keine Steigerungsmöglichkeit mehr zu, wurde ich eines Besseren belehrt!
Er drehte sich zu mir herum. "Guten Abend!" begrüßte er mich völlig normal. "Schön, dass Sie sich Zeit genommen haben!"
"SIE? Sie stecken hinter all dem?"
"Setzen Sie sich!"
Immer noch automatisiert folgte ich der Aufforderung. In meiner unmittelbaren Nähe befand sich ein büroüblicher Drehsessel.
Der Hofrat sah mich von seinem Sessel aus an, schwieg eine Sekunde und schien dann einen längeren Monolog zu beginnen: "Sie werden sich fragen, was das alles zu bedeuten hat?"
"Könnte man so ausdrücken", kam es aus mir unfreiwillig sarkastisch. Immer noch war mein ganzes Handeln aufgrund der über jedes menschliche Verständnis hinausgehenden Situation vollkommen ferngelenkt.
"Nun, wir sind heute Abend zusammengekommen, um die Premiere der Verfilmung Ihres Buches zu feiern!"
Die Aussage machte mich vollkommen sprachlos.
Auch der Wikipedia-Eintrag sei schon fertig, teilte er mir in der Folge mit. Auf seinem Bürosessel sitzend, stieß er sich mit den Füßen ab und rollte zur Seite. Danach machte er mit den Händen eine einladende Bewegung in Richtung eines PC's.
Ich stand auf, zog den Drehsessel daneben an mich heran und setzte mich vor den Bildschirm.
Tatsächlich. Ich sah es mit meinen eigenen Augen vor mir:

Musik im Kopf (2016)

Musik im Kopf ist ein Fernsehmehrteiler aus dem Jahr 2016. Die Handlung basiert auf dem gleichnamigen Roman des moldawisch-deutschen Schriftstellers Christoph Altrogge von 2016.
·         Inhaltsverzeichnis

1 Handlung
·         2 Figuren (Auswahl)
·         3 Hintergrund
·         4 Erstausstrahlung in Österreich
·         5 Erstausstrahlung in Deutschland
·         6 Auszeichnungen
·         7 Kritiken
·         8 Weblinks
·         9 Einzelnachweise

Figuren (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Christoph Altrogge
Mittelpunkt der Handlung ist der aus der Nähe von Weimar nach Österreich ausgewanderte Journalist, Dritte-Welt-Laden-Verkäufer und spätere Computertrainer und Männerrechtsaktivist Christoph Altrogge.
In der zweiten Episode erfährt der Zuschauer, dass er ursprünglich aus Moldawien stammt und bei Geburt Erik Lehnsfeld hieß.
Altrogge ist Autist, irrationales und emotionales Verhalten von Frauen stellt für ihn daher eine besondere Herausforderung im Alltag dar.
"Jadviga"
Junge, attraktive tschechische Auftragsprostituierte, die als vermeintliches Fotomodell auf Christoph angesetzt wurde, um ihn in eine Sex-Falle zu locken. Urheber der Tat waren tschechische Unterweltkreise, deren seriöse Fassade nach außen hin unter anderem in einer Modellagentur bestand. Für Christoph wurde dies ein prägendes, zentrales Ereignis bei seiner Bewusstseinsbildung zum Männerrechtler.
Tony Raskovics
Christophs bester Freund aus Kindertagen. Nach der politischen Wende in der DDR kam er mit den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr zurecht und wurde kriminell.
Der "Sachsensumpf"
Das von Journalisten kreierte Wort beschreibt eine in der Zeit nach der Wende in der damaligen DDR entstandene Mafia aus ehemaligen Stasi-Angehörigen, Politikern, Richtern und Staatsanwälten mit Hauptoperationsgebiet Leipzig, die sich vor allem mit dubiosen Immobiliengeschäften und Zwangsprostitution minderjähriger Mädchen beschäftigt.
Ausgelöst durch Ereignisse, die zunächst sein ganz privates Umfeld betrafen, geriet der Autor im Laufe der Zeit mehr und mehr in den Strudel dieser Ereignisse hinein.
Hartmut Gornwald
Ehemals führender Offizier des ostdeutschen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), zuletzt für den Bereich Ost-West-Handel verantwortlich. Nach der politischen Wende in der DDR hielt er sich mit verschiedenen kriminellen Delikten wie Drogenhandel oder Prostitution Minderjähriger über Wasser. Sein Charakter befähigte ihn, sich jedem System sofort anzupassen und es zu seinem Vorteil zu nutzen. Durch seine Skrupellosigkeit stieg er innerhalb kürzester Zeit zu einer der führenden Figuren im so genannten "Sachsensumpf" auf.
Jens Baumeister
Ein Mitschüler Christoph Altrogges. Wurde nach der Wende die Rechte Hand Gornwalds, welcher ihn über die Jahre hinweg systematisch als seinen "Kronprinzen" im Sachsen-Kartell aufbaute. Durch eine zufällige Verkettung von Ereignissen hatte Christoph die beiden miteinander bekannt gemacht, ohne dass er das wollte.
Thomas Prandtner
Österreichischer Journalist und Zeitungsherausgeber. Mit ihm zusammen baute Christoph während seiner Schulzeit eine kleine Regionalzeitung auf.
Wilhelm Burgstaller, Johannes Schmalvogl und Cornelius Neubauer
Klassenkollegen von Christoph an der Handelsakademie. Spielten damals zusammen in einer Schülerband. Durch die Beziehung von Christoph zu Wilhelms jüngerer Schwester Magda wurde Wilhelm sein zukünftiger Schwager.
Anastasius "Äns" Obermayr
Schulfreund Christoph Altrogges während seiner Handelsakademie-Jahre. Sehr exzentrische Künstlerpersönlichkeit. Seine Lieblingsbeschäftigung ist das Erdichten von Science-Fiction-Geschichten, deren Stil irgendwo zwischen "Doctor Who" und "Per Anhalter durch die Galaxis" angesiedelt ist.
Sein ernsthaftes Drogenproblem führte über die Jahre hinweg immer mehr zur Zerstörung seiner ganzen Persönlichkeit.
Magdalena Wilhelmine Theresa Burgstaller
Genannt Magda. Tochter einer niederösterreichischen Weinbauernfamilie mit Jahrhunderte langer Tradition. Freundin Christoph Altrogges. Zu Anfang verstehen sich die beiden nicht. Sie fürchtet sich vor seiner undurchsichtigen Art. Er hält sie für eine arrogante Großbauerntochter. Erst auf einer Spanienwallfahrt kommen sie sich näher, sie wird seine große Liebe.
In der dritten Episode nimmt sich nach einer missglückten Psychotherapie, zu der sie ihre weibliche Verwandtschaft zwang, nachdem sie in Wien Opfer einer Straftat wurde, das Leben.
Angelika Strobel
Die Antagonistin der Serie. Sie ist äußerst despotisch und herrschsüchtig. Die wohlhabende und offenkundig psychisch instabile Frau eines leitenden österreichischen Beamten half Christoph ein paar Mal aus finanziellen Problemen heraus. Diesen Umstand nutzte sie weidlich aus, Christoph auf eine extremst rücksichtslose Weise über seine innersten Gefühlslagen auszuhorchen. Christoph trieb das regelmäßig zu Ausrufen wie: "Ich bringe sie um. Ich bringe dieses Weibsstück mit meinen eigenen Händen um!" Gern verglich Christoph auch ihre Art mit der der dominanten Mutter des bekannten Spielfilm-Serienmörders Norman Bates. Oftmals kündigte er auch im Rahmen von schwarzhumorigen Scherzen an, dass er sich ihrem Äußeren entsprechend verkleiden und Frauen, die sich genauso verhalten wie sie, unter der Dusche erstechen werde.
Carmen Hensolt
Freundin Christoph Altrogges aus Kindertagen. Nach der Wende wurde sie eines der minderjährigen Zwangsprostitutionsopfer des Sachsen-Kartells.
Zum Verhängnis wurde ihr, als sie nach ihrer Befreiung aus der Prostitution in den Einfluss einer stark feministisch orientierten Psychologin geriet. Ihr berufliches Ziel, misshandelten Frauen zu helfen, war bei ihr schon fast zu einer Art religiöser Besessenheit ausgewachsen; für ihr pathologisches feministisches Helfersyndrom war sie bereit, über Leichen zu gehen. Daher manipulierte diese Ärztin Carmens gesamtes familiäres Umfeld, auf sie einzuwirken, dass sie sich in stationäre psychiatrische Behandlung begebe. Unter diesem massiven Druck gab Carmen schließlich nach.
Während des nun folgenden stationären Aufenthaltes wurde ihr Körper vollkommen durch Psychopharmaka zerstört, sodass sie im Alter von nur 27 Jahren an den Spätfolgen verstarb.
Lisa Mönkemann
Christoph lernt das gleichaltrige zehnjährige Mädchen aus Gelsenkirchen im Ruhrgebiet während eines Sommerurlaubes mit seiner Mutter an der Ostsee im Jahr 1986 kennen. Es befindet sich ebenfalls mit seiner Familie dort; Grund ist eine geschäftlich veranlasste Reise des Vaters, welcher im Ost-West-Handel tätig ist.
25 Jahre später treffen sich beide per Zufall in Paris wieder. Lisa ist inzwischen an AIDS erkrankt.
Es begann mit ihrer Mutter. Sie sei ein Leben lang auf der Suche "nach 'sich selbst', nach ihrer 'Mitte', nach ihrer 'Identität'", gewesen. Diese Suche habe sie in den Achtzigern zunächst von einer Frauengruppe, damals gerade in Mode gekommen, zur Nächsten geführt. Sie besuchte unzählige Vorträge über "neues Frausein". Irgendwann sei sie dabei dann in die Fänge einer obskuren Psycho-Sekte geraten. Und ihre Tochter gleich mit. Von ihrem Mann lebte sie zu diesem Zeitpunkt schon längst getrennt.
Die Sekte unterhielt ein Grundstück im Ausland, weit ab vom Zugriff der deutschen Justiz.
Als Lisa 17 war, wurde sie dort von einem ranghöheren Sektenmitglied zum Geschlechtsverkehr verführt. Dieses Sektenmitglied war HIV-positiv. Und infizierte Lisa.
Ihre Mutter hatte das Verhältnis gebilligt. Mehr noch, sie war dem Guru dieser Sekte zu dem Zeitpunkt in einem Ausmaß hörig, dass sie das als eine Ehre und Auszeichnung betrachtete.
Lisa Mönkemann verstarb zwei Jahre nach dem Treffen.
"Der Hofrat"
Ein älterer österreichischer Bundesbeamter in hoher Stellung. Er tritt in der vierten und letzten Episode in Erscheinung, nachdem Christoph nach Wien gegangen war. Durch sein Eingreifen konnten juristische Folgen abgewendet werden, als gegen Christoph verschiedene Falschbeschuldigungen aus dem Bereich des Sexualstrafrechtes vorgebracht wurden.
Seine Identität und seine Beweggründe, Christoph zu helfen, bleiben im Dunkeln. In Unkenntnis seines tatsächlichen Namens nannte Christoph ihn für sich selbst "den Hofrat", da ihn seine Erscheinung und sein Auftreten an verschiedene Hofratscharaktere in alten österreichischen Spielfilmen erinnerten. Durch verschiedene Indizien entsteht der Eindruck, dass er Christoph möglicherweise schon eine lange Zeit kannte, bevor er mit ihm in Kontakt trat. Vermutlich stammt er aus Wien oder hat zumindest einen sehr großen Teil seines Lebens dort verbracht. Sein Markenzeichen sind hohe Insiderkenntnisse bei vergangenen und aktuellen Ost-West-Entwicklungen. Trotz seiner einflussreichen Stellung scheint er permanent negative Konsequenzen für seine Person zu fürchten, wenn er ganz offen für Christoph Partei ergreift.

"Sie haben sogar einen Cameo-Auftritt", teilte mir der Hofrat mit sichtlichem Stolz mit. "Sie spielen den Fahrkartenschalter-Angestellten, der Ihnen und Ihrer Schulfreundin mitgeteilt hat, dass wegen der ausreisenden DDR-Flüchtlinge keine Züge mehr von dem Bahnhof abfahren."
Ja ja, ich erinnerte mich gut. Damals die Demonstration in Sömmerda.
Nur eine Kleinigkeit irritierte mich: Wieso konnte ich mich an die Dreharbeiten nicht erinnern?
Unten im Saal änderte sich plötzlich etwas. Die Musik auf der Bühne verstummte.
Stattdessen fuhr wie im Kino ein Vorhang zur Seite.
"Die Vorstellung beginnt", sagte der Hofrat. "Wir können hier über den Monitor zuschauen."
Parallel zum Saal setzte auch auf dem Computerbildschirm der Beginn des Filmes ein.
Die Kamera hielt auf unser altes, rot gestrichenes Haus in Deutschland. Aus dem Off sang Katja Ebstein "Ich bin ein Berliner Kind". Das Lied wurde akustisch teilweise überblendet von der Stimme eines männlichen Off-Sprechers: "Ostdeutschland, Sommer 1981." Ich glaubte, es war der deutsche Off-Sprecher der "Dornenvögel".
Ich erinnere mich, dachte ich. Das Lied wurde damals im Radio oft gespielt.
"Wieso können Sie das alles? Wieso sind Sie so mächtig?" fragte ich den Hofrat.
Ich hatte den letzten Satz kaum ausgesprochen, als sich plötzlich alles ringsherum veränderte.
Wieder dachte ich, mich trifft der Schlag. Ich stand mit einem Male über den Wolken!
Ich befand mich hoch oben über den Wolken! Ringsum nichts als Wolken!
Der optischen Erscheinung nach schien der Wind sie vor sich herzutreiben. Ich verspürte jedoch keinerlei Kälte.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich nicht irgendwie schwebte, sondern auf festem Untergrund zu stehen schien.
"Ich bin nur deshalb so mächtig, weil du das so wolltest", erklärte er mir vollkommen ruhig.
Erst jetzt ging er auf die Frage ein, die ich ihm vor dem abrupten Szenenwechsel gestellt hatte. "Du hast aus dem Schlamassel, in den du dich hineinmanövriert hast, keinen Ausweg mehr gesehen. Und darum hast mich erschaffen. Eine übermächtige Vaterfigur, die für dich alles wieder ins Lot bringt."
Inzwischen hatte ich mich wieder soweit einigermaßen gefasst, dass ich ihm zumindest eine Frage stellen konnte: "Sind Sie real?"
"Du kannst dich mir vorstellen. Also bin ich real." Er machte eine kurze Pause. "Ich bin genauso real wie diese skurrilen Wesen, von denen du als Kind nachts immer geträumt hast: die alten Tanten, die alten Onkels, die Uhus, der EKG, die Prinzessin mit den Augen, Sina, ..." Während er den jeweiligen Namen des Traumdämon aussprach, nahm er für eine Sekunde dessen Gestalt an. Am bizarrsten sah es aus, als er bei der Erwähnung der Uhus eine DDR-Schneiderpuppe im Design der Sechziger Jahre war. Als Kind waren diese Schneiderpuppen sehr oft in meinen Träumen erschienen, über Jahre hinweg. Und sie nannten sich selbst "die Uhus", obwohl ihr Äußeres rein gar nichts mit Uhus zu tun hatte. Ob sie irgendwelche individuellen Namen hatten, erfuhr ich nie, ich lernte sie immer nur als "die Uhus" kennen.
Zum Schluss war er wieder er selbst. "Haben diese Wesen in deinen Träumen etwa nicht vollkommen selbstständig gehandelt, so als wären sie tatsächlich am Leben? Und so kann auch ich meine eigenen Entscheidungen treffen!"
"Aber diese Dinger waren … nur geträumt … Phantasie!"
"Ab einer gewissen Tiefe des Daseins gibt es zwischen Phantasie und Materie keinen Unterschied mehr! Und von dort komme ich her!"

Ende der Geschichte. Soweit die allegorische Vision aus meiner Feder beziehungsweise Tastatur.

Obwohl: Sooft, wie wir Männerrechtler schon als Nazis stigmatisiert worden sind, sollte ich ein Buch wohl eher mit den Worten beginnen: "Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, daß das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Moldawien am Dnister zuwies."


2. 2016/2017

Das erste Kapitel war ausgedacht. Phantasie mit Schneegestöber. – Obwohl ich beim "Hofrat" tatsächlich schon manchmal leise Zweifel hatte, wie real er war, so geheimnisvoll wie er auftauchte und wieder verschwand. – Aber was ich in der Zeit nach der Veröffentlichung meines Buches in der Wirklichkeit alles erlebte, war kein bisschen weniger verrückt. Eher im Gegenteil – DIESE DINGE waren so verrückt, dass ich niemals im Leben soviel Phantasie besitzen werde, sie mir auszudenken. Es war das, was ich im wesentlich kleineren Maßstab auch früher schon oft als Journalist erlebt hatte. Wenn mir ein Informant eine Geschichte auftischte, die ZU bescheuert klang, um wahr zu sein, dann war das meistens ein starkes Indiz dafür, dass da etwas dran war.

Doch zunächst deutete noch nichts darauf hin. Nach der Veröffentlichung des Romanes schien es, als würde bei mir jetzt langsam ein etwas ruhigeres Fahrwasser eintreten.

Jedes Mal, wenn ich die Wohnung verließ, fiel mein Blick auf die Ordner im Regal, in denen meine alten "Bravo"-Hefte, die ich mit 14, 15, 16, 17 gelesen hatte, in Klarsichthüllen steckten. Gleich neben ihnen lagen meine alten "Bravo Star Kalender" aus derselben Zeit.
Inzwischen konnte ich ganz normal sentimental an meine Jugendzeit zurückdenken. Jetzt, wo Gott sei Dank keine Frauen mehr da waren, die ständig in meiner Vergangenheit herumbohrten, jeden Kieselstein umdrehten, ob da irgendein tief sitzendes psychisches Trauma drunter lag, an dem man sich bis zum multiplen Orgasmus aufgeilen konnte.

Zuhause hatte ich im Internet einen Selbsttest auf Asperger-Syndrom entdeckt. Aus Neugier spielte ich ihn mal durch.
42 von insgesamt 50 möglichen Punkten. Die 50 waren dann wahrscheinlich schon der Pflegefall, der den ganzen Tag über betreut werden musste.
Vor lauter Begeisterung begann ich vor dem Bildschirm zu singen: "Ich bin Asperger, Schaaaaalalalala, ich bin Asperger, Schaaaaaaa-lalalalalala …"

Lisa Mönkemann hatte den größten Teil ihres Erbes an ein Heim für ehemalige Prostituierte in Indien, die vielfach mit HIV infiziert waren, hinterlassen. Mir hatte sie in ihrem Testament die Aufgabe übertragen, die letztendliche Entscheidung für ein konkretes Projekt vor Ort zu treffen, wofür sie mir auch einen gewissen Geldbetrag zukommen ließ. Diesen verwendete ich hauptsächlich für die Reiseunkosten.
Richtig "verfressen" war die Fahrt im Taxi über die Boulevardmeile der Stadt. Zu beiden Seiten des Wagens UNMASSEN von Inderinnen mit langen, schwarzen Zöpfen und in knallbunten Saris! Wenn das hier eine Filmszene wäre, dachte ich nach langer Zeit wieder einmal, würde als Background-Melodie hervorragend Ryan Paris' "Dolce Vita" passen.
Die Fahrt erinnerte mich auch an eine tatsächliche Filmszene, und zwar aus dem ersten Teil der "Beverly Hills Cop"-Filme. Daran, wie Axel Foley im offenen Wagen durch ein Nobelviertel der kalifornischen Metropole fuhr und ständig links und rechts einen langen Hals nach den Ortsschönheiten machte.
Zwischen drei vorgegebenen Objekten – irgendwelche NGO's hatten da schon vor Ort Recherchevorarbeiten geleistet – konnte ich mich bezüglich der Spendenscheckübergabe entscheiden.
Ich war der Ansicht, eine gute Wahl getroffen zu haben, nachdem ich mir alles haarklein erklären ließ. Vor allem für medizinische Behandlungen der Frauen benötige man Geld – viel Geld. Verdammt viel Geld. Außerdem plane man, für die Gemeinschaftsküche eine ordentliche Anrichte mit genügend Platz anzuschaffen. Derzeit lebe man aus verschiedensten geschenkten Kleinstmöbeln, was im Alltag oftmals sehr mühselig und zeitaufwändig sei.
Oberkrass, was mir eine der Frauen berichtete: "Meine Eltern wollten mich verbrennen, als sie von meiner Krankheit erfuhren!"
Sie erzählte das auf Hindi, die Heimleiterin übersetzte es mir auf Englisch.
Ich hatte mich auch diskret erkundigt, was sonst im Alltag so gebraucht wird. Von meinem Teil des Erbes kaufte ich dann ein paar Kleinigkeiten wie Geschirr, Bettzeug oder Kopierpapiervorräte fürs Büro. Für die paar Kinder – drei oder vier Mädchen im Kindergarten-/Grundschulalter hatte ich bei meiner Führung durch das Haus gezählt – etliche Packungen Farbstifte. Das indische Preisniveau bewegte sich ja im Trinkgeldbereich, was für mich eine sehr angenehme Überraschung war. Zumindest in dem Geschäftsviertel, in dem ich gelandet war, war alles extremst billig. Bei der Scheckübergabe ließ ich die Sachen mit einem Kleinbus von einem lokalen Taxiunternehmen, wo ich sie auch zwischenlagerte, ankarren. Und schließlich konnte ich der Leiterin der Einrichtung sogar ein paar Tricks im Word und Excel beibringen. Sie hatte das ziemlich schnell drauf, was ich ihr auf Englisch erklärte, auch wenn ich laut Meinung der Bildungsbehörden in meiner deutschen Heimatregion nur ein dummer, kleiner Hauptschüler war, dessen berufliche und intellektuelle Potenziale sich maximal auf eine Karriere als Latrinenputzer oder so etwas in der Richtung erstreckten. Dazu kam noch, dass ihr Hindi-Englisch zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig war, in punkto Hörverständnis. Na ja, wahrscheinlich haben hier Krishna oder Wischnu als unsichtbare Helfer im Hintergrund gewirkt. An mir als geistig unbelichtetem Hauptschul-Knallkopf kann es ja nicht gelegen haben, ich bin ja nur ein ganz, ganz, ganz dummes Arschloch, wie mir diese hohen Herrschaften Thüringer Landesbeamte oft genug zu verstehen gegeben haben.
Eine der Frauen mit besonders intensiv schokoladenbrauner Hautfarbe, die mir schon beim ersten Mal auffiel, war die ganze Zeit über feuerrot, als ich wiederkam … Von ihrem Naturzustand in Zartbitterschokolade war nichts mehr zu erkennen! Die glühte die ganze Zeit!
Ich hatte mich früher manchmal gefragt: Wie sieht das eigentlich bei Farbigen aus, wenn die rot werden? Nun hatte ich es einmal live erlebt.
Von der Übergabe wurde auch ein Video gedreht. Wieder in Österreich, unterlegte ich es noch musikalisch mit der Titelmelodie von "Forrest Gump", bevor ich es auf DVD brannte.

Mein Indienaufenthalt hatte eine Gegenveranstaltung in Österreich zur Folge. Ein paar der Frauen dort unternahmen eine Vortragsreise durch Europa, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Jene westliche NGO, die das Heim vor Ort betreute und an die sich auch Lisa bezüglich ihres Erbes gewandt hatte, trat an mich heran mit der Frage, ob ich einen Teil der Betreuung übernehme. Offenbar war man ganz froh, in mir schon einen Ansprechpartner zu haben. Ich sagte zu.
Die Frau, um die ich mich kümmern sollte, war in Bruck an der Leitha irgendwo privat untergebracht. Zusammen mit einem Fahrer fuhren wir Richtung Wolfsthal, das man fast schon als Vorort von Bratislava auf österreichischer Seite bezeichnen konnte. Ich zeigte ihr dort, wo einstmals der Eiserne Vorhang die Welt in zwei Hälften teilte.
Es war ein sehr schöner, stiller Oktobernachmittag. Wir gingen einen alleeartigen Weg irgendwo in Grenznähe entlang. Die Sonne schien durch die Bäume. Wir waren allein. Die ganze Strecke gehörte uns. Vor mir ging Ambar mit ihrer achtjährigen Tochter Joynab, die sie auf die Reise mitgenommen hatte. Irgendwo aus einem Auto erklang währenddessen "Gymnopé-die Nr. 1" von Erik Satie

Die Herz-Jesu-Sühnekirche im benachbarten 17. Wiener Gemeindebezirk hielt jedes Jahr Anfang Mai ihren Damian-Flohmarkt ab. Ich fuhr mit der Straßenbahn hin.
Als ich die letzten Schritte zu Fuß beim Dr.-Josef-Resch-Platz ankam, lag sie bereits quer die Straße hinweg. Es handelte sich um ein sehr imposantes, schneeweißes Gebäude im Stil der Neoromanik. Errichtet zu Beginn der 1930-er Jahre, wie ich beim Auskundschaften des Weges im Internet gelesen hatte. Spontan erinnerte sie mich auch wenig an verschiedene Kirchengebäude, die ich in den Achtziger Jahren in amerikanischen Fernsehserien gesehen hatte. Durchaus möglich, dass die Baustile vom gleichen Zeitgeschmack beeinflusst waren.
Man musste dann noch um die Kirche herumgehen, um zum direkt angebauten Pfarrheim zu gelangen, wo der Flohmarkt stattfand.
Die Gemeindezentrumsräume mit ihrer typischen Ausstattung begannen im Kellergeschoss. Dort war auch das Buffet mit Kuchen und belegten Broten aufgebaut worden. Vom Flohmarkt befanden sich hier Kisten mit Spielzeug und Schallplatten.
Ich beschloss, erst einmal hier unten Kaffee und Kuchen einzunehmen.
Nach ungefähr 20 Minuten war ich fertig. Ich stand vom Tisch auf und knüllte Pappteller und Serviette zusammen, um beim Rausgehen alles in den Papierkorb am Eingang zu werfen.
Schon bei der Ankunft war mir ein handgemalter Papierpfeil aufgefallen, der in Richtung Treppe hinauf zeigte und mitteilte, dass sich dort oben der Flohmarkt fortsetzte.
Oben zog sich bereits durch den Flur an der linken Wand eine lange Reihe Bücherkisten entlang.
In der letzten Kiste vor der Tür zu einem Raum stach mir spontan ein Buch ins Auge, dessen Cover-Design ich aus DDR-Zeiten kannte. Ich nahm es zur Hand. Und tatsächlich. Es war das "Taschenlehrbuch Französisch 1" aus dem VEB Verlag Enzyklopädie Leipzig.
Auch wenn ich in absehbarer Zeit nicht vorhatte, Französisch zu lernen, wurde es zu meinem ersten Kauf des Tages, weil es in meine DDR-Bücher-Sammlung musste.
Kurz darauf hatte ich mehrere Plastikkisten mit Büchern zu verschiedensten Schlagworten abgearbeitet und war bei der Belletristik angelangt. Da traf es mich abermals wie ein Blitz. Schon wieder ein Buch, das nach DDR-Verlag aussah. Wieder lag ich richtig.
Wenn man damit aufgewachsen war, dann erkannte man diese Bücher anhand der grafischen Gestaltung des Einbandes aus tausenden anderen heraus. Ich konnte nicht einmal in Worte fassen, worin genau sie sich unterschieden. Das hatte man einfach intuitiv im Blut.
Es folgte ein drittes, ein viertes, ein fünftes. Ich kam mir bald vor wie in einem Märchenfilm, wo jemand im Wald auf dem Boden plötzlich ein Goldstück entdeckte, und kurz drauf unzählige mehr.

Nach ungefähr eineinhalb Stunden Stöberns hatte ich zwei Plastiktüten voll DDR-Bücher zusammen:

Halldór Laxness: "Die Litanei von den Gottesgaben". Aufbau-Verlag, Weimar und Berlin.

Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode". Eulenspiegel-Verlag, Berlin.

Ingerose Paust: "Willkommen. Heitere und besinnliche Stunden mit Gästen". Evangelische Verlagsanstalt Berlin.

Helga Bemmann: "Humor auf Taille. ERICH KÄSTNER – Leben und Werk". Verlag der Nation Berlin.

Eckart Graf: "Taschenlehrbuch Französisch 1". VEB Verlag Enzyklopädie, Leipzig.

Schendel, Giersberg: "Potsdamer Veduten. Stadt- und Landschaftsansichten vom 17. bis 20. Jahrhundert".

Oskar Maria Graf: "Das bayrische Dekameron". Aufbau-Verlag, bb-Reihe, Band 175, Weimar und Berlin.

Alexander Drushinin: "Paulinchen Sachs". Aufbau-Verlag, bb-Reihe, Band 416, Weimar und Berlin.

Lukian: "Lucius oder Der magische Esel". Aufbau-Verlag, bb-Reihe, Band 419, Weimar und Berlin.

"Der Fuchs und der Rabe. Antike Fabeln". Aufbau-Verlag, bb-Reihe, Band 461, Weimar und Berlin.

Maxie Wander: "Tagebücher und Briefe". Aufbau-Verlag, bb-Reihe, Band 471, Weimar und Berlin.

Carl Wilhelm Salice Contessa: "Magister Rößlein". Aufbau-Verlag, bb-Reihe, Band 472, Weimar und Berlin.

Plutarch: "Alexander Cäsar". Aufbau-Verlag, bb-Reihe, Band 487, Weimar und Berlin.

Franz Werfel: "Der Abituriententag". Aufbau-Verlag, bb-Reihe, Band 498, Weimar und Berlin.

Egon Erwin Kisch: "Marktplatz der Sensationen". Aufbau-Verlag, Taschenbibliothek der Weltliteratur, Weimar und Berlin.

Arthur Schnitzler: "Spiel im Morgengrauen". Aufbau-Verlag, Taschenbibliothek der Weltliteratur, Weimar und Berlin.

Gustav Schwab: "Prometheus und andere griechische Sagen". Der Kinderbuchverlag Berlin, Robinsons billige Bücher, Band 150.

Yasunari Kawabata: "Kyoto". Reclam, Band 579, Leipzig.

Eike Middell: "Hermann Hesse". Reclam Biografien, Band 169, Leipzig.

"Geschichten aus Tausendundeinernacht". Reclam Universal Bibliothek, Band 89, Leipzig.

Thomas Mann: "Mario und der Zauberer". Reclam Universal Bibliothek, Band 148, Leipzig.

Karel Čapek: "Die blaue Chrysantheme". Reclam Universal Bibliothek, Band 244, Leipzig.

Martialis: "Epigramme". Reclam Universal Bibliothek, Band 298, Leipzig.

Paul Verlaine: "Gedichte". Reclam Universal Bibliothek, Band 368, Leipzig.

Laurence Sterne: "Empfindsame Reise durch Frankreich und Italien/Das Tagebuch für Eliza". Reclam Universal Bibliothek, Band 728, Leipzig.

Nagib Machfūs: "Die Moschee in der Gasse". Reclam Universal Bibliothek, Band 746, Leipzig.

Arthur Schnitzler: "Reigen". Reclam Universal Bibliothek, Band 804, Leipzig.

Gabriel Garcia Marquez: "Die Geschichte eines Schiffbrüchigen". Reclam Universal Bibliothek, Band 852, Leipzig.

Henry de Montherlant: "Die Junggesellen". Reclam Universal Bibliothek, Band 876, Leipzig.

Platon: "Das Gastmahl oder Von der Liebe". Reclam Universal Bibliothek, Band 927, Leipzig.

Vergil: "Aeneis". Reclam Universal Bibliothek, Band 929, Leipzig.

Theodor Fontane: "Schach von Wuthenow". Verlag Neues Leben, "Kompass"-Reihe, Band 246, Berlin.

Bei Thalia in der Mariahilferstraße teilten sie Gratisbücher aus. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass es sich um einen Sammelband mit Geschichten des britischen Kriminalschriftstellers Roald Dahl handelte. Den lese ich nicht, dachte ich, auch wenn er noch so gut ist, weil die Deutschfotze von der Hauptschule Kastanienberg so sehr für ihn geschwärmt und uns immer aus seinen Geschichten vorgelesen hat.

Am Sonnabend sahen wir nach den MDR-Nachrichten immer auf ServusTV zuerst Ferdinand Wegscheider und danach "Hoagascht".
Manchmal, wenn ich Conny Bürgler von der "Hoagascht"-Sendung sah, beschlich mich ein etwas eigenartiges Gefühl. Ungefähr so wie sie stellte ich mir Magda in dem Alter jetzt vor.

Magda. Ich war im Laufe von inzwischen 20 Jahren über die Sache einigermaßen hinweg gekommen. Aber hin und wieder trat doch mal ein Ereignis ein, welches dafür sorgte, dass es einen wieder hammerhart erwischte.
Später Nachmittag. Ich kam an einer Bushaltestelle im 7. Bezirk vorbei. Da ich es nicht eilig hatte, entnahm ich eine der in Wien erscheinenden Gratiszeitungen aus dem Verteilerkübel. Gleich an Ort und Stelle begann ich sie durchzulesen.
Mit einem Male hatte ich das Gefühl, dass 100.000 Volt durch mich hindurch fuhren. Ich sah dreimal hin, um sicherzustellen, dass ich mich nicht verlesen hatte.
Wirklich. Eine Randspalte handelte von der Psychologin, die Magda auf dem Gewissen hatte.
Wenn so urplötzlich, ohne jede Vorwarnung, ein böser Geist aus deiner Vergangenheit auftauchte, zweifeltest du erst einmal an allen deinen Sinnen.
Die Kurznotiz handelte davon, wie diese Psychologin von ihrem Berufsverband mit ganz großem Bahnhof in den Ruhestand verabschiedet wurde.
DIESES VIEH?????????????????????? DIESES VIEH?????????????????????
Dieses Vieh hat die letzten 20 Jahre noch eine großartige berufliche Karriere genossen, während Magda tot unter der Erde lag????????
Ich bekam solche Atemnot, dass ich mir spontan an den obersten Hemdknopf griff, um ihn zu öffnen.
In der nahegelegenen Neubaugasse fand gerade der zweimal jährlich abgehaltene Flohmarkt statt. Doch all der Trubel, die Menschenmassen, die vielfältigen Angebote konnten mich nicht aus meiner Lethargie reißen. Nicht, wenn du so sehr von einer Riesenfaust getroffen wurdest.
Erschöpft ließ ich mich in einem Straßencafé nieder. Bestellte ein Bier. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, gaben gerade vier alte Jazzmusiker Leonard Cohens "Halleluja" zum Besten. Wirklich ablenken konnte es nicht.

Ich beschäftigte mich in der Zeit danach wieder mit der Viele-Welten-Theorie, was ich schon vor zwanzig Jahren getan hatte. Unzählig viele Wahrscheinlichkeiten, die im Leben eintreffen können – unzählig viele Universen. So wurde das Modell zumindest in der populären Science-Fiction-Literatur kolportiert. Sollte das wahr sein, dann hatte sich in einem dieser alternativen Universen Magda nicht das Leben genommen. Und in diesem Universum hatte ich auch mit ihr eine Tochter Maria – Maria hieß sie immer in meiner Phantasie –, die Magda zum Verwechseln ähnlich sah. Manchmal sah ich diese Maria vor meinem geistigen Auge so deutlich, als existierte sie wirklich an irgendeinem Ort.
Der Auslöser war, dass ich im Fernsehen eine Wiederholung von "Die Olsenbande ergibt sich nie" gesehen hatte. Am Schluss der Handlung verließen Börge, seine Frau Fie, Börges Mutter Yvonne und Benny und Kjeld von der Olsenbande das Kopenhagener Kaufhaus "Magasin du Nord", wo sie sich mit Babysachen eingedeckt hatten.
Da kam mir die Phantasie, dass als Abschluss irgendeines Filmes Magda, meine Wenigkeit, unsere Tochter Maria mit ungefähr sechs, sieben Jahren, Mutter und Äns als so eine Art verrückter Patenonkel draußen irgendwo unterwegs sind.

Äns. Kurze Zeit später stieß ich in meinem Archiv zuhause wieder mal auf eine Zeichnung, die Äns seinerzeit angefertigt hatte. Es handelte sich um eine Illustration zu einer seiner Science-Fiction-Geschichten. Das Bild zeigte das Innere der Herm-Bar auf der Penetiker-Promenade in Peniscilis-City, der Hauptstadt von Peniscilis, jenes Kaiserreiches auf dem Saturn, über das er in seinen Geschichten herrschte. Die Bar war gleichzeitig ein Musik-Club. Äns in voller Kaisermontur und ich schmissen gerade einen Gig auf der Bühne. Er stand am Mikrophon, sang und spielte auf seinem erigierten Penis Gitarre. Ich war der Drummer der außerirdischen Zwei-Mann-Combo. Über meinen Knien lag eine nackte Frau. Ich spielte auf ihrem Gesäß das Schlagzeug.
Ein Fan im Publikum rastete vor Begeisterung über die Darbietung völlig aus. Es war ein Angehöriger einer außerirdische Rasse namens Reichsherme. Sie sahen im Großen und Ganzen aus wie Männer von der Erde. Nur mit dem Unterschied, dass sie alle eine Hitlerfrisur und einen Hitlerbart trugen. Und das Wesentlichste: Statt einer Nase hatten sie ein riesiges Hakenkreuz im Gesicht, das aus vier Penen bestand. Mit diesem Hakenkreuz begann das Wesen vor lauter Ekstase über die Musik zu masturbieren.

Das wiederum ließ mich daran erinnern, wie Wilhelm zu unseren Schulzeiten mal einen Witz gerissen hatte, der von Äns hätte stammen können.
In Physik hatte Lustig uns irgendeine technische Zeichnung an die Tafel gemalt. Ein Teil davon sah aus wie zwei Besen, die zueinander standen.
Wilhelm raunte daraufhin Johannes zu, was ich auch mitbekam: "Das ist eine Wichsmaschine. Die habe ich erfunden. Warum soll so etwas nicht auch automatisch gehen?"
Hätte, wie gesagt, von Äns stammen können.

Im Fernsehen wurde jetzt wieder regelmäßig am Wochenende Schnatterinchen, die Handpuppen-Ente des seinerzeitigen DDR-Fernsehens, gesendet. Die Frau, in die ich mich mit drei Jahren als erste verliebt hatte. Ich glaube, bei der bleibe ich.

Es ist Halloween. Ich bin am Überlegen, in der Stube Bilder von den Lehrerinnen von der Hauptschule Kastanienberg und den Retzer Heimweh-Weibern aufzuhängen. Denn noch mehr Grusel gibt es nicht!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Und die dritte große Gruppe von Horrorfrauen meines Lebens habe ich hier in Wien in den zahlreichen Erwachsenenbildungsinstituten kennengelernt. Teils als Kunde, teils als Trainer, wenn ich meine Computerkurse gegeben habe. Die dort arbeitenden Studienabsolventinnen von Geschwätzwissenschaften. Fräulein Magistras, die irgend so einen Schwachsinn wie Psychologie, Soziologie, Gender Mainstreaming, Neurolinguistisches Programmieren oder Kulturanthropologie studiert haben. Sind für den freien Arbeitsmarkt absolut nicht zu gebrauchen und nun auf Versorgungsjobs in solchen Einrichtungen gelandet. Ihr Ego ist meistens höher als der Wiener Stephansdom, in der Praxis sind sie jedoch nicht einmal in der Lage, einfachste Bürogeräte zu handhaben. War mir immer wieder ein innerer Reichsparteitag, zu beobachten, wie diese Xanthippen an einfachsten Aufgaben im Arbeitsalltag gescheitert sind.
Und wenn solche Fräuleins dann auch noch meinen, dir die Welt erklären und dich wie einen dummen, kleinen Jungen behandeln zu müssen – das wird dann richtig eklig!

Allmählich neigte sich das Jahr auch schon wieder dem Ende zu. Die erste Vorweihnachtszeit seit vielen Jahren ohne ein größeres Projekt im Nacken empfand ich als besonders erholsam.

23. November.
Als ich nach Feierabend einkaufen ging, bemerkte ich, dass im INTERSPAR in der Sandleitengasse der Adventschmuck hing.
Im Laden kaufte ich einen entsprechend großen Vorrat Wachskerzen für die nächsten vier Wochen.

26. November.
Gegen Abend war ich auf dem Adventmarkt vor dem Schloss Schönbrunn. Ich aß ein G'röstl. Danach trank ich einen Beerenpunsch beim Stand der Familie Fürstel. Außerdem kaufte ich zwei kleine Weihnachtszwergfiguren.

27. November.
Erster Advent. Ab diesem Tag brannten wir am Abend zum Essen wieder eine Stunde lang die Kerzen an und legten CD's ein. Jeden Tag im Wechsel eine andere: verschiedene Chöre aus dem Erzgebirge, eine Aufnahme aus der Dresdner Frauenkirche, CD-Versionen verschiedener alter DDR-Weihnachtsliederplatten, eine Platte mit erzgebirgischen Bergmannsmärschen und Frank Schöbels "Weihnachten in Familie". Auch wenn Letzteres für einen Bildungsbürger wie mich vielleicht ein bisschen Marianne-und-Michael-mäßig war, weckte es doch nostalgische Erinnerungen an frühere Zeiten.

28. November.
Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit kam ich an einem kleinen Kunsthandwerksgeschäft im 12. Bezirk vorbei. Dort entdeckte ich im Schaufenster zwei kleine Engelchen im Erzgebirgsstil von haargenau der Machart, wie sich eines seit bestimmt 40 Jahren im Besitz unserer Familie befand. Ich natürlich gleich rein in den Laden und die beiden gekauft!

29. November.
Wie ich über ein Plakat erfahren hatte, gab es auch einen Adventmarkt im St. Josef Krankenhaus in der Auhofstraße 189.
Ich war mit der U4 bis Ober-St.-Veit gefahren und dann noch ein ganzes Ende den Hietzinger Kai Richtung Stadtausgang Purkersdorf gelaufen. Stockfinstere Nacht herrschte bereits an der verkehrsreichen Wiener Ausfallstraße.
Ordensschwestern in ihren Trachten verkauften in zwei Räumen im Erdgeschoss. Adventliches Gebäck, Adventschmuck, eingekochte Marmeladen, Näh- und Häkelarbeiten, gestaltete Kerzen und Bücher wurden angeboten.

30. November.
Heute wurden in der Stadt überall die Weihnachtsbeleuchtungen eingeschaltet.

2. Dezember.
Erster Schnee. Das erste Mal im Werksverkauf der Firma Manner. Ich kaufte mehrere Casali-Kästen im weihnachtlichen Design, da ich das Zeug ziemlich gern esse.

3. Dezember.
Heute war ich im Gewerbegebiet Auhof im 14. Bezirk. Unterwegs fuhr ich durch verschneiten Wienerwald.
Als ich wiederkam, berichtete "Hier ab vier" auf MDR über den mittelalterlichen Weihnachtsmarkt auf der Wartburg. Hat uns sehr gut gefallen!

4. Dezember.
Am Nachmittag ging ich über den Christkindlmarkt auf dem Rathausplatz, wo ich einen Eierlikörpunsch trank. War sehr gut. Außerdem kaufte ich eine kleine hölzerne Nussknackerfigur aus dem Erzgebirge.

5. Dezember.
Am Abend fiel mir auf, dass vor dem INTERSPAR Sandleitengasse und auf dem angrenzenden Nietzscheplatz der Weihnachtsbaumverkauf wieder begonnen hatte. Eine Firma irgendwo draußen aus Niederösterreich machte das jedes Jahr.
Beim Heimgehen bemerkte ich dann auch den Weihnachtsbaumverkauf beim ÖBAU Fetter.

6. Dezember.
Nikolaus. Ich bekam "After Eight" und "Pocket Coffee".
Gunter Tiersch war immer noch der Wettermann auf ZDF. Ich erinnerte mich, wie wir damals 1989, vor inzwischen bald 30 Jahren, seine ersten Auftritte mitverfolgten. Es war die Zeit der großen politischen Umbrüche, als wir jeden Abend die Nachrichten mit besonderer Intensität verfolgten. Äußerlich hatte er sich seit damals kaum verändert.
Am Abend brachten sie ab 20:15 Uhr auf MDR "Die schönsten Weihnachtsbräuche", moderiert von Gunther Emmerlich.

8. Dezember.
Heute Abend sah ich auf MDR in der Reihe "Lebensläufe" eine sehr interessante Dokumentation über Johanna Amalie von Elterlein, die als erste die Strophen der erzgebirgischen Weihnachtshymne "Heiligohmdlied" zu sammeln begann.

10. Dezember.
Als es schon dunkel war, fuhr ich zum Adventmarkt vor der Mariahilfer Kirche. Ich trank dort ein Glas Glühwein. Auch in die Kirche sah ich kurz rein.

11. Dezember.
Heute Nachmittag fuhr ich mit der Buslinie 46B den Wilhelminenberg hinauf, da sie im "Europahaus des Kindes" ganz am Ende der Gallitzinstraße einen "Weihnachts- und Bücherflohmarkt" veranstalteten. Schon die Hinfahrt durch den winterlich verschneiten Wald des Wilhelminenberges kurz vor Sonnenuntergang war sehr sehenswert.
Oben angekommen, bot sich ein sehr guter Blick über die Stadt, an deren Horizont gerade die Sonne unterging.
Im Haus trank ich einen Punsch.
Hinterher ging ich dann – schon bei Nacht – die winterlich verschneite, äußerst baumreiche Gallitzinstraße hinab. An etlichen Häusern befand sich Adventsbeleuchtung.

13. Dezember.
Als ich heute mit dem Bus über die Pilgrambrücke fuhr, sah ich auf der Seite Richtung Naschmarkt jemand am Beginn der Brücke bei der rechten Wienzeile Tannenbäume verkaufen.
Am Abend brachten sie auf MDR ab 21:15 Uhr: "Die Spur der Schätze: Unsere Weihnachtslieder". Zutiefst berührt war ich von einem Bericht über die Entstehung des Liedes "Sind die Lichter angezündet". Sie hatten dafür unzählige Filmaufnahmen von Kinderchören seit der ersten konzertanten Aufführung Ende der Fünfziger Jahre zusammengeschnitten. Das Lied war stufenlos zu hören, nur die Aufnahmen von Kinderchören machten eine Zeitreise von damals bis in die unmittelbare Gegenwart.

15. Dezember.
Heute war ich beruflich mit der Straßenbahnlinie 10 unterwegs. Ich registrierte Weihnachtsbaumverkaufsstellen auf dem Joachimsthalerplatz, in der Steinbruchgasse, bei der Pfarrkirche Breitensee, in der Reinlgasse und auf dem Schwendermarkt.

17. Dezember.
Am späteren Nachmittag war ich zum Weihnachtsmarkt im Save-Tibet-Büro in der Lobenhauerngasse 5 im 17. Bezirk.
In der MDR-Vorabendserie "Unsere köstliche Heimat" stellten sie das bekannte erzgebirgische Heiligabendessen "Neinerlaa" vor.

18. Dezember.
Am Nachmittag übertrugen sie auf MDR wieder die traditionelle Weihnachtssendung "Bergparaden und Lichterglanz im Erzgebirge", wo sie von verschiedenen Bergparaden berichteten, die jetzt um diese Zeit im Erzgebirge stattfanden. Verpassen wir in keinem Jahr!

21. Dezember.
Winteranfang.
Gegen Abend ging ich auf den Adventmarkt im Alten AKH. Ich aß eine Waffel mit Schokoladensauce und Eierlikör.

22. Dezember.
Am frühen Morgen ging ich in die Rorate-Messe in der Alt-Ottakringer Kirche. Die Lesung war die Geschichte vom Samuel.
Am Nachmittag – bei uns im Institut waren ab Mittag schon Weihnachtsferien – ging ich ins Café Zahrada in der Nisslgasse. Hinterher aß ich noch ein Schmalzbrot auf dem Adventmarkt vor dem Schloss Schönbrunn.

23. Dezember.
Am Morgen sah ich mir die Lebkuchendorf-Ausstellung in der Bäckerei Schwarz auf dem Otto-Bondy-Platz 4 im 12. Bezirk an. Die Tschertegasse, wo ich ausstieg, war völlig verschneit!
Ab 17:00 Uhr kam auf MDR eine Sache, auf die ich mich sehr gefreut hatte, und zwar die Live-Übertragung der jährlichen Weihnachtsvesper vor der Dresdner Frauenkirche. An dem Ereignis im Freien nahmen schon bis zu 350.000 Gäste teil.
Weihnachtlich ging es am späteren Abend auf MDR weiter mit "Gloria in excelsis deo. Festliche Musik zur Weihnachtszeit aus dem Erzgebirge". Kommentarlose Kamerafahrten durch das weihnachtliche Mitteldeutschland, unterlegt von traditionellen Weihnachtsliedern, vorgetragen von Chören aus der Gegend.

24. Dezember.
Fernsehmäßig begann der Tag um 10:00 Uhr mit der DDR-Verfilmung der "Weihnachtsgans Auguste".
Ab dem späteren Nachmittag wieder die Klassiker: "So klingt's bei uns im Arzgebirg", dann die "Lieder zum Fest" mit Evelyn Fischer, und schließlich die Weihnachtssendung vom Bayerischen Rundfunk.
Im Hauptabendprogramm kam auf ZDFneo die Weihnachtsfolge von "Wilsberg", die trotz ihres vergleichsweise jungen Alters mittlerweile schon fast so zum Fest gehört wie "Dinner for One" zu Silvester.
Und schließlich, und schließlich … aus Leipzig … ich freute mich immer beinahe ein ganzes Jahr darauf: Bachs Weihnachtsoratorium!

25. Dezember.
Über die Festtage brachten sie auf MDR die Verfilmung der Stülpner-Legende mit Manfred Krug in der Hauptrolle.
11:00 Uhr ging es auf RBB weiter mit einem Weihnachtsklassiker, ohne den das Fest so wie das Weihnachtsoratorium am Abend zuvor ebenfalls kein Fest war: "Zwischen Frühstück und Gänsebraten".
Gleich danach auf MDR: "Der Osten – Entdecke wo du lebst: Christbaumschmuck aus Lauscha – Illusionen aus Glas".
Ab 15:30 Uhr auf gleichem Sender: "Von Salz und Silber. Advent mit den Halloren".
Und direkt im Anschluss ab 16:00 Uhr: "Der Dresdner Kreuzchor feiert Weihnachten".

26. Dezember.
Ab 14:45 Uhr brachten sie auf dem "Haussender" "Auf schmaler Spur", die Eisenbahnsendung, die immer zu Festtagen im Jahr kam.
Beendet wurden die Festtage schließlich im Hauptabendprogramm des MDR mit der Weihnachtssonderausgabe von "Damals war's" mit Hartmut-Schulze Gerlach.

Silvester.
Der Tag begann Um Acht mit einer Folge der MDR-Serie "Unsere köstliche Heimat" über die Silvesterkarpfen des Halleschen Anglervereins e.V..
Später liefen auf MDR dann alte Silvesterfolgen von "Ein Kessel Buntes".
Bereits am frühen Nachmittag begann ich meine Fisch-Käse-Platten für den Abend zurechtzumachen. Ich hängte Girlanden im Zimmer aus, stellte kleineren Silvesterschmuck auf den Tisch.
Ab 17:00 Uhr übertrug MDR wieder die Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie aus dem Leipziger Gewandhaus, eine Tradition seit vielen Jahrzehnten.
Zum Abendessen, das sich bis Mitternacht erstreckte, kam dann noch die Bowle nach unserem alten Familienrezept hinzu.
Rechtzeitig vor Mitternacht öffnete ich die Sektflasche aus dem Supermarkt. Ich ging dazu vorsichtshalber auf den Flur hinaus, da ich stets Angst hatte vor dem, was dabei passieren könnte. Zwei Türen weiter betraten gerade Gäste die Wohnung der exjugoslawischen Familie. Musik erklang, als geöffnet wurde. Die jungen Leute feierten Party.
Eine Viertelstunde vor Mitternacht schalteten wir wie gewohnt um auf ORF 2. Der "Silvesterstadl" lief noch.
Schließlich setzte das obligatorische Herunterzählen ein. Wir stießen mit unseren Sektgläsern an. Im Fernsehen läutete die Pummerin das neue Jahr ein. Gleitender Übergang zur Neujahrs-Balletteinlage, untermalt vom Donauwalzer der Wiener Philharmoniker.
Als die Darbietung vorüber war, stieg ich die Treppen zum zweiten Stock hoch, um das Feuerwerk über den Dächern der Stadt mitzuverfolgen.
Die ersten Stunden des neuen Jahres brachten sie auf irgendeinem Kanal nonstop Disko-Kracher aus den Siebziger und Achtziger Jahren. Das neue Jahr lief also gut an.
Der nächste Morgen begann mit einer schönen, alten DDR-Komödie von 1982: "Frühstück im Bett". Und am Vormittag sahen wir uns dann wie jedes Jahr das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker an.

Wieder war Frühling. An einem sonnenreichen Sonnabend Nachmittag ging ich die Dornbacher Straße im angrenzenden 17. Wiener Gemeindebezirk Richtung Ortsausgang, um unterwegs die Frühblüte zu beobachten. Ich erinnerte mich, wie wir damals in den Achtziger Jahren im Frühjahr in Kastanienberg um diese Jahreszeit manchmal in den Stadtgraben gegangen sind.

Vor Ostern ging ich auf die Ostermärkte auf der Freyung und Am Hof, machte eine Bildreportage, um sie auf meinem Blog hochzuladen.
Am Hof fand parallel dazu auch wieder der Flohmarkt statt. Ich kaufte ein Abenteuerbuch mit Seefahrergeschichten in Mittelamerika.
Zuhause hatten wir auf dem Stubentisch eine Schüssel mit gekauften Ostereiern und eine mit kleinen Ostersüßigkeiten stehen.
Karfreitag sah ich mir ab Mitternacht wie jedes Jahr auf MDR die Matthäus-Passion aus der Leipziger Thomaskirche an.
Ostersonntag schalteten wir die Ostermesse auf dem Petersplatz in Rom ein. Danach brachten sie eine sehr interessante Reportage über die russischen Fabergé-Eier.
Am späteren Nachmittag kam auf RBB eine Reportage unter dem Titel "Früher waren die Ostereier bunter!", ein Zusammenschnitt von lauter Berichten der "Berliner Abendschau" von Ereignissen aus vergangenen Jahrzehnten, die sich rund um die Osterzeit abspielten.
Am Ostermontag brachten sie auf MDR eine schöne, alte DEFA-Komödie mit Jürgen Zartmann in der Hauptrolle. Sie spielte im Reichsbahn-Milieu, war ebenfalls im Frühling gedreht worden und handelte von einem Lokführer, der in jedem Bahnhof eine andere Geliebte hatte.
Gleich im Anschluss kam wie zu allen Festtagen "Auf schmaler Spur", die Eisenbahn-Sendung des MDR. Als ich danach durch die Kanäle schaltete, geriet ich per Zufall in eine Pink-Panther-Folge.
Das Letzte, was ich an den Feiertagen zum Thema Ostern sah, war eine Folge "Heimatleuchten" mit Conny Bürgler im Vorabendprogramm von ServusTV.

Sommer.
Im Fernsehen brachten sie im Abendprogramm eine Reihe mit Sketch-Klassikern der Sechziger, Siebziger und Achtziger Jahre unter dem Titel "Der Sommer der Komiker". Ich amüsierte mich hervorragend!

Als ich munter wurde, wunderte ich mich, warum ich so hart lag. Auch der Verkehrslärm und die zahllosen Stimmen irritierten mich. Doch für den Moment schob ich diese Fragen beiseite. Ich war einfach noch zu müde, um schon aufzuwachen.
Irgendwann, ich wusste nicht, wie viel Zeit dazwischen vergangen war, bemerkte ich, dass sich unter mir der Asphalt befand. Doch noch immer war ich zu müde, um darüber irritiert zu sein oder in Panik zu geraten.
Doch jeder Schlaf geht einmal zu Ende. Irgendwann richtete ich mich schlaftrunken auf, stützte mich dabei mit den Händen auf den Boden ab.
Ich befand mich auf dem Praterstern in Wien. Unter dem riesigen, durchsichtigen Vordach vor dem Eingang zum Nordbahnhof, das sich über den parallel laufenden Straßenbahnhaltestellen ausbreitete. Dort wo die osteuropäischen Penner den ganzen Tag sturzbetrunken auf dem Boden lagen.
Der erste einigermaßen klare Gedanke, den ich fassen konnte, fiel daher auch ziemlich zynisch aus. Du bist ganz schön tief gesunken, dachte ich beim Anblick meiner unmittelbaren Nachbarschaft. Wenn mich so jetzt einer meiner alten Klassenkameraden aus Deutschland sehen könnte.
Ich war vollkommen desorientiert. Ich hatte keine Ahnung, welche Uhrzeit gerade war. Die Sonne schien hell und brannte heiß. Dem Sonnenstand nach zu urteilen musste Nachmittag sein.
Eigenartigerweise geriet ich immer noch nicht in Panik. Ich war von der Situation einfach nur vollkommen überfordert.
Ich hatte nach wie vor das Bedürfnis, mich erholen zu müssen. Mehr instinktiv als bewusst robbte ich mit abgestützten Händen hinter dem Rücken nach hinten. Solange, bis ich das Schutzgitter erreicht hatte. Hier lehnte ich mich zurück und schloss erst einmal wieder die Augen. Mein Kopf fühlte sich ungefähr so an, als ob ich eine Nacht sehr schlecht geschlafen hätte.
Während ich die Augen geschlossen hatte, trat langsam die Frage in den Vordergrund, die für den Moment die alles entscheidende war: Wie zum Teufel kam ich hierher?
Ich hatte einen vollkommenen Blackout. Ich wusste nicht, was ich in den Stunden zuvor getan hatte. Nicht, wie ich hier hergekommen war. Nicht, wie was ich hier vorhatte.
Ich dachte zunächst an einen erneuten Schlaganfall. Doch alle Beweglichkeitsgrade schienen zu funktionieren. Auch mit dem Sprachvermögen schien alles in Ordnung zu sein.
Ich hatte keine Ahnung, eine wie lange Zeit ich sitzend an das Schutzgitter gelehnt im Halbschlaf zugebracht hatte, bis ich versuchte aufzustehen. Ich hielt mich dafür an dem Gitter fest und zog mich daran hoch.
Ich schwankte zunächst, als ich mich wieder auf meinen Füßen befand.
Vorsichtig versuchte ich danach, ein paar Schritte zu laufen. Auch dies war nur unter heftigen Schwankungen möglich.
Plötzlich griff ich mich ganz instinktiv an die Brusttasche meines Oberhemdes. Ich spürte, dass sich mein Portemonnaie noch darin befand.
Ich zog es heraus, öffnete es. Alles Geld und meine Monatskarte von den Wiener Linien befanden sich noch darin. Einen Raubüberfall konnte ich also auch ausschließen.
Schwankend, noch immer mit ganz kleinen Schritten, bewegte ich mich in Richtung der Straßenbahnlinie 5, um nach Hause zu fahren.
Ganz langsam kehrten auch Erinnerungsfragmente zurück. Ich war im Prater, tauchten erste Bilder an die Geschehnisse der letzten Stunden zurück. Dort wollte ich ein Bier trinken. Danach riss der Film ab.
Allmählich dämmerte es mir. Das alles konnte nur eines heißen: Jemand hatte mir K.o.-Tropfen ins Glas gemacht und mich anschließend hier abgeladen. Jemand wollte mir eine Lektion erteilen, die ich nicht so schnell vergaß …


3. Die Stasi, der Sachsensumpf, Magda, die Wiener Emanzen und ich.
Oder: Was bisher geschah.

Der Text ist eine Schilderung tatsächlich stattgefundener Ereignisse.
Es wird daher deutlich darauf hingewiesen, dass sämtliche Namen beschriebener Personen sowie persönliche Lebensumstände, die Rückschlüsse auf ihre wahren Identitäten zuließen, geändert wurden.

Wenn die Bedingungen günstig sind, sagen die Chaos-Theoretiker, kann der Flügelschlag eines Schmetterlings am Ende einer Kette von Ereignissen einen Orkan auslösen.

In dieser Geschichte kommen vor:

Der Erzähler. Gebürtiger Moldawier, Autist, Journalist, Dritte-Welt-Laden-Aktivist, Kleindarsteller beim Film, Computertrainer für Erwachsene, Buchhalter, Männerrechtler.

Ein skrupelloser, soziopathischer Stasi-Offizier, der nach der Wende neue Betätigungsfelder in der Zwangsprostitution Minderjähriger und dubiosen Immobiliengeschäften findet.

Ein verhaltensauffälliger Jugendlicher, der zum Gesellen des Stasi-Offiziers wird.

Zwei Münchner Detektive in geheimer deutsch-deutscher Mission.

Eine österreichische Weinbauerntochter.

Ein Zwangsprostitutionsopfer, das erst durch fehlgeleitete "Hilfe" ins Unglück gestürzt wird.

Ein Mädchen, das durch den Selbstfindungs-Trip seiner Mutter in den Tod getrieben wurde.

Fanatisierte Emanzen.

Eine österreichische Ministerin.

Radikal-Islamistische Kreise in Wien.

Eine Austro-Tschetschenin, deren Notlage skrupellos ausgenützt wird.

Ein geheimnisvoller, schweigsamer österreichischer Bundesbeamter, der immer dann als rettender Engel auftaucht, wenn die Verfolger des Erzählers ihm wieder einmal sehr dicht auf den Fersen sind.


3. 1. Kindheit in der DDR. Die Protagonisten dieser Geschichte lernen einander kennen.


Alles begann vor 35 Jahren, mit meiner Einschulung. – Man muss bei dieser Geschichte soweit in die Vergangenheit zurück gehen, um zu verstehen, wie durch viele Jahre hindurch eins ins andere griff. Wie die drei großen Fronten entstanden, an denen ich im Laufe meines Lebens kämpfen musste:
die institutionelle Diskriminierung von Hauptschülern in der Bundesrepublik Deutschland;
die Entstehung wirtschaftskrimineller Mafiastrukturen aus der ehemaligen ostdeutschen Stasi heraus;
und als Drittes der zu politischem Extremismus ausgeartete Mann-Frau-Kram, welcher einigen mir sehr nahestehenden Menschen das Leben kostete.
Und wie sich diese drei Fronten im Laufe der Zeit durch eigentümliche Umstände immer mal wieder verketteten, verschlingerten, ein Knäuel bildeten.


3. 1. 1. Jens


Sommer 1981. Eine Frau namens Baumeister kam aus irgendwelchen Gründen zu uns ins Wohnzimmer, um mit Mutter etwas zu besprechen. Wie ich wusste, lebte sie ebenfalls im Bahnhofsviertel. Mit ihr war ihr Sohn Jens, genauso alt wie ich.
Die Tage und Wochen gingen ins Land, und bald darauf war die Begegnung schon wieder völlig aus meiner Erinnerung entschwunden.

Herbst 1982. An einem Mittwoch Nachmittag hatten wir das erste Mal während unserer Schulzeit Arbeitsgemeinschaft. Wir befanden uns im Hortgebäude, im benachbarten Klassenzimmer der 1b. Der Raum war rappelvoll, da sich sowohl unsere als auch die Parallelklasse in ihm befanden. Auch der Lärmpegel war dementsprechend hoch.
Lehrerinnen gingen mit Listen herum und fragten, wer in welche Arbeitsgemeinschaft gehen möchte. Ich hatte mir bis zu dem Zeitpunkt eigentlich noch keinerlei Gedanken dazu gemacht, überließ das mehr oder weniger dem Schicksal.
Neben mir stand von Anfang an ein Junge namens Jens. Er ging in die Parallelklasse. Per Zufall hatte ich mal seinen Namen gehört. Ansonsten waren mir die meisten Namen noch nicht bekannt; sowohl aus meiner Klasse, aus der Parallelklasse vollends. Aus irgendwelchen Gründen hängte er sich an mich dran.
Schließlich kam die Lehrerin auch zu uns und fragte uns, was wir machen wollen. "Wir möchten basteln!" entschied er für uns beide. Ich schloss mich dem an.
Kurze Zeit später saßen wir dann zusammen am letzten Tisch in der Wandreihe, direkt neben der Zimmertür. Die Bastelarbeit, mit der sich gerade alle im Raum beschäftigten, bestand in einem Zerreisen von rückseitig geleimtem Buntpapier in lauter kleine Fetzen mit anschließendem Zusammensetzen zu einem Bild. Wir klebten aus den Stücken beide einen Teddybär auf das Bild.

Frühjahr 1983. Jens und ich hatten beide Hartgummi-Indianer in die Schule mitgenommen. Nach dem Unterricht, in der Zeit der Hortbetreuung, spielten wir mit ihnen. Wir ließen sie an den Stämmen der Buchenhecken gleich vor dem Hortgebäude empor klettern. Das waren für uns die Felsen im Indianerland.

Sommer 1983. An einem heißen Sommertag war ich bei Jens zuhause. Auf einer Wiese im Garten hinterm Haus stand ein kleines Zelt. Wir spielten darin mit seinem Kaufmannsladen.

In diesem Sommer hatte Jens ein Tretauto bekommen. Eines von der Marke "Liliput", weswegen es im Volksmund auch nur so genannt wurde. Man sah ihn damit öfters mal über die Fußwege unseres Viertels fahren.

September 1983. Ich war eingeladen zu Jens' achtem Geburtstag bei ihm zuhause. Er fiel zusammen mit dem Wohnbezirksfest bei uns auf dem Jahnplatz. So machten wir zunächst die dortigen Spiele mit, Sackhüpfen, Eierlaufen, Dosenwerfen, was da so üblich war. Aßen ein Rostbratwürstchen und tranken Brause. Fuhren zwei Runden mit dem Kremserwagen.

An einem Nachmittag in den Winterferien 1984 hatte Mutter Ferienspielaufsicht im Hortgebäude. Ich war auch mitgekommen.
Ich spielte an diesem Nachmittag die ganze Zeit über mit Jens. Als für ihn die Zeit gekommen war, nach Hause zu gehen, wollte er sich überhaupt nicht von mir losreißen. Mutter musste bestimmt zehn Minuten lang mit ihm verhandeln, dass er sich verabschiedete.
Irgendwann zog er dann doch wortlos von dannen.
Aber schon wenige Augenblicke später tauchte er an den Fenstern von Raum Zehn, dem Aufenthaltsraum, in dem alle Kinder spielten, wieder auf, und rief meinen Namen.

Frühjahr 1984. Wir waren in der Nachmittagsbetreuung im Hortgebäude. Jens und ich sahen uns ein älteres Tierbuch mit dem Titel "Ich weiß etwas" an.

Mai 1984. Durch Jens lernte ich eine Besonderheit aus dem Westen kennen: Tic Tac. Das waren kleine, weiße, tablettenartige Dinger in einer kleinen Plastikdose, welche nach Pfefferminz schmeckten. Er hatte eine solche Dose mal in die Schule mitgebracht.

Juni 1984. Ein bewölkter, warmer Frühsommertag. In einer Pause verließ ich das Hortgebäude. Direkt davor vernahm ich im Vorbeigehen, wie Jan Schneider aus der Nachbarklasse in seiner üblichen großspurigen Art zum Besten gab: "De Polente war wähchn Baumeister in dr Schule! Där is inne Lkw einjebrochn und hat de Papiere jeklaut!"
Kurze Zeit später wurde uns in der Klasse vor Beginn der großen Pause gesagt, dass wir uns danach noch zu einem Appell auf dem Appellplatz einfinden sollen.
Da dieser zu keinem der sonst üblichen Zeitpunkte stattfand, konnte es sich nur um einen Strafappell handeln.
Und so kam es auch. Nachdem sich alle Klassen an ihren Stellplätzen eingefunden hatten und Ruhe eingekehrt war, trat die Direktorin ans Mikrophon. Mit ihrer üblichen scharfen Befehlsstimme tönte sie "Wir bitten den Schüler Jens Baumeister nach vorn!" in das Gerät hinein. Die übliche Floskel am Beginn eines solchen Appells. Mit der wortgleich jeder Appell dieser Art eröffnet wurde. Das Einzige, was wechselte, war der Name des Schülers.
Auf dem Stellplatz der Nachbarklasse kam Bewegung auf. Kurz darauf löste sich daraus die Gestalt von Jens.
Scheinbar unbeeindruckt von dem Geschehen ging er normalen Schrittes über den Appellplatz in Richtung Norden, wo das Präsidium der Lehrer stand.
Danach folgte alles dem altbekannten Ritus. Die Verfehlung des Schülers wurde dem Auditorium mitgeteilt. Anschließend die verhängte Sanktion. Und beschlossen wurde das Ganze mit dem ebenfalls routinemäßigen Appell an das Gewissen des Schülers.

August 1984. Mutter hatte in den Sommerferien Ferienspieldienst im Hortgebäude in der Schule. Ich war mitgegangen, um mit den anderen Kindern zu spielen.
Über mehrere Wochen hinweg baute ich mit Jens an unserer Holzhütte. Sie war gerade so groß, dass wir uns mit unseren acht Jahren hineinsetzen konnten.
Wir benutzten dafür Holzleisten und Hartfaserpappen, welche am Rande der großen Wiese vor dem Hortgebäude lagerten. Welche offenbar von irgendeiner Abrissaktion stammten. Es schien niemand Anspruch auf sie zu erheben, so nutzten wir sie für unsere Zwecke. Mit Steinen rammten wir die Pflöcke in die Erde.

Anfang Oktober 1984. Zu Beginn des dritten Schuljahres fand wieder der alljährliche Cross-Lauf unserer Schule auf dem städtischen Sportplatz statt. Halb auf dem Sportplatz, halb auf den beginnenden Feldwegen dahinter. Jens und ich liefen nebeneinander und spornten uns gegenseitig an.

April 1985. Es war schon Unterricht, ich hatte jedoch im großen Schulgebäude etwas zu erledigen gehabt, und so kam ich gegen Ende der ersten Stunde an der offen stehenden Tür der Nachbarklasse vorbei. Deren Lehrerin teilte der Klasse gerade mit, dass Jens Baumeister vor kurzem eingetroffen sei. Mit Verständnis erheischender Stimme erklärt sie den Schülern: "Und schimpft auch nicht mit ihm: Du bist ja zu spät in die Schule gekommen! Jens hat zu Hause Probleme.
Im Moment ist er gerade in der Küche. Frau Altrogge hat ihm Frühstück zurechtgemacht."
Ich erinnerte mich. Das hatte sie schon öfter gemacht, wenn er zuhause von seinen Assi-Eltern wieder einmal vernachlässigt worden war.

Anfang Juli 1985. Unser drittes Schuljahr war vorüber. Der übliche Abschlussappell auf dem Appellplatz fand statt. Die Direktorin handelte die gewohnten organisatorischen Routinethemen ab.
Plötzlich kam ein Satz, der mich aufhorchen ließ. "Der Schüler Jens Baumeister wird uns ab nächstem Schuljahr verlassen und seinen Unterricht an der August-Bebel-Schule fortsetzen." Mehr sagte sie nicht zu dem Thema.
Ich begriff. Die übliche Strafversetzung. Seit Jahren wurde das an der Schule so gehandhabt, erinnerte ich mich. Dass Schüler, mit denen man absolut nicht mehr fertig wurde, als letzter Schritt vor dem Erziehungsheim an die andere Schule strafversetzt wurden.
Und in seinem Fall wunderte es mich nicht, dass man so verfuhr. Er war von Anfang an nicht in den Griff zu kriegen.
Eine absurde Phantasie kam mir in den Sinn. Man möge sich einmal vorstellen, dachte ich, die andere Schule würde ihre Tore öffnen und all die Rowdys würden auf einen Schlag alle zurückkommen! Da wäre hier war los!!!
Na ja, das ist zum Glück reiner Unsinn, dachte ich abschließend. Das wird nie passieren.
Danach verloren wir uns zunächst für Jahre aus den Augen.


3. 1. 2. Carmen


Es war im Frühsommer 1982, ein paar Monate vor der Einschulung. Wie alle Kinder dieses Alters musste ich zu einer Vorschuluntersuchung. Das Ganze fand in Sömmerda statt. Mutter und ich waren mit dem Taxi von Nachbarfamilie Paul hingefahren, welches diese gerade frisch angemeldet hatte.
Die Praxis der Ärztin lag in einer der historischen Bürgervillen am Stadtrand. Dort wurden wir in einen Nebenraum des Behandlungszimmers hereingebeten.
Ein Mädchen war dort bereits anwesend, ebenfalls mit seiner Mutter. Es hieß Carmen.
Kurz darauf mussten wir zwei uns auf Anweisung einer Sprechstundenhilfe vollständig entkleiden, bis wir überhaupt nichts mehr anhatten.
Eine ganze Weile verbrachten wir dann so miteinander. Ich behielt Carmen als ein sehr hübsches, schlankes, hochgeschossenes Mädchen mit schneeweißer Haut und sehr langem, glattem, blondem Pferdeschwanz in Erinnerung, mit dem ich mich lustig unterhalten hatte. Und natürlich habe ich auch all die Details ihres schönen Körpers genossen! Was für ein schönes, engelsgleiches Wesen sie war, als sie vollkommen nackt vor mir stand!
Nach einer gewissen Zeit wurde sie dann als Erstes ins Arztzimmer hereingerufen.
Während sie in das Zimmer lief, sah ich ihrem hübschen, nackten Mädchenpo hinterher. Putzig auch, wie ihre Füßchen auf dem Boden beim Gehen aufklatschten.

Ab September gingen wir dann in eine Klasse.
Auch Silke kam mit in meine Klasse. In dieser Geschichte sollte sie noch eine tragische Rolle spielen. Sie sollte zu einem Stein werden, der eine Lawine auslöste.


3. 1. 3. Lisa und der Mann von der Stasi


Ein Jahr später, im Sommer 1986, hatten Mutter und ich den Ferienplatz an der Ostsee bekommen. Wir konnten unser Glück überhaupt nicht fassen. Nicht nur, dass wir eine dieser zu DDR-Zeiten äußerst seltenen Urlaubsmöglichkeiten überhaupt bekommen hatten, mehr noch, man hatte sie uns fast aufgedrängt.
Dort lernte ich Lisa kennen, das Mädchen aus dem Westen. Sie war mit ihrer Familie da. Dies kam durch ihren Vater, der im Ost-West-Handel tätig war.
Und ich lernte einen Mann kennen, von dem ich damals noch nicht ahnte, dass er einmal mein ganzes weiteres Leben bestimmen würde: Gornwald.
Hartmut Gornwald. Geboren am 18. 05. 1940 in Freiberg in Sachsen. Vater Schlosser, Mutter Hausfrau. Absolviert zunächst eine Lehre als Schlosser bei der Deutschen Reichsbahn. Mit 18 Eintritt in die SED. Unterschreibt 1968 in Folge des Prager Aufstandes eine Verpflichtungserklärung für das Ministerium für Staatssicherheit. Wird an die Hochschule des Ministeriums delegiert, macht dort seinen Doktor. Vermutlich ab 1986 für den Bereich Kommerzielle Koordinierung von Alexander Schalck-Golodkowski tätig.
Trotz seines damals für den DDR-Regierungsapparat vergleichsweise jungen Alters von Mitte 40 war er schon einer der mächtigsten Männer der Staatssicherheit. Über ihm in der Hierarchie gab es praktisch nur noch Schalck-Golodkowski und Mielke. Doch dies alles blieb mir vorerst noch verborgen.
Gornwald war das DDR-Gegenüber von Lisas Vater, der auf östlicher Seite mit ihm die Geschäfte abwickeln sollte.
Ich spielte mit Lisa häufig nackt am FKK-Strand. Ich hatte sie irgendwie näher kennengelernt, nachdem Mutter und ich mit Gornwald schon am ersten Tag unseres Aufenthaltes ins Gespräch gekommen waren. Schließlich lernte ich auch Lisas Eltern kennen.
Für die Geschäftspartner aus beiden deutschen Landeshälften war dies eine halbe Dienstreise und ein halber Betriebsausflug zum besseren Einanderkennenlernen. Die DDR war damals sehr bedacht auf solche Good-Will-Aktionen, die ihr Image im westlichen Ausland förderten.


3. 2. Die Wende in der DDR


Im November 1989 fiel die Berliner Mauer.

Mit dem beginnenden Jahr 1990 zog der Kapitalismus in der Noch-DDR ein. Man wusste noch nicht genau, wohin sich manche Dinge entwickeln würden, aber eines war Allen vom ersten Tag an klar: Am Ende des Jahres wäre nichts mehr so, wie man es einmal gekannt hat.

Da ich mich schon damals sehr für Journalismus interessierte, nutzte ich die neu gewonnene Freiheit, um Kontakte in den Westen zu knüpfen.
Im Februar 1990 hatte ich in Eschwege in der Außenstelle eines Frankfurter Zeitungsverlages mein erstes Vorstellungsgespräch. Dieses an sich vollkommen alltägliche Ereignis im Leben eines jeden Menschen sollte im Verlauf der Geschichte noch eine entscheidende Bedeutung bekommen. Aber das ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal. Vorerst liefen die Dinge für mich recht gut an.

Anfang März 1990, kurz nach Großmutters Tod, waren Mutters Cousin Siegfried und seine Frau Ingeborg bei uns, nachdem sie auf dem Friedhof Blumen auf Großmutters Grab abgelegt hatten.
Ein allerletztes Mal wurde der Kaffeetisch in Großmutters Wohnzimmer gedeckt, wie unzählige Male in den sechzig Jahren zuvor. Nicht mehr lange, und andere Menschen würden dieses Zimmer nach ihren Bedürfnissen nutzen.
Hauptgesprächsthema beim Essen war natürlich die politische Lage im Land, so kurz vor den ersten freien Wahlen.
Kurz bevor sich die beiden verabschiedeten, kam der große Hammer. Völlig beiläufig, so als hätte er einen Apfel aus einem fremden Garten mitgehen lassen, berichtete uns Siegfried, dass er Jahre lang für die Staatssicherheit gearbeitet habe. Er sei fasziniert gewesen von den beruflichen Möglichkeiten, die man ihm, einer der führenden Kapazitäten auf dem Gebiet der Mikrobiologie in der DDR, für seine Nebentätigkeit geboten habe.
Wir waren beide so "erschlagen" von der Enthüllung, dass Mutter zunächst etwas vollkommen Belangloses äußerte.


3. 3. Institutionalisierte Diskriminierung von Hauptschülern in der Bundesrepublik


Das im Herbst beginnende Schuljahr 1990/91 stand vom ersten Tag an unter dem Zeichen der Angleichungen an das westliche Schulsystem, da die deutsche Wiedervereinigung zu dem Zeitpunkt nur noch vier Wochen in der Zukunft lag. Die Zehnklassen-Schulen der DDR waren aufgelöst worden. Aus der anderen der zwei Schulen unseres Ortes hatten sie ein Gymnasium gemacht, aus unserer eine Hauptschule.
Da ich gegen Ende der Achten Klasse notenmäßig ein bisschen runtergerutscht war, hatte es eigentlich keine große Diskussion weiter gegeben, dass ich an der Schule blieb.
Ich bemühte mich jedoch von Anfang an, wieder aus der Talsohle herauszukommen. Was zur Folge hatte, dass die kommenden zwei Jahre gefühlt die längsten meines gesamten Lebens werden sollten.
Wer damals nur einigermaßen etwas auf sich hielt, versuchte zumindest in der Realschule unterzukommen. Somit strandeten in unserer Schule sämtliche Problemfälle aus dem gesamten Landstrich. Es braucht nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass ein solches Sozialexperiment nur schief gehen konnte.
Schon nach meinen ersten guten Noten hatte es sich relativ schnell herumgesprochen, dass ich ein Streber war. Danach begann es echt kompliziert zu werden. Dass das noch knapp zwei Jahre so weitergehen sollte, war am Anfang für mich unvorstellbar. Ich dachte, ich halte das keine drei Wochen aus.
Ich verglich die Situation immer mit folgender Metapher: Ein Streber an einer deutschen Hauptschule – das war ungefähr dasselbe wie ein Kinderschänder in Sing-Sing. Gerade mal, dass es keine sexuellen Übergriffe unter der Dusche gab, das war aber auch schon das Einzige. Ansonsten – das volle Programm. So zog eine Attacke mit einem massiven Holzgegenstand eine leichte Gehirnerschütterung nach sich; ein Erdrosselungsversuch mit einer Wäscheleine scheiterte nur an der unsachgemäßen Ausführung; mehrere Zähne wurden mit derart brutaler Gewalt herausgeschlagen, dass mein Gebiss bis zum heutigen Tage entstellt ist.
Auch gesamtgesellschaftlich zogen in jener Zeit düstere Wolken am Horizont auf, die sich sehr bald zur vollkommenen Aussichtslosigkeit schwärzten. Das öffentliche Ansehen von Hauptschülern ist in der Bundesrepublik generell sehr, sehr, sehr schlecht, unter ihnen rangieren in der Ansehensskala nur noch Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder. Niemand stellt einen Hauptschüler ein. Und da kannst du auch noch so viele nachweisbare Erfolge erbringen – das interessiert keinen! Das interessiert keinen! Das interessiert einfach keinen! Das wird schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen! Das Brandmal Hauptschüler auf deiner Stirne wirst du nie wieder los!
Und ein Streber in der Hauptschule, das ist noch einmal das Ganz-Unten im Unten. Da wirst du erst einmal von der gesamten Gesellschaft als Hauptschüler verachtet, und dann zusätzlich noch von allen deinen Mitschülern als Streber. Da hast du keine Verbündeten mehr. Da bist du ganz allein auf dieser Welt.
Im Rückblick spielte all das mit eine Rolle für mein späteres Engagement als Männerrechtler.
Von meiner ehemaligen Clique aus meiner alten Klasse war nur Silke an unserer Schule geblieben. Alle anderen waren entweder aufs Gymnasium gegangen oder hatten eine Berufsausbildung begonnen. Aus irgendwelchen Gründen machte sie in der Parallelklasse weiter. Was allerdings kein Unterschied bedeutete. Ihr erging es genauso wie mir.
Auch Carmen war jetzt auf dem Gymnasium. Wir sollten uns jedoch bald wiedersehen.

Im Folgenden soll nach dieser kurzen Zusammenfassung nun detaillierter auf die Verhältnisse an der Hauptschule eingegangen werden. Zunächst zu den Fakten, die meine Person betreffen.
Ich habe mich auf der Hauptschule innerhalb von zwei Jahren von einem Notendurchschnitt von knapp über 4,0 auf 1,15 verbessert. (Wenn man mal diese in jener Zeit geschehene vollkommen geisteskranke Notenskalaerweiterung auf Eins bis Sechs außer Acht lässt, dies ist erforderlich, um die zwei Leistungsstände miteinander vergleichbar zu machen.) Es war dies die mit weitem Abstand größte Notendurchschnittssteigerung während meiner gesamten Schullaufbahn bis dahin. Und – da müsste ich jetzt natürlich bei sämtlichen meiner Zeugnisse nachrechnen, aber ich bin mir auch so relativ sicher – es dürfte sich gleichzeitig um einen meiner vordersten Zeugnisdurchschnitte von meiner ganzen Schullaufbahn handeln, wenn nicht den besten überhaupt. All dies muss auch einmal erwähnt werden.

Im Fach "Wirtschaft und Technik", das damals gerade neu entstanden war, war ich die rechte Hand des Lehrers, habe teilweise den Unterricht mit organisiert. Was an einer deutschen Hauptschule natürlich nicht unproblematisch war, da sich dadurch das Streber-Image noch verstärkte.

Für die Abschlussprüfung in Geschichte bereitete ich mich mit Literatur auf Universitätsniveau vor. Mit dem Ergebnis, dass die drei Geschichtslehrer vor mir während meines halbstündigen Monologes über die Geschichte der deutschen Teilung nicht eine einzige Zwischenfrage stellen konnten. Hinter dem Prüfungstisch herrschte die ganze Zeit über Schweigen im Walde, das war eine reine One-Man-Show von mir.
Aus dieser Tatsache kann ja auch jeder seine persönlichen Schlüsse ziehen, was den Wissensstand der Lehrer zu diesem Thema betrifft. Und sich in weiterer Folge die Frage stellen, was unter diesen Umständen von dem herablassenden und anmaßenden Verhalten der Lehrer zu halten ist. Dazu später mehr.
Und ich übertreibe sicher nicht, wenn ich sage, dass mindestens 90 Prozent von dem, was ich da erzählte, NICHT aus dem Geschichtsunterricht der Schule stammten! Diese Behauptung von mir ließe sich allein schon durch die damaligen Schulbücher und Lehrpläne untermauern. Die Geschichte des Kalten Krieges – das ist meine absolute Heimstrecke. Hier macht mir so schnell niemand etwas vor.

Und dass ich mich – im Gegensatz zu manch anderen Schülern – während dieser zwei Jahre stets gesittet benommen habe, dafür gibt es eine Unzahl von Zeugen, die ich jederzeit benennen könnte. Außerdem: Gehänselt und zusammengeschlagen wurden an dieser Schule ohnehin nur die angepassten Streber. Das allein schon dürfte Beweis genug sein. Hat ja auch die Geografielehrerin mal in einem Gespräch mit meiner Mutter gesagt. Dass ich "aufgrund meines Leistungswillens" von den Gangs auf dem Schulhof "ein bisschen anders behandelt" werde. Meinte sie wortwörtlich.

Am Rande all dessen seien noch zwei Dinge genannt. Das Erste: Neben diesen schulischen Leistungen fand ich noch Zeit, alle paar Tage nach Kleinneuhausen zu dauerlaufen. Was wiederum zur Folge hatte, dass auf meinem Abschlusszeugnis zum ersten Mal in meiner zehnjährigen Schullaufbahn in Sport die Note Drei stand. Dazu muss unbedingt angemerkt werden, dass die Vergabe von Sportnoten damals noch sehr streng gehandhabt wurde. Man musste schon ernsthaft etwas leisten, um da eine gute Note zu erhalten. Und Herr Rößler, den wir damals in der Zehnten Klasse hatten, hatte zusätzlich noch den Ruf eines "Drill Sergeant". Das ist ein Aspekt, den man in diesem Zusammenhang gar nicht intensiv genug betonen kann! Denn nach dem, was ich heute so aus den Medien über den Sportunterricht erfahren habe, ist er in der Stundenplan-Politik ja eher so etwas wie ein vernachlässigtes Stiefkind. Und darüber hinaus soll sich die körperliche Leistungsfähigkeit der "Generation Playstation" mittlerweile teilweise in einem derart katastrophalen Zustand befinden, dass an einigen Schulen schon die bloße Anwesenheit für eine Drei auf dem Zeugnis reicht. Ohne Scherz oder Übertreibung. Damals jedoch war das noch eine vollkommen andere Zeit, da darf man wirklich nicht von heutigen Verhältnissen ausgehen. Eine Drei galt da schon als eine relativ gute Sportnote.
Und das Zweite: Ebenfalls parallel zu all diesen Aktivitäten machte ich unser Zweifamilienhaus mit Keller, Dachgeschoss und Garten übergabefertig für den Nachnutzer. Mutter war damals noch etwas angeschlagen wegen ihrer gesundheitlichen Geschichten Ende der Achtziger Jahre, so fiel der übergroße Teil mir zu. Vier Generationen inklusive mir hatten auf dem Anwesen ihre Spuren hinterlassen, man kann sich annähernd vorstellen, was es da zu tun gab.
Auch organisierte ich in dieser Zeit aus den Geschäften der Stadt eine wahre Flut an Chiquita-Bananenkartons für den Umzug. Ohne Auto, samt und sonders zu Fuß nach Hause gebuckelt. Alles neben Schule und sportlichen Aktivitäten.

Nun einige aufschlussreiche Zitate zum Thema Hauptschüler, welche ich 25 Jahre später im Internet entdeckte:

"Fragen Sie einmal in einer deutschen Hauptschule, was ein Parlament ist oder eine Diktatur. Da sagen die: Wenn ich's rauchen kann – her damit!"
Dieter Nuhr, so genannter "Comedian"

"Ein Hauptschulabschluss ist keine intellektuelle Leistung."
Ein deutscher Journalist

"Ich finde Hauptschulen schrecklich, auch wenn alle so politisch korrekt tun, sind wir doch mal ehrlich, auf die Hauptschule kommt nur das letzte verdummte Gesocks. Mein Mann hat mich gescholten, weil ich meinem 7-jährigen Sohn einbläue, dass er ein Versager ist, wenn er auf die Hauptschule muss, da nur Versager und Spinner dort hingehen."
Eine Internet-Teilnehmerin

"Aber generell muss ich schon sagen, dass ich mit einem Hauptschulabschluss meistens massive Faulheit und/oder (je nach Person) Dummheit verbinde."
Eine weitere Internet-Teilnehmerin

Diese gesamtgesellschaftliche Einstellung reichten die Lehrerinnen an unserer Hauptschule eins zu eins an uns Schüler weiter. Vor allem den guten Schülern. Die schlechten Schüler hatten sie ohnehin abgeschrieben. Dafür kühlten sie an uns wenigen Strebern umso intensiver ihr Mütchen. Uns wurde zwei Jahre lang HÖCHST genüsslich unter die Nase rieben, was für dumme, dumme, dumme Hauptschüler wir seien, die für jeglichen weiteren Bildungsweg vöööööllig ungeeignet seien.
Jedes Mal, wenn ein Schüler etwas fragte, was nur ein ganz klein wenig über den unmittelbaren Stoff im Lehrbuch hinausging, lautete die automatisierte Lehrerinnenantwort: "Ihr seid Hauptschüler, ihr braucht das nicht zu wissen!" Manchmal ergänzt um den Hinweis, das würde in der Realschule behandelt. Wo genau dieselben Lehrerinnen tätig waren.
Ich weiß nicht, ob es auf diesem Planeten eine Handlung gibt, die noch saudümmer ist, als lernbegierigen Teenagern Wissen vorsätzlich vorzuenthalten. Mir fällt spontan jedenfalls keine ein. Wenn Jugendliche in dem Alter schon VON SICH AUS etwas wissen wollen, da blockt man doch nicht ab!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Im Gegenteil, da knüpft man an und legt entsprechende Schienen in die Zukunft!
Hauptschülern ist sogar – das muss man sich einmal vorstellen – vom Lehrplan her (!) jeglicher Unterricht an den Computern verweigert worden! Und wir sprechen hier von den Jahren 1990 bis 1992, einer Zeit also, in der sich die digitale Revolution an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert bereits überdeutlich ankündigte! Allein daran sieht man, wie gnadenlos dumm diese Menschen sind!
Ich bin deswegen damals auch am Nachmittag in die Computer-AG gegangen. Dass ich heute als Computertrainer sehr erfolgreich EDV-Kenntnisse an Erwachsene vermittle, die überdies größtenteils sehr viel länger im Berufsleben stehen als ich, dass ich außerdem in Wien recht erfolgreich über lokale Ereignisse blogge, dürfte für die Damen und Herren Thüringer Bildungsverantwortlichen eine erstklassige Blamage sein.
Jedes Mal, wenn ich meine Lehrerinnen fragte, ob irgendwas drin ist mit Schule weitermachen, wenn bei mir die guten Noten weiter so anhalten, wurde mir im Tonfall tiefster Abschätzigkeit die Standardantwort vor die Füße geschleudert: "Na, wenn du so gut wärst, wie du glaubst, dann hättest du in dieser Schule von Anfang an nichts verloren gehabt!" Manchmal noch ergänzt um: "Ist traurig, aber es ist so!" Damit war das Gespräch dann jedes Mal beendet.
Auch sehr beliebt: Es wurde in solchen Situationen ausgiebigst darüber doziert, wie unglaublich mühevoll es für die Lehrer dann wäre, Originalzitat: "euch mit eurem Hauptschulniveau", an ein höheres Bildungsniveau heranzuführen.
Gern rieben uns die Lehrerinnen auch höchst genüsslich unter die Nasen, dass unsere guten schulischen Leistungen in Wahrheit überhaupt nichts wert seien. Indem sie uns vor lauter Häme und Abschätzigkeit bald platzend erzählten, für die Leistungen, für die man in der Hauptschule eine Zwei bekäme, erhielte man in der Realschule eine Vier und im Gymnasium eine Sechs. Eine Behauptung, die allein schon vom gesunden Menschenverstand her völlig unglaubwürdig erschien.
Und einmal hieß es sinngemäß: Meine ganzen hochfliegenden Pläne, die würden sowieso alle nichts werden. Ich solle stattdessen eben eine Lehre in einem dieser einfachen Hilfsjobs beginnen, damit ich zumindest überhaupt etwas habe.
Mein absoluter Favorit unter den Aussagen des Lehrkörpers jedoch, was Zynismus, Süffisanz und schlichtweg blanken Hass betraf, war das Folgende: "Wozu denn Realschule oder Gymnasium? Ein Lehrling lernt doch das Leben kennen!"
Bände sprach ja auch das Verhalten des Lehrkörpers am letzten Schultag. Es fand ganz normaler Unterricht bis zur sechsten Stunde statt. N I E M A N D   fand irgendwelche Worte anlässlich des besonderen Tages. So, als ginge es am nächsten Tag ganz normal weiter. Niemand fragte uns, was wir nun als Nächstes machen. Niemand wünschte uns Erfolg für unseren weiteren Lebensweg. Ich konnte mich erinnern, dass ich von diesem Verhalten, höflich formuliert, etwas irritiert war, als ich nach der sechsten Stunde den Raum verließ. Ich dachte nur: Das war's jetzt? Das war jetzt alles? Das also ist das Ende eines zehnjährigen Lebensabschnitts?
Nicht einmal die uns Hauptschülern gegenüber stets sehr gehässig und feindselig eingestellten Lehrerinnen konnten es vermeiden, mir für meine mündliche Geschichtsprüfung eine glatte Eins geben zu müssen – bei einer Notenskala von Eins bis Sechs.
Aber EINE FRESSE zog die Frau Prüfungsvorsitzende, als sie mir das mitteilte! Eine Fresse! Als ob sie in eine Zitrone gebissen hätte! Gequält zischte sie die Entscheidung durch den Mund. Sogar noch in den Sommerferien darauf, als ich ihr zwei-, dreimal begegnete, wenn ich mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs war, zog sie jedes Mal eine ganz komische, verschlagen lauernde Fresse.
Ein Verhalten, das ich aus den letzten zwei Jahren Schulzeit mitunter auch von anderen Lehrerinnen kannte. Die zogen mitunter solche Fressen und wandten sich wie ein Aal, wenn sie einem mitteilten, dass sie einem eine gute Note gaben, dass man es einfach nicht verstand.
Ein Hauptschüler, der was kann – das passte einfach nicht ins allgemeine Bild. Hauptschüler waren von Amts wegen zu Idioten erklärt worden und das hatten sie gefälligst auch zu bleiben. Pff, wo kommen wir denn da hin, wenn ein Hauptschüler nach Höherem strebt und auch noch beweist, dass er das Zeug dazu hat!
Ich bin in der Hinsicht irgendwie anders. Ich freue mich heute als Erwachsener bei jedem Durchbruch meiner Computerkurs-Teilnehmer mit.
Wir sind eigentlich die ganzen zwei Jahre über vom Sinn her ununterbrochen als Dummköpfe beschimpft worden, die es nie zu etwas bringen werden. Ich kann es mittlerweile geistig nachvollziehen, weshalb Manche eines Tages einfach austicken, sich von irgendwoher einen Schießprügel besorgen und Amok laufen. Ich kann es mittlerweile sehr gut nachvollziehen.
Und bevor man mir in irgendeiner Weise Überempfindlichkeit oder das Aufbauschen von Einzelfällen vorwirft: Es waren insgesamt NEUN, in Worten NEUN, Lehrerinnen, die uns in diesen zwei Jahren in irgendeiner Weise als dumme Hauptschüler, aus denen niemals etwas werden würde, mobbten, beschimpften, niedermachten. Wer hier kein Muster, kein System dahinter erkennt, hat sein Gehirn an der Garderobe abgegeben.

Wie stark der Hass auf uns Hauptschüler war, merkte ich sogar noch fünf Jahre später. Einer Lehrerin, die sich stets besonders hasserfüllt und arrogant gegenüber uns Hauptschülern geäußert hatte, begegnete ich per Zufall wieder, als ich auf meiner bislang ersten und letzten Fahrt in meine ehemalige Stadt 1997 einen Abstecher auf meinen alten Schulhof machte.
Dazu muss angemerkt werden, dass wir Personen aus dem unmittelbaren Umfeld dieser Lehrerin über die Jahre hinweg immer wieder Briefe geschickt haben, in denen wir über alles Mögliche berichteten, was wir so machten. Sie war also aus zweiter Hand, wie man mir auch bestätigte, stets über jeden meiner Karriereschritte unterrichtet.
Jedenfalls war gerade die letzte Ferienwoche, in der für die Lehrer in der Schule schon alle möglichen Vorbereitungssitzungen für das kommende Schuljahr stattfanden. Ich ziehe also gedankenverloren meine Kreise über den leeren Schulhof, als mich diese Lehrerin plötzlich direkt hinter dem Fenster eines Klassenzimmers bemerkte. Sie fuhr in ihrer Überraschtheit richtig ein bisschen zusammen, so wie man halt reagiert, wenn man plötzlich jemandem begegnet, den man viele Jahre nicht mehr gesehen hat.
Vielleicht fünf Minuten später klingelt es. Und nun wurde es vollkommen bizarr. Ich stand zu diesem Augenblick zu Füßen der kleinen Außentreppe des Schulgebäudes. Abermals ein paar Minuten später kam diese Lehrerin drinnen im Flur an der offenen Außentür vorbei. Uns trennten also Luftlinie vielleicht drei Meter. Sie ging jedoch in ganz normalem, gemächlichem Schritttempo an der offenen Tür vorbei, sah sogar nach draußen, wo ich am Fuß der Treppe stand, und blinzelte nicht einmal! Als ob ich ein Geist und damit für alle Anderen unsichtbar geworden wäre.
Hallo, was ist denn jetzt kaputt? dachte ich vollkommen irritiert. Ich konnte dieses irrationale Verhalten absolut nicht einordnen.
Na warte, du entkommst mir nicht, dachte ich. Ich betrat das Schulhaus und rannte in Richtung Lehrerzimmer. Dort erwischte ich sie schließlich. Ich sprach sie an. Sie bemühte sich krampfhaft um Höflichkeit, aber ich hatte das Gefühl, dass es ihr fast schon körperliche Ekelgefühle bereitete, mit mir ein Gespräch führen zu müssen.
Ich nutzte die Gelegenheit natürlich zu meinem großen Rachefeldzug, den ich schon vorher bis ins kleinste Detail geplant hatte. In vielleicht zehn Minuten zählte ich meine größten beruflichen Triumphe der letzten fünf Jahre auf. In extremst verkrampfter, sich von mir zurückziehender Körperhaltung hörte sie sich alles ruhig an.
Als ich irgendwann das Gespräch beendete, schoss sie davon wie ein geölter Blitz. Das Schicksal wollte es, dass ich im ganzen Leben nie wieder etwas von ihr hörte. Nun ja, ich werde von meinen Computerkurs-Teilnehmern in Wien auch noch nach Kurs-Ende auf der Straße gegrüßt. All dies hätte ich vielleicht als nicht so bedeutend bewertet, wenn ich nicht um den oft genug geäußerten Hass dieser Frau auf Hauptschüler wüsste sowie um die Tatsache, dass sie die ganze Zeit lang über meinen beruflichen Werdegang informiert war.
Obwohl, so sehr überraschen musste mich dieser Auftritt ja nicht. Ich hatte ja auch schon in den Jahren, in denen ich aus Deutschland weg war, immer wieder mitbekommen, welch extrem feindseliges Klima an dieser Schule generell Hauptschülern gegenüber herrschte, welche mehr aus sich machen wollten. Das fing mit der noch eher harmlosen Meldung an, als mir eine zu dieser Schule zugehörige Person am Telefon bezüglich meiner beruflichen Siegesmeldungen in den Briefen einmal SEHR unsicher herumdrucksend mitteilte: "Ach, die Person X, die Person Y und die Person Z interessiert das immer nicht so seeehr." Es klang für mich nach: Die kotzt der Scheiß nur noch an! Etwas dramatischer hörte es schon an, als ich einmal regelrecht gewarnt worden bin: "Schreib nicht so viel! Schreib nicht so Vielen und nicht so viel! Hast viiiiiele Neider! Hast viiiiiele Neider!" Es klang fast schon so dramatisch und eindringlich, als plante jemand einen Anschlag auf meinen Leben.
Ich hatte sogar Bücher, Prospekte und Videos von meinem neuen Wirkungsbereich geschickt. NICHTS. Keine Reaktion. Man stellte sich tot, ging auf Tauchstation.
Da atmest du erst einmal ganz tief durch und denkst dann: Wow! Was hast du damals eigentlich alles angestellt, dass sie dich sooooo sehr hassen? Du musst doch ein Sündenregister schlimmer als die Columbine-High Scool-Attentäter haben! Wenn du von deiner eigenen Schule so extremst geschnitten wirst, als ob es dich gar nicht gäbe, das ist dann schon heftig.
Dass Streber an Hauptschulen bei den Mitschülern verhasst sind – okay, daran hatte ich mich in zwei Jahren Aufenthalt dort gewöhnt. Aber dass sie auch bei den Lehrern verhasst sind, das war dann doch schon eine Spur krass.
Und wie verliefen die Begegnungen mit all den anderen Lehrerinnen, die uns Hauptschüler damals zwei Jahre lang als de facto nicht lebensfähige Geschöpfe hingestellt hatten?
Dem muss vorausgeschickt werden, dass ich mit keiner einzigen dieser Damen in den fünf Jahren, die seit meinem Wegzug vergangen waren, einen persönlichen Kontakt gehabt hatte. Ich hatte lediglich in Briefen, die ausdrücklich zum allgemeinen Weiterreichen bestimmt waren, regelmäßig berichtet, was ich so erlebt hatte. (Und auch wenn ich in diesen Briefen über Interviews mit Bundesministern, Adeligen und Personen aus dem Show-Business berichtet hatte, so war ich der Meinung, das auf die Fakten beschränkt getan zu haben. Es fiel in dem Zusammenhang ganz sicher kein Wort der Selbsterhöhung und umgekehrt kein böses Wort über diverse Hauptschüler-Verächtlichmacher in meiner Ex-Gegend, obwohl es für Letzteres unzählige Anlässe gegeben hätte. Soll ich mich dafür entschuldigen, beruflich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen zu sein? Soll ich mich weiters dafür entschuldigen, dass ich schon mit 14 nicht irgendwo abgehangen habe, sondern intensiv politische Zeitungen, Zeitschriften und Bücher gelesen habe und sich das irgendwann einmal bezahlt gemacht hat?)
Lehrerin Nummer Zwei stand gerade auf einer Leiter und hantierte irgendetwas an der Zimmerdecke. Sie hielt es nicht einmal für notwendig, herabzusteigen, als ich den Raum betrat. Sie sah nur die ganze Zeit mit einem sehr kühl-feindseligem Blick zu mir herab. Sie gab auch fast kein Wort von sich, so dass ich die ganze Zeit über gezwungen war, einen Monolog zu halten, um irgendwie dieses sehr peinliche Schweigen zu überbrücken.
Lehrerin Nummer Drei fragte mich gleich zur Begrüßung, ob ich vielleicht doch wieder zurückkommen will. Ich verneinte das. Sie machte mich daraufhin an: "Na, mein lieber Christoph, du bist aber ganz schön arrogant geworden!" Ich konnte für eine solche Reaktion beim besten Willen keine Gründe erkennen.
Lehrerin Nummer Vier fragte mich kurz darauf genau dasselbe: "Und? Willst du vielleicht doch wieder hierher zurück ins schöne Thüringen?"
"Ist nicht geplant", antwortete ich kurz und leidenschaftslos.
"Na, sooo schlecht ist es hier ja auch nicht!!!!!" explodierte sie regelrecht.
Lehrerin Nummer Fünf, die direkt daneben stand und das mitbekommen hatte, kommentierte das in einer extremst abfälligen und gehässigen Tonlage: "Na jaaa, Christoph ist ja jetzt Österreicher, da ist doch Thüringen kein Thema mehr für ihn!"
Ich dachte, jemanden, der lange Jahre im Ausland war und der dann mal kurz wieder nach Hause kommt, empfängt man ein bisschen anders …
Dass mir UNVERHOHLENER, BLANKER HASS entgegen schlägt, damit hätte ich nicht gerechnet. Denn so schlimm konnte ich doch in drei Schülerleben zusammen nicht gewesen sein, dass ich einen solchen Empfang verdient hätte.
Nein, das hier war etwas Anderes. Ich hatte die unverzeihliche Sünde begangen, nicht dem Klischee eines Hauptschülers zu entsprechen.
Dass die eigene Schule seit mittlerweile einem Vierteljahrhundert hartnäckig   J E D E N   Kontakt verweigert, dass sie so ganz und gar nicht an den beruflichen Erfolgen eines ehemaligen Schülers im Ausland teilhaben möchte – das tut einem schon weh …
Es war so, wie die Amerikaner sagten: "Damned if i do, damned if i don't". Sie beschimpfen uns als Nieten und Versager, weil wir in der Hauptschule sind, sie hassen und verachten uns, wenn wir NACHWEISBARE Erfolge liefern. Das ist für mich vom gesunden Menschenverstand her nicht mehr nachvollziehbar. Da komme ich nicht mehr mit.

Und eines war auch sonnenklar: Die Tatsache, dass alle diese Lehrerinnen uns fast aufs Wort genau mit den gleichen Hasstiraden beleidigten, war ein klarer Beweis dafür, dass diese nicht von ihnen selbst stammen konnten. Sondern von der Stelle, von der sie ihre Anweisungen erhielten. Und das sind in Deutschland die Bildungsbehörden des Bundeslandes. In dem Fall Erfurt. Diese exakte Wortgleichheit war einfach ZU auffallend, die Formulierungen glichen sich fast bis aufs Komma. Man konnte hier einfach nicht mehr von Zufällen sprechen. Ein Blinder mit dem Krückstock merkte, dass es sich hierbei um etwas Nachgeplappertes von einer höhergelagerten Institution handelte.
Und wenn du da noch die generelle Neigung vieler Menschen, populäre Parolen unreflektiert wortwörtlich nachzuplappern, als wären sie eine Art "Borg-Kollektiv" von "Raumschiff Enterprise", hinzuaddierst, verstärkt das noch einmal den Eindruck, dass da System dahintersteckte, wie wir behandelt wurden.

Thema Erfurt: Es wurde mir trotz eines hervorragenden Abschlusszeugnisses nicht nur von dieser Schule, sondern auch von den Schulbehörden in Erfurt   J E G L I C H E   weiterführende Schulbildung verweigert. Einzig allein mit der Begründung, dass ich Hauptschüler sei. Punkt, aus.
Wir hatten Briefe ans Bildungsministerium in Erfurt geschrieben bezüglich   i r g e n d -
e i n e r   weiterführenden Schulbildung für mich – wurden alle sehr kurz und kaltschnäuzig abschlägig beantwortet.
Das sind für mich einfach keine Menschen mehr.

Ich hätte daher lediglich die Aussicht gehabt, ein Lehrverhältnis aus einer sehr, sehr kleinen Auswahl äußerst gering qualifizierter Berufsrichtungen aufzunehmen, ohne ernstzunehmende Aufstiegsmöglichkeiten.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ermittelte einmal in einer Studie, dass   Z W E I
D R I T T E L   aller Ausbildungsplätze in der Bundesrepublik für Schüler mit einem Hauptschulabschlusszeugnis völlig unerreichbar sind – zwei Drittel! Wie gesagt: Der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB! Noch mehr Kompetenz in Sachen Arbeitsmarkt gibt es nicht!
Und bei Studien dieser Art kommt ja oftmals eher nur die Spitze des Eisberges ans Tageslicht! Die Realität sieht oftmals noch viel krasser aus, weil bei einer Studie niemals restlos alle Faktoren erfasst werden können.

Wenn ich die ganzen zwei Jahre über nichts getan hätte, müsste ich natürlich sagen: Okay, sowas kommt von sowas. Aber bei einer Notendurchschnittssteigerung von knapp über 4,0 auf 1,15 in zwei Jahren frage ich mich schon, was diese durch einen Zufall zu Menschengestalt geronnenen Scheißehaufen, die man Eins zu Eins in die Bürokratie des Dritten Reiches verpflanzen könnte, eigentlich noch wollen …

Genau SO sahen Demokratie, Freiheit und Chancengleichheit in der Bundesrepublik aus!!!
Darum habe ich auch all meinen Bekannten in Österreich nahegelegt, das es für sie gesünder ist, das Wort "Thüringen" nicht in meiner Gegenwart zu verwenden. Mit einem politischen System, das einen zwei Jahre lang NUR in den Arsch gefickt hat, das dir mehr als deutlich zu verstehen gegeben hat, dass du in ihm der letzte Dreck vom letzten Dreck vom letzten Dreck bist, möchte man nun einmal nicht unbedingt identifiziert werden. Irgendwann stößt auch die christliche Feindesliebe mal an ihre Grenzen; das wäre dann schon Stockholm-Syndrom im fortgeschrittenen Stadium, wenn ich für diese Scheißdrecks-Landesregierung auch noch als lebendige Werbetafel herumlaufe.

Diese Einstellung der Politik und der Lehrer hatte sich natürlich auch entsprechend auf die Schüler ausgewirkt. Es war ein sehr, sehr, sehr oft gehörter Standardspruch unter ihnen: "Ach, wir sind ja nur Hauptschüler!" respektive "Wir Hauptschüler sind doch der letzte Husten!"
Wie aus Jugendlichen mit einem solchen Selbstbild einmal Erwachsene werden sollen, die in der Lage sind, in einer menschenverachtend brutal und zynisch gewordenen globalisierten Weltwirtschaft Entscheidungen zu treffen und diese auch in die Tat umzusetzen, das muss man einem kleinen Dummen wie mir mal ganz langsam, Stück für Stück, erklären.

Bin übrigens auch gerne jederzeit bereit, diese Schilderungen MIT NAMEN vor jedem Gericht dieser Welt unter Eid zu wiederholen. Jederzeit.


3. 4. Der Aufstieg des Sachsensumpfes


Wieder zurück zum Herbst 1990. Mit den neuen Schulverhältnissen kam auch Baumeister wieder.
Er hatte sich sehr verändert. Kalt und abgebrüht war er geworden. Mit seiner eigenen, kleinen Privatarmee hirnloser Schläger war er jetzt die unangefochtene Nummer Eins auf dem Schulhof. Bald darauf sprachen die Lehrer vor Angst nur noch im Flüsterton von ihm.
An dem Mikrokosmos Schule zeigte sich exemplarisch, was geschah, wenn einer Gesellschaft über Nacht die ordnende Hand einer Diktatur entzogen wurde.
Mich beachtete er inzwischen nicht mehr, worüber ich eigentlich gar nicht mal traurig war.

An dieser Stelle ein kleiner geschichtshistorischer Einschub. Er nimmt zwar einiges an Handlung in dieser Geschichte vorweg, ist jedoch erforderlich, um ein Gesamtverständnis zu schaffen bei all jenen Lesern, denen die Insiderkenntnisse zu all diesen politischen Entwicklungen fehlen.
Direkt nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 entstand auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, bedingt durch die Wirren der Übergangszeit und der noch schwach ausgeprägten rechtsstaatlichen Strukturen, eine Vielzahl krimineller Netzwerke aus ehemaligen SED-Funktionären, Stasi-Mitarbeitern, Politikern, Richtern und Staatsanwälten.
Einige dieser Personenkreise versuchten, DDR-Millionen ins Ausland zu schaffen und dort zu investieren. Wieder Andere wurden im Inland auf dem Gebiet der gewerblichen Prostitution sowie bei dubiosen Immobiliengeschäften tätig.
Später wurden diese verschiedenen mafiaartigen Strukturen von Journalisten – stark vereinfachend, da es der tatsächlichen Komplexität dieser Netzwerke nicht gerecht wird – unter dem Begriff "Sachsensumpf" zusammengefasst. (Ganz korrekt müsste man eher von vielen einzelnen Sachsensümpfen sprechen, die mal direkter, mal indirekter miteinander zusammenhängen. So wie auch nicht DIE russische oder DIE italienische Mafia als kompakte Einzelorganisation existieren – die Hydra hat stets viele Köpfe, das wussten die alten Griechen schon.) Gerüchten zufolge soll der Einfluss dieser Personenkreise bis in die Spitzen der Berliner Politik reichen.
Daher wird nun als Nächstes ein Ereignis geschildert, das die vermutliche Macht dieser Personen verdeutlichen soll.
Am 1. April 1991 wurde der seinerzeitige Treuhandanstalt-Direktor Detlev Karsten Rohwedder in seinem eigenen Haus in Düsseldorf ermordet. Die Treuhandanstalt war eine Anstalt öffentlichen Rechts, die die Aufgabe hatte, die ehemals staatseigenen Betriebe der DDR in Aktiengesellschaften und GmbH's umzuwandeln oder bei fehlender Sanierungsperspektive abzuwickeln.
Führende deutsche RAF-Experten gehen anhand starker Indizien davon aus, dass die hier beschriebenen auch noch nach der Wende existierenden Stasi-Netzwerke die Drahtzieher dieses Mordanschlages gewesen sein könnten. Rohwedder – er trat sein Amt offiziell am 1. Januar 1991 an – hatte einen harten Kurs gegen genannte alte DDR-Seilschaften angekündigt, die die Treuhandanstalt für ihre wirtschaftskriminellen Vorhaben missbrauchen wollten. Spuren am Tatort konnten zwar unzweifelhaft dem 1993 getöteten RAF-Mitglied Wolfgang Grams zugeordnet werden, namhafte Terrorexperten gehen jedoch aufgrund der Ausführung der Tat davon aus, dass es sich hierbei um eine gemeinsame Kommandoaktion von RAF-Terroristen und ehemaligen Stasi-Mitarbeitern gehandelt haben könnte. Beide hatten schon in der Vergangenheit intensiv mit dem Ziel der Destabilisierung der Bundesrepublik zusammengearbeitet.
Als Quelle berufe ich mich auf eine Dokumentation im ZDF über die Geschichte der RAF.
(Auch wenn der Mordfall Rohwedder für diese Geschichte keinerlei Relevanz besitzt, so wurde er dennoch herangezogen, um beim Leser exemplarisch ein Gefühl zu erzeugen für die Skrupellosigkeit und den ganz massiven Einfluss, den diese Personenkreise auch noch in den Jahren nach dem Untergang der DDR mutmaßlich besaßen.)
Auch der SPIEGEL schrieb über diese Zeit in seiner Ausgabe 37/1990: "Ein Heer von Asylbewerbern, Aussiedlern und Stasi-Leuten hilft beim Aufbau neuer krimineller Netzwerke mit."
Niemals werde ich vergessen, was mir damals meine Mitschülerin Katharina über den Sachsensumpf gesagt hatte, als wir uns 1997 wiedersahen: Vergiss alles, was du in "Akte X" über Regierungsverschwörungen gesehen hast. Das hier ist größer und verrückter.
In einem Internet-Forum fand ich ungefähr 20 Jahre später den folgenden Absatz:
"Simone Kroch, frühere OK-Referatsleiterin (Organisierte Kriminalität) im Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz, bestätigte als Hauptzeugin im Untersuchungsausschuss des Landtages Anfang März 2013 Hinweise auf das Bestehen fortwirkender Strukturen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in vielschichtiger Verbindung mit Organisierter Kriminalität. S. Kroch nannte die Bereiche Wirtschaft, öffentliche Verwaltung und das Rotlichtmilieu. Es habe tatsächlich Anhaltspunkte dafür gegeben, dass durch Personen aus dem Bereich der OK bewusst und zielgerichtet Situationen der Erpressbarkeit, teilweise in Verbindung mit Bestechung und Korruption, herbeigeführt werden. Das Ziel habe darin bestanden, bestimmte Personengruppen wie Angestellte, Beamte, Politiker und andere Vertreter des öffentlichen Lebens in Abhängigkeitsverhältnisse zu bringen."
Durch die Verkettung von ein paar zufälligen Ereignissen wurde ich damals in den Strudel dieser Ereignisse mit hineingezogen.
Ende der geschichtlichen Erläuterungen.

Und schließlich: Dezember 1990. Mein erster großer Auftrag für meine Frankfurter Zeitung. Ich sollte über eine Art Mischung aus Ball und Auszeichnungsveranstaltung für die neue Leipziger Wirtschaftselite nach der Wende berichten. Unglaublich, dieses Gefühl, jetzt in die Welt der Erwachsenen einzutreten.
Ich durfte eine Begleitperson mitbringen, meine Wahl fiel auf Carmen. 14 Tage vorher fragte ich sie. Die Gelegenheit war günstig, da sie jeden Freitagnachmittag, nachdem bei ihr am Gymnasium Schulschluss war, zu uns an die Schule zur Pop-Gymnastik kam. Ich fing sie im Flur vor der Turnhalle ab. Sie war außer sich vor Freude!
Ihre Mutter fuhr mit ihr sogar ein paar Tage vor dem Ereignis nach Sömmerda, in die Kreisstadt, um mit ihr gemeinsam ein neues Ballkleid zu kaufen. Von der ersten Anprobe zuhause besitze ich bis heute eine Fotografie.
Ein Fahrer holte uns von Carmens Elternhaus ab und brachte uns nach Leipzig. Am frühen Abend trafen wir in der Stadt ein.
Wir gingen zunächst in ein Café, wo ich uns beiden einen Rieseneisbecher spendierte. Dann fuhren wir zum Veranstaltungsort, irgendein repräsentatives Gebäude im Stil der sowjetisch geprägten Architektur der Fünfziger Jahre.
Innen erwartete uns eine völlig andere, faszinierende Welt. Ein rauschendes Fest war dort im Gange. So oder ähnlich mussten die legendären Feste der Zwanziger Jahre gewesen sein, die ich nur aus alten Beschreibungen kannte.
Ich habe das Bild noch heute vor Augen, wie Carmen sich von ihrem Platz aus unentwegt in dem Saal umsah und meinte, das käme ihr alles wie ein Traum vor.
Es sollte sich bald in einen Alptraum verwandeln.
Der offizielle Teil und das Buffet waren vorüber, ich hatte meine Interviews erledigt.
Irgendwann im weit fortgeschrittenen Verlauf des Abends verließ ich das Haus mal kurz, da mir ziemlich heiß geworden war. Ich ging eine Runde um den Block.
Als ich an einem Parkplatz mal kurz Pause machte, beobachtete ich etwas Merkwürdiges.
Ein schwarzer Mercedes, wie ich in der Dunkelheit gerade noch so erkennen konnte, tauchte auf. Türen klappten, Männer stiegen daraus aus. Sie trugen alle Anzug und Krawatte, sahen ein bisschen aus wie Bodyguards. Irgendetwas Unheimliches, ohne, dass ich sagen konnte, was, ging von dem Gefährt und seinen Insassen aus …
Irgendwann waren insgesamt vier schwarze Mercedesse erschienen. Aus allen waren diese geheimnisvollen Männer in Schwarz ausgestiegen. Sie tauschten irgendetwas aus, Nachrichten oder Gegenstände oder beides …
Ich hatte das Gefühl, als ob die Luft zum Zerhacken wäre … Die Beine waren bei mir schwer wie Beton …
Schließlich trennten sie sich wieder und stiegen in ihre Wagen. Einer nach dem anderen fuhr von dem hofartigen Parkplatz zwischen zwei hohen Gebäuden.
Gespenstisch …
Carmen und ich hatten mit unserem Fahrer einen bestimmten Ort ausgemacht, von dem aus er uns abholen sollte.
Wir waren rechtzeitig da. Doch kein Fahrer ließ sich blicken.
Wir warteten. Eine halbe Stunde, vielleicht auch eine Dreiviertel- oder ganze Stunde. Nichts.
Schließlich tauchte auf dem Fußweg wieder ein geheimnisvoller Mann auf. Mit seinem schwarzen Ledermantel und dem schwarzen Lederhut wirkte er fast ein bisschen wie das Klischeebild eines KGB-Agenten aus den Fünfziger Jahren. Er rief unsere Namen.
Doch er wollte uns nichts Böses. Er arbeite im Krankenhaus, teilte er uns mit. Ein bisschen verschämt ließ er uns wissen, dass unser Fahrer die Wartezeit genutzt habe, um sich auf dem Straßenstrich zu amüsieren.
Der Beschreibung nach genau diesselben geheimnisvollen Männer – mit schwarzen Anzügen und schwarzen Mercedessen –, die ich kurz zuvor noch beobachtete, tauchten ebenfalls an diesem Abend auf dem Leipziger Straßenstrich auf, um im Auftrage einer konkurrierenden Unterweltorganisation alles kurz und klein zu schlagen und in Brand zu stecken. Unser Fahrer wurde dabei durch ein herumfliegendes Trümmerteil von einer Explosion verletzt. Verschiedene Zuhälterkreise lieferten sich schon seit Wochen ein brutales Schlachtfeld um die lukrativsten Standplätze der Bordsteinschwalben, gab er uns noch ein paar Insiderinformationen.
Und unser Fahrer, so sagte er abschließend, habe dringlich gebeten, dass uns jemand vom Personal verständigt.
Aber weiter konnte er sich nicht ums uns kümmern, da im Krankenhaus schon wieder seine Hilfe gebraucht wurde.
Ich war wie vom Blitz getroffen! Ich konnte mich nicht erinnern, in meinem bisherigen Leben schon einmal derart verzweifelt und ratlos gewesen zu sein! Allein, ohne Geld und Fahrscheine, die Nacht verbringen in einer Stadt von einer halben Million Einwohner, in der außerdem gerade ein Bandenkrieg der Sorte Chicago Zwanziger Jahre begann …
Carmen und ich zogen eine Weile wie Hänsel und Gretel durch die nächtliche Großstadt.
Irgendwann erfasste mich dann einfach ein Impuls, in ein beliebiges Lokal zu gehen und dem Personal dort unsere Situation zu schildern. Damit es die Polizei, das Rote Kreuz oder den Papst verständigte.
Eine Bar oder Gaststätte mit auffallender Beleuchtung zog meine Aufmerksamkeit an. Wir traten ein.
Ohne Zeit zu verlieren, ging ich direkt auf die Barfrau hinter der Theke zu, die uns schon beim Hereinkommen bemerkt hatte. In kurzen, knappen Worten schilderte ich unsere Situation.
Dann kamen jene verhängnisvollen zwei, drei Minuten, nach denen nichts mehr so sein sollte, wie es vorher war. Nach denen das Schicksal mit aller Konsequenz seinen Lauf nahm.
Ich wusste nicht mehr, wie oft ich in den vergangenen knappen 30 Jahren wieder und wieder und wieder im Kopf jede nur denkbare Alternative durchgespielt hatte. Was wäre, wenn dieses oder jenes so oder so gekommen wäre …
Auf einem eingerahmten Foto hinter der Theke entdeckte ich das Konterfei Gornwalds, zusammen mit noch zwei weiteren mir unbekannten Personen. Auch sein Name befand sich darüber.
Ich erstarrte! Es kam so völlig unerwartet und unvermittelt, dass da plötzlich eine Person aus meiner Vergangenheit auftauchte, dass ich erst einmal eine gewisse Zeit brauchte, das zu verarbeiten.
Schließlich erkundigte ich mich bei der Tresenfrau nach ihm. Sie bestätigte die Richtigkeit meiner Annahme. Ich bat sie, ihn irgendwie zu verständigen, teilte ihr auch mit, dass ich ein alter Bekannter von ihm sei.
Er schien ehrlich begeistert über das Wiedersehen zu sein, ließ uns mit einem Auto abholen.
Die Fahrt ging quer durch die Stadt zu seinem anderen Objekt.
Gornwald war inzwischen Eigentümer zweier ansehnlicher gastronomischer Betriebe in Leipzig geworden. Es war die Zeit des großen Glücksrittertums in der Wirtschaft der neuen Bundesländer. Wer damals seinen Schnitt machte, hatte ausgesorgt. Und ein Mann wie Gornwald wusste immer, in welche Keksdose er seine Finger stecken musste; und wenn sein eigenes Schiff unterging, sprang er ins Wasser, schwamm davon und kaperte kurz darauf ein neues.
An diesem Abend kümmerte er sich rührend um uns. Für unsere Rückkehr organisierte er einen Gratismitflug in einem Helikopter bis wenige Kilometer vor unsere Stadt. Er schien jede Menge wirtschaftlicher Beziehungen in der Stadt zu haben.
Während ich in den folgenden zwei Stunden mit den zuständigen Personen die Details unseres Rückfluges regelte, blieb Carmen bei Gornwald. Hier nahm das Verhängnis seinen Lauf.
In den frühen Morgenstunden, noch bei tiefschwarzer Nacht, betraten wir den Leipziger Flughafen über einen Betriebseingang. Kurz darauf hoben wir mit einem Helikopter ab.

Vom Landepunkt hatte uns glücklicherweise noch jemand mit dem Auto die paar Kilometer nach Kastanienberg gebracht. Ich verabschiedete mich von Carmen und dem Fahrer auf dem Roßplatz und stieg dort aus. Kurz nach Sonnenaufgang kam ich zuhause in unserer Straße an.
Ich wollte mich nur noch ausschlafen nach den Abenteuern dieser Nacht, als ich kurz vor unserem Haus eine Nachbarin traf. Sie teilte mir etwas Unfassbares mit: Silke hatte am vergangenen Tag einen Selbstmordversuch unternommen! Nun lag sie im Koma im Krankenhaus.

In der Schule erfuhr ich nähere Details. Sie hatte einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem sie schrieb, dass sie ihr Leben als Hauptschülerin nicht mehr länger ertrug.
Ich sehe es bis heute vor mir, wie ich an jenem Tag in den Flur vor der Turnhalle gegangen war, wo ich allein sein konnte. Dort schlug ich so oft mit aller Gewalt mit dem Kopf gegen die Wand, bis ich fast ohnmächtig wurde.
Ich hatte mich immer an den Gedanken geklammert, dass ich, sobald die zwei Jahre vorbei sind, hier in den Sack hauen und niemals wiederkommen würde. Silke stand scheinbar keine Perspektive dieser Art zur Verfügung.
Es wurde ein sehr nachdenkliches und gedrücktes Weihnachten 1990.

An einem Tag im Januar 1991 verloren die Ärzte den Kampf um Silkes Leben. Ich hatte es am frühen Morgen gleich als Erstes in der Schule erfahren. Es war ein eiskalter Januartag. Die Sonne schien grell hinter einem leichten Dunst in der Luft.
Am Vormittag hatten sie in der großen Pause im Schulhof über den Schulfunk "Crockett's Theme" von Jan Hammer, die Titelmelodie von "Miami Vice", gespielt. Seitdem verfolgte mich das Instrumental im Geiste. Stundenlang. Ununterbrochen.
Direkt nach der Schule fuhr ich mit dem Zug nach Erfurt, um gemeinsam mit Silkes Eltern in die Klinik zu gehen.
Vor der Klinik traf ich dann auch auf Silkes Eltern. Silkes größere Schwester war schon am frühen Morgen dagewesen, um von ihr Abschied zu nehmen.
Wir betraten die Leichenhalle, wo Silke aufgebahrt war. Ich hielt mich aus Rücksichtsgründen Silkes Eltern gegenüber im Hintergrund bei der Tür auf.
Die Eltern traten auf einen Mediziner in der Mitte des Raumes zu, begrüßten ihn. Was sie miteinander sprachen, bekam ich trotz Hörweite nicht mit, da ich mit einem Male voll und ganz auf die dem Tisch liegende Silke fixiert war. Wie man es aus Kriminalfilmen kannte, war sie bis zum Hals mit einem Tuch zugedeckt.
Silkes Eltern blieben vor ihrer toten Tochter stehen. Standen dort stumm eine Weile.
Mit einem Male brach ihre Mutter schluchzend auf dem Fußboden zusammen. Ihr Vater erstarrte unterdessen, den Blick nicht eine Sekunde von seiner Tochter abwendend, zur Salzsäule.
Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus war ich noch an die zwei Stunden ziellos durch die Stadt geirrt.
Zwischendurch dachte ich: Es ist eigenartig. Eine Schulfreundin von dir ist gerade an den Folgen eines Selbstmordversuchs gestorben. Weshalb bist du da nicht verzweifelt, am Boden zerstört? Wieso rutschst du da nicht zusammen?
Stattdessen war in mir einfach nur – nichts. Nichts. Leere. Vollkommene Leere. Ein ausgekohlter Tagebau. Ein Haus, das von seinen Bewohnern verlassen und vollkommen leer geräumt worden war. Eine leere Verpackung von irgendetwas, dessen Inhalt verbraucht worden war.
Bis auf diese Melodie im Kopf. Die jedes Mal, wenn sie zu Ende abgespielt war, wieder von Neuem begann. Ununterbrochen. Ein Kreislauf, der nicht endete.
Es war ein eiskalter Januartag. Die Sonne schien grell hinter einem leichten Dunst in der Luft.

Ich war mit auf Silkes Beerdigung in ihrem Heimatdorf anwesend. Ihr Sarg wurde von kommunalen Angestellten der Friedhofsverwaltung auf einem stafettenartigen Wagen zu ihrer Grabstelle gezogen. Ein langer, schmaler, fast immer nur ein Mann breiter Trauerzug hatte sich dahinter gebildet. Ganz vorn gingen ihre Eltern, dahinter ihre Verwandtschaft. Etliche Leute aus dem Dorf folgten. Ich befand mich irgendwo im hinteren Drittel.

Ende Februar 1991, an einem schon ziemlich warmen Vorfrühlingstag, hielten Mutter und ich uns in Sömmerda auf. Am späteren Nachmittag trafen wir in einer Straße im Bahnhofsviertel eine Frau, die wir damals wohl kannten. Ich hatte längst vergessen, wer das war. Sie berichtete uns, dass Carmen von zuhause abgehauen sei und niemand wisse, wo sie sich aufhalte.
Sie hatte einen Abschiedsbrief hinterlassen, in welchem sie ihre Beweggründe mitteilte. Silke hatte sie am Tag ihres Selbstmordversuches angerufen, wolle mal mit ihr reden. Sie klang dabei zwar irgendwie weltentrückt, nannte jedoch keine näheren Gründe. Carmen wimmelte sie ab, weil sie sich im Vorbereitungsstress auf unsere Leipzigfahrt befand, vertröstete sie auf später.
Als sie erfuhr, dass sie ihre Freundin in dieser entscheidenden Stunde im Stich gelassen hatte, zerbrach etwas in ihr. Danach verließ sie ihr Zuhause mit unbekanntem Ziel.

1991 war auch das Jahr, in dem die Drogen unsere Schule eroberten. Oftmals, wenn ich über den Schulhof ging, kam ich mir vor wie Bud Spencer in dem Film "Plattfuß", als er in der Rolle des Kommissar Rizzo durch Neapel spazieren ging und überall beobachtete, wie mit Koks gedealt wurde.
Auch das sollte in dieser Geschichte noch eine Rolle spielen.

Carmen blieb verschwunden. Es gab keine Spur von ihr.
Schließlich beschlossen ihre Eltern, einen Privatdetektiv aus dem Westen einzuschalten.
Die meisten von ihnen hatten völlig überzogene Preisvorstellungen oder wirkten nicht sehr kompetent.
Dann aber nahm das Leben eine erstaunliche Wendung, wie noch so oft bei dieser Geschichte. Die beiden Münchner Detektive traten nun auf den Plan. Sie wurden von sich aus bei Carmens Eltern vorstellig. Der Wolf-Roth-Typ und sein ungefähr zwanzig Jahre jüngerer Kompagnon aus Nordrhein-Westfalen. Erst 25 Jahre später war es mir gelungen, mir ihre Namen dauerhaft einzuprägen: Braunmüller und Lawinke.
Der Fall interessiere sie, weil sie bereits einen konkreten Verdacht hätten, teilten sie mit. Und dieser Verdacht hörte auf den Namen: Hartmut Gornwald!
Ich fiel aus allen Wolken!
Sie kannten Gornwald schon aus der Zeit vor dem Mauerfall, berichteten sie, im Zusammenhang mit den Freikäufen politischer Häftlinge aus der DDR durch die Bundesregierung.
Ihre Detektei wurde damals von mehreren Anwälten beauftragt, zunächst diskret das Umfeld im Osten zu erkunden, Lageberichte zu schreiben, bevor die große Bonner Politik offiziell aktiv wurde. Sie gehörten zu all den unzähligen Vorbereitern dieser humanitären Aktion, deren Namen niemals in irgendwelchen Geschichtsbüchern aufscheinen würden. Aus diplomatischen Gründen wahrten damals beide Seiten größtmögliches Stillschweigen, um den Deal nicht zu gefährden. Daher war bis heute über jenen Teil der deutsch-deutschen Geschichte kaum etwas bekannt.
Damals hatten sie oft mit Gornwald zu tun. Er war auf östlicher Seite für die Abwicklung des Geschäfts mit verantwortlich.
Im Frühjahr 1990 tauchte Gornwald in der Münchner Detektei auf. Wie sie ja wissen, sagte er den Ermittlern, werde sein Arbeitsplatz jetzt "abgewickelt", wie man das damals nannte. Darum müsse er sich beruflich neu orientieren. Er habe da auch schon ein paar Ideen, und er fragte seine ehemaligen Münchner Geschäftspartner, ob sie ihm Kontakte ins westliche Rotlicht-Milieu vermitteln könnten.
Die beiden Detektive gingen darauf jedoch gar nicht ein, sondern wimmelten den zwielichtigen Ex-Stasi ab. Die ganze Sache war ihnen zu schmutzig.
Und als sie dann von dem aktuellen Fall hörten und sich in dessen Einzelheiten vertieften, ging ihnen sofort nur ein Name im Kopf herum: Gornwald! Es gab von Anfang an sehr viele Spuren, die in seine Richtung deuteten.

Mai 1991. Seit einiger Zeit hatte ich das regelmäßige Laufen auf die Zeit ab Abends 20:00 Uhr verlegt. Ich nahm dafür jedes Mal das Verbindungsstück zwischen Stellwerk und Wirtschaftsweg nach Großneuhausen und Kleinneuhausen. Die größtenteils völlig vergraste Strecke, die entlang der Eisenbahngleise nach Großneuhausen führte.
Ich lief die Strecke ein paar Mal hin und her. Jedes Mal endete es damit, dass ich mich zum Schluss auf den Erdboden in direkter Nähe von den Schranken beim Stellwerk setzte. Angelehnt an den schmalen, langen, rechteckigen Stein, der dort aus der Erde wie ein Finger herausragte. Dort starrte ich reglos in den roten und gelben Abendhimmel, der über dem Bahnhof lag.
Jeden Abend musste ich dabei an Carmen denken. Wo sie jetzt sein mag, welche Dinge sie jetzt tun mag, woran sie jetzt denkt. Das kam ganz automatisch. Abend für Abend. Wie ein Band in einer Endlosschleife. Solange all diese Fragen nicht geklärt waren, konnte ich keinen inneren Frieden finden.
Ebenfalls als Endlosschleife, während ich in den Himmel starrte, hörte ich im Geiste – paradoxerweise am fortgeschrittenen Abend – "Early Morning" von "A-ha".

Die Münchner Detektive hatten eine Spur der vermissten Carmen entdeckt. Sie betraf einen Aktionskünstler aus Leipzig, welcher mit splitternackten jungen Frauen öffentlich Body-Painting-Sessions veranstaltete. Sein nächster Auftritt fand in Erfurt statt. Und für dort war ein Treffen vereinbart worden. Auch ich war dazu wieder eingeladen worden, für den Fall, dass irgendwelche Informationen über Carmen benötigt würden, die sie nur Gleichaltrigen anvertraut hatte.
Als ich das mit dem Nacktbemalen erfuhr, dachte ich: Warum soll nicht in einer Zeit, die mit soviel Leid verbunden ist, auch einmal etwas Angenehmes passieren?
Wir fuhren zu Dritt nach Erfurt. Das Ganze fand in einem Kellerclub statt.
Zunächst nahmen wir im Publikum Platz und sahen uns ganz normal die Show an.
Der Auftritt begann. Der Maler und sein Modell, eine junge Frau irgendwas Mitte/Ende Zwanzig, betraten die Bühne. Der Maler in einem hellgrauen Arbeitskittel, das Modell in einem Bademantel. Unten sahen die nackten Füße heraus.
Applaus machte sich breit.
Wortlos setzte sich der Maler auf einen bereitgestellten Stuhl. Mit Ausnahme eines riesigen Spiegels an der Rückwand der Bühne das einzige Requisit dort oben.
Die junge Frau öffnete ihren Bademantel und ließ ihn zu Boden fallen.
Ein entsetztes Raunen ging durch die Zuschauerreihen. Unter dem Bademantel war sie tatsächlich   s p l i t t e r n a c k t!   S p l i t t e r n a c k t   a u s g e z o g e n   stand sie nun auf der Bühne! Nicht einen Fetzen Stoff trug sie am Leib! Nicht einmal Schuhe.
Durch den Spiegel an der Rückwand der Bühne konnte man die Frau gleichzeitig von vorn und von hinten sehen.
Völlig nackt stand sie wortlos dem Publikum zugewandt auf der Bühne.
Ich begann sie von oben bis unten zu studieren. Sie war ungefähr Einmetersiebzig groß. Ihr langes, glattes, rötlichbraunes Haar hatte sie am Hinterkopf zu einer Schwalbenschwanzfrisur aufgesteckt. Ihre Brüste gingen von der Form her leicht ins Spitze. Vom Körperbau her war sie insgesamt ziemlich schlank, einzig um die Taille herum geringfügig stärker gebaut. Glatte, straffe, makellose, rosa Haut hatte sie am ganzen Körper. Na, und ihr Dreieck erst! Sie hatte ein exakt gleichseitiges, dichtes, buschiges Dreieck von solch umwerfender Schönheit, dass es der Liebe Gott an einem Sonntag nach der ersten Tasse Kaffee modelliert haben musste.
Nach ein paar vorbereitenden Handgriffen begann der Künstler dann mit der Bearbeitung der Rückansicht der Frau.
Irgendwann später, als ihre Rückseite vollständig bemalt war, drehte sie sich auf Aufforderung des Malers um, damit er auch ihre Vorderseite bearbeiten konnte. Womit das Publikum die zweite Halbzeit über im Anblick ihrer zwei kräftig gebauten Pohälften schwelgen konnte. Es war ein hübsch strammer, kräftiger, runder Po.
Hinterher unterhielten die Detektive und ich uns dann mit dem Maler.
Was er uns erzählte, klang fast wie aus einem schlechten Roman. Aus einem ganz schlechten. Er berichtete von einem äußerst elitären, mafiaartigen Kreis alter und neuer Bonzen, der vor allem im Städtedreieck Dresden-Chemnitz-Leipzig sein Unwesen treibe. Er berichtete von Koks-und-Sex-Orgien mit jungen Mädchen, die zum Teil kaum älter als 15 Jahre alt seien.
Er selbst sei ein paar Mal zu diversen Feiern eingeladen worden. Er habe sich von diesen Kreisen allerdings wieder entfernt, als er sah, wieviel Macht diese Leute haben. Das habe ihm solche Angst gemacht, dass ihm jetzt noch "ganz schwummrig" werde, wenn er bloß daran denke.
Abschließend warnte er uns, der Polizei zu vertrauen. Auch von ihr seien immer mal wieder Vertreter in diesem Milieu aufgetaucht.
Mein erster Gedanke danach war der, dass es seit Carmens Verschwinden seitens der Polizei praktisch keine Ermittlungsfortschritte gegeben hatte …Es lief mir eiskalt den Rücken herunter …

Die Detektive sollten mit ihrem Instinkt Recht behalten. Mehr und mehr bis zur Gewissheit schließlich verdichteten sich in den nun folgenden Monaten die Hinweise, dass Gornwald hinter Carmens Verschwinden stand, und dass sie höchstwahrscheinlich in Leipzig festgehalten wurde.

Und schließlich, im Oktober 1991, war es soweit. Carmens Auslöse stand unmittelbar bevor.
Die Detektive hatten mir den Tag per Telegramm mitgeteilt. Über ein vorher vereinbartes Codewort, aus Sicherheitsgründen. Bei unserem letzten Treffen mit ihnen war ausgemacht worden, dass ich zu der Sache mitfahre. Es könnte sich psychologisch als Vorteil herausstellen, wenn bei ihrem Empfang auch ein Gleichaltriger anwesend ist, den sie kennt, "und nicht bloß wir alten Säcke", wie mir Braunmüller lachend mitgeteilt hatte.
Natürlich schmeichelte es meinem Ego, dass mich die knallharten Ermittler aus dem Westen als einen der Ihren behandelten. Fast vergaß ich darüber, dass wir hier eigentlich eine sehr ernste und traurige Angelegenheit zu erledigen hatten.
Der Tag rückte immer näher. Schließlich war es soweit. Ein Freitag. Ein trüber, windiger Tag im Oktober.
Ich hatte Mutter gesagt, ich würde übers Wochenende mit ein paar Kumpels in Leipzig einen draufmachen. Teilte ich ihr mit, auf welches gefährliche Abenteuer ich mich da eingelassen hatte, hätte sie wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen.

Während der Autofahrt nach Leipzig wurde ich dann auch in den jüngsten Stand der Entwicklung der Dinge eingeweiht. Den Detektiven war schon länger bewusst, dass Gornwald sie in Leipzig versteckt hielt. Der größte Teil der Arbeit der zurückliegenden Monate bestand daher in Verhandlungen. Gornwald spielte auf Zeit. In seiner Skrupellosigkeit wollte er die Kuh zweimal melken. Zum einen wollte er das attraktive Mädchen sich in seinem Bordell so lange prostituieren lassen, bis es körperlich und psychisch vollkommen verbraucht war. Und wenn das soweit war, wollte er zusätzlich noch das Lösegeld für seinen Freikauf einstreichen.
Das Geld für den Freikauf, berichtete mir Braunmüller, käme von einer international tätigen Foundation in Amerika, welche den Angehörigen von Entführungsopfern das Lösegeld vorstreckt.

Unser Ziel war das Gastronomie- und Rotlichtunternehmen von Hartmut Gornwald. Die Nachtbar, in der ich ein Jahr zuvor Gornwald wiedergesehen hatten. In jener unheilsschwangeren Nacht, in der diese ganze verrückte Geschichte ihren Ausgangspunkt genommen hatte.
Das ist alles wie ein Traum, hatte Carmen mir damals strahlend auf dem Ball gesagt. Wie schnell sich ein Traum in einen Alptraum verwandeln konnte.
Die Detektive sagten mir, dass ich aus Sicherheitsgründen im Auto auf sie warten solle. Sie gaben mir ein Walkie Talkie, mit dem ich mich im äußersten Notfall melden konnte. Danach stiegen sie aus.

Eine unbestimmte Zeit war vergangen. Ein Wagen parkte in unmittelbarer Nähe. Ich schenkte ihm zunächst keinerlei Beachtung, da seit unserer Ankunft Dutzende Menschen gekommen und gegangen waren.
Plötzlich dachte ich, mich trifft ein Blitz! Baumeister!
Was machte er denn hier???
Ich sah nun genauer hin. Er war einem bananengelben Audi 80 entstiegen. Mit ihm zwei erwachsene Männer.
Nachdem der Fahrer seine Tür abgeschlossen hatte, bewegten sie sich in Richtung Gornwalds Unternehmen.
Ich verstand überhaupt nichts mehr.
Vorsichtshalber rutschte ich auf meinem Platz auf der Rückbank des Wagens hinter die beiden vorderen Sitze, gerade soweit, dass ich noch mitverfolgen konnte, was draußen vor sich ging.
Die Männer gingen in das Gebäude.
In mir schoss es hin und her. Sollte ich die Detektive verständigen?
Schließlich rang ich mich dazu durch. Wenn etwas so Eigenartiges passierte, dann war das eindeutig ein Notfall.
Ich schob mich auf den rechten hinteren Sitz. Ich wollte mich draußen melden, da ich nicht wusste, wie der Empfang in dem Faradayschen Käfig war.
Ich öffnete die Tür, stieg aus und schloss die Tür. Vorsichtshalber hockte ich mich neben dem Wagen hin, um von innen nicht gesehen zu werden.
Ich drückte auf den Knopf, der mir vorher gezeigt worden war.
Das übliche Rauschen und Knacken ertönte, dann meldete sich der jüngere der Detektive. "He Leute, hier ist gerade eine ganz merkwürdige Sache im Gange. Ein Mitschüler von mir ist gerade aus einem Auto ausgestiegen und hat mit ein paar Männern das Gebäude betreten."
"Und was macht der hier?"
"Keine Ahnung, darum melde ich mich ja."
"Okay, komm rein. Sag, dass du zu uns gehörst."

Im ersten Stock hatte man mich gebeten, in einer Art Vorzimmer mit ein paar Couchgarnituren Platz zu nehmen.
Mit all den denkwürdigen Ereignissen dieses Tages sollte es noch nicht vorbei sein. Wenn es an einem Tag dick kam, dann kam es in der Regel knüppeldick.
Urplötzlich gab es einen riesigen Krach im Erdgeschoss. Man hörte Frauen kreischen, Glas splittern und noch ein paar Geräusche, die ich so schnell nicht deuten konnte.
Die Tür zum Büro mir gegenüber ging auf. Der Braunmüller und sein jüngerer Kollege Lawinke verließen mit sehr angespannten, ernsten Mienen das Büro. Wenn diese zwei stahlharten Typen ernst schauten, dann war wirklich Achterbahn. Soweit kannte ich sie inzwischen. Hinter ihnen, hysterisch fuchtelnd und gestikulierend, Gornwald. Aufgeregt redete er irgendetwas von "… die Konkurrenz, die Konkurrenz …" Er wiederholte das ständig.
Braunmüller zog seine Waffe aus dem Halfter und wies mich an: "Du bleibst hier sitzen und rührst dich nicht von der Stelle!" Danach schlichen die drei Männer hintereinander die Treppe hinunter.
Gornwald war so aufgeregt, dass er mich nicht einmal bemerkte, obwohl ich mich direkt neben ihm befand.
Nachdem sie einen Augenblick lang verschwunden waren, missachtete ich die Anweisung und bewegte mich ebenfalls in Richtung Treppe. Falls es wirklich gefährlich würde, wollte ich mich irgendwo in der Nähe zu einer rettenden Fluchttür ins Freie befinden. Dieses Haus erschien mir in dieser Situation wie eine tödliche Falle.
Mit fast vollständig angehaltenem Atem, mich ganz eng an der Wand entlang drückend, schlich ich nach unten. Meine Beine waren dabei schwer wie Beton und ich hatte das Gefühl, dass mein Kreislauf jeden Augenblick aussetzen würde.
Irgendwann kam ich im Erdgeschoss an. Ein Vorgang, der im Höchstfall eine Minute in Anspruch nahm, erschien einem unter diesen Umständen wie ein halbe Stunde.
Ich hatte bis dahin schon geglaubt, dass die Anspannung nicht mehr größer sein könnte. Aber was ich dann durch einen Türspalt sah, ließ mich vollkommen zu Stein erstarren.
Drei Männer, vollständig in Schwarz gekleidet und mit schwarzen Gesichtsmasken mit Augenschlitzen, demolierten mit Baseball-Schlägern die Einrichtung. Warfen um, was umzuwerfen war. In mir war nur noch ein einziger Gedanke vorhanden: Das ist jetzt eine ganz, ganz dumme Situation …
Mehr zu denken war ich nicht in der Lage. Ich war vollkommen paralysiert vom Anblick der schwarz gekleideten Männer.
Was dann geschah, ließ sich nur in Zeitlupe beschreiben. Und zwar Bild für Bild, wie unter einem Schneidetisch für Schmalfilme. Mit einem riesigen Sprung landete Braunmüller in dem Barraum. Er war seitlich gesprungen, den Kopf ebenfalls zur Seite gedreht. Die Handfeuerwaffe dabei ausgestreckt.
Beängstigendes Schweigen. Totenstille. Nicht einmal ein Hüsteln war zu hören. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Niemand in dem Raum wagte auch nur zu blinzeln. Alle waren an ihren Orten in einer bestimmten Körperhaltung eingefroren und wagten nicht, diese auch nur um einen Millimeter zu verändern.
Es war Erlösung, als die Stimme Braunmüllers die Stille durchbrach. "Schluss jetzt!" rief er laut. Und danach in der gleichen Lautstärke, mit Bestimmtheit in der Tonlage, aber ohne arrogant zu klingen: "Wir werden uns jetzt alle wie erwachsene Menschen verhalten! Dann wird hier niemandem etwas geschehen!"
Mann, ist der cool, dachte ich …
Die Schläger zögerten zunächst kurz. Dann bewegten sie sich langsam, Schritt für Schritt, rückwärts gehend, in Richtung Ausgang.
Dort stieß einer von ihnen die Tür auf. Dann drehten sie sich auf einmal schnell um und rannten raus.
Ihren Auftrag, bei der Konkurrenz für Angst und Schrecken zu sorgen, hatten sie einigermaßen erledigt.
Es dauerte danach noch, ehe sich die Situation wieder halbwegs normalisierte.
In den Sekunden unmittelbar nachdem die Ganoven verschwunden waren, wagte immer noch keiner, sich zu rühren. Vermutlich fürchtete man, sie könnten zurückkommen.
Kurz darauf lösten sich dann die ersten Personen aus ihrer erstarrten Körperhaltung. Erste kurze Sätze wurden gesprochen.
Da es nichts mehr zu sehen gab, lief ich die Treppe wieder hoch, diesmal entspannter.

Vielleicht eine halbe, vielleicht eine Dreiviertelstunde später, das erste, was man in Stresssituationen völlig verliert, ist das Gefühl für Zeit, wurde Carmen von den Detektiven nach draußen geführt.
Niemals werde ich meine Erschütterung über ihren Anblick vergessen! Carmen wirkte blass, abgemagert, übermüdet. Dunkle Schatten befanden sich um ihre Augen. Sie sah aus wie ein Geist, war körperlich vollkommen eingefallen. Laufen konnte sie nur ganz langsam, schwankend, konnte nur noch ganz kleine Trippelschritte machen. Ihr musste Unvorstellbares wiederfahren sein.
Sie sprach kein Wort. Mich schien sie gar nicht wahrzunehmen, als ob ich ein Geist wäre. Sie vermied es regelrecht, mich anzusehen.
Ich wusste nicht, ob ich ihr jetzt um den Hals fallen sollte, ich wusste überhaupt nicht, wie ich mich in der Situation verhalten sollte, ja nicht einmal, was ich zu ihr sagen sollte. Das Ganze überforderte mich einfach.
Mein Gott, was haben die bloß mit ihr gemacht? durchfuhr es mich.
Ich erfuhr nun, was sich gerade da drinnen zugetragen hatte. Glück im Unglück an jenem Tag:
Der Schreck über die Tatsache, dass er, der große Gornwald, in seiner eigenen Festung derart angreif- und verletzbar war, war ihm solchermaßen in die Glieder gefahren, dass er so etwas Ähnliches wie Menschlichkeit zeigte und "großzügig" auf das Lösegeld für Carmen verzichtete. Somit blieb Carmens Familie nur das Honorar für die Detektive zu begleichen.
Auch ein Hartmut Gornwald besaß einen Schwachpunkt, an dem man ihn empfindlich treffen konnte: Sein Glaube an seine eigene Grandiosität und Unbesiegbarkeit. Dieser war an jenem Tage geradezu nachhaltig erschüttert worden.

Wir hatten Frohndorf hinter uns gelassen und befanden uns auf der F 176 kurz vor Kastanienberg. Finstere Nacht war es inzwischen geworden.
Völlig schweigsam, apathisch, hatte Carmen die ganze Zeit über neben mir auf dem Rücksitz zugebracht.
Wieder einmal drehte ich mich um und sah aus dem Heckfenster. Da war er wieder, der gelbe Wagen, der uns seit Leipzig mit Unterbrechungen gefolgt war. Und ein gelber Wagen, ein Audi 80, war es auch, aus dem in Leipzig Baumeister mit noch einem anderen Mann ausgestiegen war.
Ich war von den Erlebnissen des Tages bereits so paranoid geworden, dass ich als Nächstes sah, wie sie versuchen würden, uns mit ihrem Wagen von der Fahrbahn zu drängen, wie man es aus Krimis kannte. Um das zu verhindern, bat ich die Münchner, das letzte Teilstück der Strecke auf einem Feldweg parallel zur Landstraße, welcher mir gut vertraut war, zurückzulegen.
Ungefähr in der Mitte des Weges verließen wir den Feldweg wieder. Wir bogen auf den Verbindungsweg ein, der nordwärts zur Ladestraße des Bahnhofes führte. Über die Ladestraße erreichten wir die Vorderfront des Bahnhofsgebäudes am Ende der Bahnhofstraße. Gleich darauf zogen rechts die ersten Häuser der leeren, nächtlichen, spätherbstlichen Kastanienberger Bahnhofstraße vorbei. Nun konnte nichts mehr geschehen.

Ein Freitag Mitte November 1991. In der Schule war mir in der Pause zu Ohren gekommen, dass auf der Tanzveranstaltung am Abend in der Turnhalle irgendetwas geschehen würde. Ich hatte nur Satzfetzen im Vorbeigehen aufgeschnappt. Aber irgendetwas sollte los sein an dem Abend. Irgendetwas würde heute passieren.
Ich hatte Mutter nur von einem Schwof erzählt, der am Abend in der Turnhalle der Schule stattfindet. Und dass ich da mal kurz vorbeisehen wollte. Ich wollte sie nicht beunruhigen.
Stockfinstere Nacht war bereits hereingebrochen, als unser Haus verließ.

Als ich in der Bachstraße bei der Schule ankam, sah ich bereits von weitem Schülergruppen am dortigen Eingang des Schulgebäudes stehen. Sie unterhielten sich laut. Laute Musik drang auch schon aus der Turnhalle nach draußen.
Da ich selber nicht wusste, was genau ich hier vorzufinden erwartete, beschloss ich, erst einmal das Schulgelände in weiträumigen Patrouillengängen zu umkreisen. In Richtung Westen und dann Süden, also der Richtung, aus der ich gekommen war.

Kurze Zeit später kam ich an der Tankstelle vorbei, die inzwischen geschlossen hatte und an der bloß noch das Außenlicht brannte. Vor mir kündigte sich bereits das Ortsende Richtung Großneuhausen an.
Die Spannung war inzwischen ins Unerträgliche gestiegen. Die Luft war wie zum Zerhacken.

Es mag wohl ungefähr eine Stunde vergangen sein, als ich bereits zum dritten Mal in der Straße der Jugend vorbeikam. Ich ging auf dem Fußweg auf der östlichen Seite entlang, um mich dezent im Hintergrund zu halten.
Impulsartig blieb ich stehen. Das war doch schon wieder Baumeister!
Ohne von mir oder irgendetwas Anderem Notiz zu nehmen, schoss er eiligen Schrittes auf dem Fußweg auf der westlichen Seite in Richtung Schulparkplatz.
Automatisch ging ich ein paar Schritte zurück in das Dunkel eines Hauseingangsbereiches. Doch das war überflüssig gewesen. Baumeister war so konzentriert auf das, was er vorhatte, dass er mich überhaupt nicht bemerkte. Bald darauf hatte er auch fast schon den Schulparkplatz erreicht, die Straße war ja nicht besonders lang.
Schräg über die Straße folgte ich ihm langsamen Schrittes. Ich ließ mir dabei viel Zeit, da ich von ihm nicht entdeckt werden wollte.
Ich hatte das Ende der mit Bäumen und Sträuchern bewachsenen Fläche zwischen Gehsteig und Ost- und Nordmauer der Schule erreicht. Der Parkplatz für die Lehrer und jene Schüler, die mit Fahrrad oder Motorrad kamen, lag nur vor mir. An der Grenze der zwei Nutzungsflächen blieb ich erst einmal stehen und hielt mich hinter einem Baum versteckt. Von dort aus spannte ich weiter die Lage.
Baumeister hatte inzwischen die breite Treppe erreicht, die ins Schulgebäude führte. Im Laufschritt erklomm er sie.
Ich wartete, bis er eine der Türen am oberen Ende, es war die ganz nördlich, hinter sich geschlossen hatte. Und auch dann verharrte ich noch ein paar Sekunden.
Als ich mir sicher war, dass er nicht aus irgendwelchen Gründen noch einmal herauskam, spurtete ich in einem Kavaliersstart über den ganzen Parkplatz. Kurz vor der Treppe bremste ich ab. Sie wollte ich in normalem Schritt emporsteigen, um nicht zu stolpern und auch, um mich nicht irgendwie bemerkbar zu machen.
Vorsichtig öffnete ich die Tür, durch die kurz zuvor auch Baumeister gegangen war. Ich hatte Angst, dass sie quietschen könnte.
Der Windfang mit der kleineren Zwischentreppe tat sich auf.
Auf leisen Sohlen schlich ich die paar Stufen empor. Ich spürte, wie sich mein Blutdruck veränderte. Vor Anspannung setzte mir bald die Atmung aus. Ich hatte das Gefühl, vollkommen zur Salzsäule erstarrt zu sein. Das Licht der altmodischen DDR-Deckenlampen, welches mir sonst niemals aufgefallen war und ich seit über zehn Jahren unverändert kannte, kam mir in diesen Augenblicken extremst grell und unnatürlich vor.
Millimeter für Millimeter schob ich die nördlichste der inneren Flügeltüren auf. Die Spannung ließ sich mittlerweile kaum noch in Worte fassen.
Nun befand ich mich im unteren Schulflur.
Gleich neben mir lag eine der beiden Treppen ins erste Stockwerk. Auf äußerst leisen Sohlen überquerte ich die zwei Meter zur Treppenhauswand.
So vorsichtig ich nur konnte, schob ich meinen Kopf Millimeter für Millimeter am Ende der Mauer vorbei. Vielleicht hatte ich zu viele Krimis gesehen, aber ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass es meinem Allgemeingesundheitszustand zuträglicher sein könnte, dass gewisse Personen nicht auf die Idee kommen, ich könnte bei irgendetwas zuviel wissen.
Baumeister war nicht mehr in Sicht. Stattdessen hörte ich jemanden die Treppe am anderen Ende des Flures herunter laufen. Wieso läuft er zuerst hier hoch und dort wieder runter? fragte ich mich. Er will auf den Schulhof. Das ist die einzige Möglichkeit, leuchtete es mir gleich darauf ein.
Zunächst kam mir der Gedanke, ihn von den Fenstern im unteren Flur aus zu beobachten. Doch ich verwarf ihn gleich wieder. Die Gefahr, entdeckt zu werden, schien mir zu groß. Vom oberen Flur aus konnte man mich nicht sofort sehen, ich aber hatte dafür den umso besseren Überblick.
Ich raste wie ein Besengter die Treppen nach oben. Zuerst die schmale an der Wand, dann die breite in der Mitte oben. Ich hielt mich dafür am Geländer so fest, wie ich nur konnte.
Heftig atmete ich aus, als ich oben ankam.
Nach ein paar Sekunden hatte ich Baumeister ausgemacht. Er stand unten im Hof beim Eingang zu den Umkleideräumen. Stand dort in aller Ruhe, sah zwischendurch mal nach links und rechts. So, als würde er auf jemanden warten. Nun hatte ich Zeit.

Eine gewisse Zeitspanne war vergangen. Ich beobachtete Baumeister inzwischen vom nördlichsten Fenster im Flur aus.
Endlich tat sich etwas. Ein Mann Mitte/Ende Zwanzig tauchte auf.
Aus der Art, wie er und Baumeister sich begrüßten, schloss ich, dass die beiden sich kannten. Er tauschte mit Baumeister irgendwelche Dinge aus. Und Anweisungen gab er ihm, welche Baumeister aufmerksam in sich aufnahm wie ein gelehrsamer Schüler.

Noch ungefähr eine Dreiviertelstunde hielt ich mich dann in der Turnhalle auf. Ich tat immer wieder so, als würde ich mit mir selber tanzen, aber in Wahrheit beobachtete ich Baumeister.
Er tauchte in unregelmäßigen Abständen auf, schien sich kurz mit einzelnen jugendlichen Gästen zu unterhalten, und verschwand wieder. So ging das die ganze Zeit über.

20. Dezember 1991. Am Nachmittag waren Mutter und ich auf meinen Wunsch hin nach Halle gefahren. Carmen lebte seit ihrer Befreiung aus dem Rotlichtmilieu mit ihrer Familie dort. Ich unterhielt mich mit ihr in ihrem Zimmer, während sich Mutter die Stadt ansah.
Zunächst berichtete sie mir, wie es ihr nach ihrer Flucht von zuhause erging. Die Geschichte begann jedoch schon wesentlich früher. Es war damals, als wir beide gemeinsam in Leipzig gewesen waren. Als ich sie in der Bar abgesetzt hatte, während ich der Verzweiflung nahe irgendeine Heimfahrgelegenheit aufzutreiben versuchte.
Dort lernte sie Gornwald kennen, welcher gerade anwesend war. Irgendwie ergab sich ein Gespräch. "Zuerst dachte ich: Was will der alte Sack von mir? Aber dann war er total nett, hat sich die ganze Zeit für mich interessiert, ohne irgendwelche schmierigen Anmachen zu versuchen. Ich habe ihm dann einfach vertraut. Und deshalb bin ich auch zu ihm hin, als ich von zuhause weg war."
Mit der Nettigkeit sei es jedoch bald vorbei gewesen. Es waren vielleicht drei Wochen vergangen, als er ihr ohne Umschweife mitteilte, dass sie jetzt die neue Attraktion seines Ladens sei. Ab dem Punkt wich sie radikal auf ein anderes Thema aus.
Gornwald konnte sehr charmant und einnehmend sein. Auch ich war damals beim Ostseeurlaub rettungslos begeistert von diesem väterlichen Freund. Er war ein großer Manipulator. Oft erinnerte er mich an die Figur des Cipolla aus Thomas Manns "Mario und der Zauberer". Beide waren sie äußerlich unscheinbare Männer, die man in Menschengruppen übersehen hätte. Lernte man sie jedoch näher kennen, schafften sie es mit nur wenigen Aktionen, einen in ihren Bann zu ziehen. Sie besaßen eine Gabe, auf den ersten Blick zu erkennen, was einen im Innersten bewegte, eine Gabe, die vermutlich angeboren war. Vielleicht handelte es sich in seinem Fall sogar um irgendeine Art von psychischer Störung, die er im Laufe von vielen Jahren soweit zivilisiert hatte, dass sie nicht nur nicht auffiel, sondern er sie sogar für seine Zwecke nutzbringend einsetzen konnte. Vermutlich hatte es irgendwann in seiner Kindheit mal einen Punkt gegeben, an dem er sich seiner Wirkung auf Andere bewusst wurde. Und seitdem setzte er das gezielt ein.
Das Unheimliche an Gornwald – so empfand ich es jedenfalls im Nachhinein – war, dass er in keiner Weise mit sehr viel Gestik, Pathos und Theatralik auftrat. Im Gegenteil. Im Umgang mit Anderen war er von geradezu sparsamer Zurückhaltung. Aber dennoch – wenn man sich nur eine kurze Weile mit ihm unterhielt, war man bereits Wachs in seinen Händen. Seine Dämonie war nicht die eines grusligen Geheimdienst-Finsterlings à la "Akte X"-Kettenraucher. Wenn du ihm das erste Mal begegnetest, hieltest du ihn spontan für einen netten Kerl. Und nach kurzer Zeit hatte er um deinen Geist einen solchen Kokon gewebt, dass er dir sagen konnte: Spring aus dem Fenster! und du sprangst ohne mit der Wimper zu zucken.

Nach ungefähr einer Stunde in ihrem Zimmer hatte ich ihr alle meine Fragen gestellt. Nur eine allerletzte stand noch auf dem Plan. "Welche Bewandtnis hat es mit diesem Jens Baumeister? Welche Rolle spielt er in dem ganzen Spiel?"
Sie teilte mir dann mit, dass sie dem Bordellbetreiber sehr viel von all der Gewalt und den asozialen Verhältnissen an unserer Schule erzählt habe.
Und dies brachte ihn auf eine Idee. Er dealte in seinem Laden nebenher nämlich auch mit Drogen. Das Drogenkartell im Westen, für das er arbeite, habe große Pläne für die Gegend hier. Zu Anfangs sei der "Aufbau Ost", was das Organisieren von Drogenvertriebsstrukturen betreffe, noch von den etablierten Mitarbeitern des Kartells, welches sich über Westdeutschland und die Benelux-Staaten erstrecke, selbst übernommen worden. Er sei einer der ersten einheimischen Dealer gewesen. Man plante jedoch, ihn vom kleinen Dealer zum "regionalen Vertriebsleiter" zu befördern, sobald er einen entsprechenden Stamm von Straßendealern unter sich aufgebaut habe. Ganz wie bei einem expandierenden Konzern, der in neue Staaten vordringt.
Und eine solche Schule wie unsere sei für Stoff ein Markt, von dem man nur träumen könne. Darum plane er dort den Einsatz von Schülerdealern. Dies hätte neben seinem persönlichen "beruflichen Aufstieg" in der Organisation noch drei weitere Vorteile. Der erste: Er selbst behält saubere Finger. Und: Die Schüler kommen, wenn sie erwischt werden, juristisch billiger davon. Sowie: Die Schüler haben aufgrund ihres Alters eher Zugang zur Jugend.
Dann zwang er Carmen, Namen zu nennen, wer denn an der Schule so alles "die verrücktesten Hunde" seien.
Vor lauter Angst habe sie ihm Name und Adresse von Jens Baumeister gegeben, der schon vor der Wende ein stadtbekannter Schwererziehbarer gewesen war.
Danach lockte Gornwald Baumeister unter irgendeinem Vorwand in dessen Leipziger Zentrale. Mehrfach sei er dort aufgetaucht. Er habe ihn zu einer Art "Handelsvertreter" gemacht, da er, wie gesagt, aufgrund seines Alters eher Zugang zur Jugend habe.
Gornwald und Baumeister – da hatten sich zwei gefunden wie Bonny und Clyde! Der Ex-Stasi-Offizier nahm den Schulhof-Rowdy fortan unter seine Fittiche als eine Art bösen Ziehsohn.

Nachdem sie ihre Erzählung beendet hatte, kreiste bei mir nur ein Gedanke im Kopf: Was hatte ich angerichtet?

Ich ging dann noch mit ihr nach draußen, weil sie irgendwohin in die Stadt wollte. Sie sagte mir zum Abschied, dass sie alle Kontakte nach Kastanienberg abgebrochen habe. Dass sie mit all dem nichts mehr zu tun haben wolle, was früher mal war. Irgendwie wirkte sie dabei unstet, verloren, ein Blatt, das im Wind hin- und hertrieb. Danach begann sie den äußerst belebten Fußweg hinabzulaufen. "Na dann …" rief ich ihr zum Abschied nach. Ein letztes Mal sah sie zu mir im Getümmel zurück. Wieder mit diesem verloren wirkenden Blick. Im Kopf hörte ich dabei die ganze Zeit über "No Son Of Mine" von Genesis. Auf der Straße war nach wie vor sonnenbeschienene, spätherbstliche Stimmung.

Mitte Mai 1992. Nach dem letzten normalen Unterrichtstag unternahm unsere Klasse einen dreitägigen, genauer gesagt, zweieinhalbtägigen Ausflug auf den Campingplatz in Rastenberg.
Der Bus parkte an einem Straßenrand etwas außerhalb der Ortschaft. Ein glühend heißer Frühsommertag war. Atmosphäre wie in der Waschküche.
Das übliche Gedränge entstand, als jeder seine Sachen aus dem Gepäckraum des Reisebusses holte. Auch ich bekam meinen Rucksack und den Seesack mit dem geborgten Zelt. Als das beendet war, begann der Aufbruch in Richtung des Campingplatzes.
Er schien auf dem Abhang eines Berges zu liegen, da eine Freitreppe in die Richtung führte.
An ihrem Ende tat sich eine mittelgroße, grasbewachsene Plattform auf, vielleicht etwas kleiner als ein Fußballfeld.
Ich bemerkte auf einmal eine ziemliche Nachdenklichkeit. Sie ließ sich nicht weiter in Worte fassen. Mit Ausnahme des Auslösemotives. Dem Wissen um die Tatsache, dass mit dieser Fahrt ein sehr wesentlicher Lebensabschnitt zu Ende ginge. Es gab im Alltag wenige Augenblicke, in denen man so etwas wie "Schicksal" spürte. Mir war einfach klar, dass ich mich an den Zeitpunkt hier auch noch in sehr ferner Zukunft erinnern würde.

Glühend heiß, aber immer noch erträglicher als draußen, war es in meinem Zelt, in dem ich mich am Nachmittag inzwischen häuslich eingerichtet hatte. Umfangreiche Vorräte zum Trinken hatte ich mir aus einem kleinen Laden im Ort angeschafft.
Ich lag auf meiner Luftmatratze und las ein "Butler Parker"-Heft, das ich ebenfalls in dem Geschäft gekauft hatte.
Den Rest der Klasse hatte es in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Ein paar waren noch hier auf dem Gelände, ein paar waren ins Bad gegangen, ein paar waren sonst wo.

Am Abend hatte ich mich bald in mein Zelt zurückgezogen. Draußen war irgendeine Party im Gange. Ein paar junge Männer, sie waren schon etwas älter als wir, so 18, 20, aus dem Ort waren aufgetaucht und hatten Alkohol mitgebracht. Aber da die Kontakte innerhalb dieser zusammengewürfelten Klasse nicht so wahnsinnig eng waren, verspürte ich kein besonderes Bedürfnis, mich an irgendetwas zu beteiligen.
Ungefähr ab 21:00 Uhr hatte ich schon einmal eine Stunde geschlafen und war dann wieder hellwach. Ich verließ nun doch mein Zelt.
Die Nacht war über dem Platz hereingebrochen. An mehreren Stellen saßen kleinere Grüppchen zusammen, unterhielten sich relativ laut, tranken.
Ich hatte mir gerade einen Überblick über die Lage verschafft, als ich dachte, mich traf ein Blitz!
Baumeister!
Mein erster Gedanke: Was macht der denn hier?
Er stand am Rande des Campingplatzes, dort, wo der Wald begann, unterhielt sich mit mehreren Personen, die ich aufgrund der Dunkelheit nicht genau erkennen konnte. Konzentriert waren sie dort in ein Gespräch vertieft. Er wirkte so, als käme er von irgendeinem Termin, und hätte hier noch kurz mal vorgesehen.
Ich entschloss mich nun doch, an der Party teilzunehmen, ließ mich daher in Nähe meines Zeltes nieder.
Gleich darauf wurde ich auch zum Trinken eingeladen. Ich nahm das Angebot an, weil ich Baumeister beobachten wollte.

Ungefähr eine knappe Stunde blieb ich auf meinem Platz sitzen, redete nebenher mit den Typen, beobachtete jedoch vor allem Baumeister. Danach löste sich das Geschehen auf dem Platz langsam auf.
Baumeisters Silhouette hatte sich ungefähr nach einer Dreiviertelstunde mit dem Dunkel der Nacht vereinigt.
Es war mir nicht möglich gewesen, zu ermitteln, was so eminent Wichtiges er da im Dunkel des Waldes zu verhandeln hatte. Doch eines war mir klar: Wo er auftauchte, teilte er keine Informationsfaltblätter der Heilsarmee aus!

Die Prostitutionsgeschichte vom vergangenen Jahre hatte noch eine Nachlese.
Ende Mai 1992 waren Mutters Cousin Siegfried und seine Frau Ingeborg wieder einmal bei uns. Wir sprachen dabei am Kaffeetisch natürlich vor allem über den bevorstehenden Umzug nach Österreich. – Siegfrieds Tätigkeit für die Stasi hatten wir seit seinem beiläufigen Geständnis zwei Jahre zuvor ihm gegenüber niemals wieder erwähnt. Eines jener berühmten schmutzigen Geheimnisse, das es in jeder Familie gab und das im Prinzip jeder kannte, über welches aber zu keinem Zeitpunkt gesprochen wurde, höchstens mal zwischendurch flüsternd.
Irgendwann kam dann das Gespräch auf Carmens Befreiung aus dem Rotlichtmilieu. Mit dem berechtigten Stolz eines 16-jährigen berichtete ich, dass ich die Arbeit der Detektive durch Insiderinformationen intensiv unterstützt habe.
Siegfried fiel die Kinnlade nach unten, als ich mit meinen Erzählungen fertig war. Er erbleichte regelrecht, wirkte, als hätte er einen Geist gesehen. "Leipzig???" entfuhrt es ihm.
Was für eine gruslige Geschichte kommt denn jetzt schon wieder, dachte ich eingedenk des spektakulären Geständnisses von vor zwei Jahren.
Siegfried äußerte im Zustand höchster Anspannung: "Lasst bloß die Finger davon! Das ist ein paar Nummern zu groß für euch! Ich weiß, wovon ich rede!!!"
Wochen später war er tot. Er war zu einer Routineuntersuchung ins Krankenhaus gebeten worden. Dort fand man ihn dann kurz darauf tot auf dem Boden des WC's liegen.
Das unspektakuläre Ende von Professor Siegfried Hauser, einem der führenden Molekularbiologen der DDR.
Es war müßig, darüber zu spekulieren, ob er mit diesen Leuten irgendetwas zu schaffen gehabt und ob man ihn wegen irgendeines Verstoßes gegen die "Vereinssatzungen" aus dem Verkehr gezogen hatte. Mir war klar, dass ich in diesem Leben auf diese Frage keine vernünftige Antwort mehr bekommen würde, falls da etwas dran sein sollte.

Ende Juni machte ich meinen Schulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 1,15.

Anfang Juli 1992. Ich bekam ein Telegramm. Es stammte von Carmen! Sie schrieb, sie würde sich mit ihrer Familie für ein paar Tage in Ellersleben aufhalten. Wenn ich wollte, könnte ich vorbeikommen und die Nacht über bleiben. Ein Schlafsack sei vorhanden. Ein halbes Jahr lang hatten wir uns jetzt nicht gesehen.
Auch wenn die Sache keine Zukunft haben würde, dachte ich, da ja noch in diesem Jahr der Umzug geplant war, für ein paar schöne Erinnerungen würde es auf alle Fälle reichen.
Gleich am nächsten Tag ging ich mit einem kleinen Rucksack als Gepäck los. Ich nahm den Feldweg nach Großneuhausen/Kleinneuhausen, auf dem ich jetzt seit vier Jahren Dauerlaufen ging. Von Kleinneuhausen aus würde es dann nur noch ein Katzensprung bis Ellersleben sein.
Teilweise rannte ich die Strecke, sprang über Schlaglöcher, so ausgelassener Stimmung war ich. Im Kopf hörte ich dabei unentwegt "Radio Gaga" von "Queen".
Den ganzen Abend über saßen wir allein in dem Wohnzimmer des Hauses, in dem Carmens Familie ihren Aufenthalt verbrachte. Wir saßen auf einem Sofa, das direkt neben dem Sprossenfenster zum Hof stand. Gleich vor dem Fenster im Freien stand ein etwa zwei Meter hoher Rosenstrauch. Der Hof als solcher war ziemlich schmal. In nur wenigen Metern Entfernung wurde die Sicht auch schon von der Seitenfront des Nachbarhauses eingenommen.
Da es draußen ziemlich schwül war, stand der obere Teil des Fensters offen. So hörten wir unter anderem aus dem Nachbarhaus die sehr psychedelisch klingende Titelmelodie des MDR-Boulevard-Magazins "Indiskret"
Nach vollkommenem Einbruch der Dunkelheit hatten wir das Haus noch einmal verlassen. Wir gingen außerhalb des Ortes einen einsamen, nächtlichen Feldweg entlang. Flach war die Landschaft zunächst, flach wie ein Brett. Flach und leer. Ein riesiges Sternenzelt war über unseren Köpfen ausgebreitet. Im Kopf hatte ich dabei die "Indiskret"-Titelmelodie als Musik-Endlosschleife.
Nachdem wir eine Weile zusammen gegangen waren, führte der Weg einen Berg hinauf. Der Berg hatte irgendwie etwas Spirituelles an sich. Ohne dass ich begründen konnte, warum.
Plötzlich, ohne dass es einen Anlass dazu gegeben hätte, küssten wir uns.
Auch die Musik im Kopf schaltete in dem Moment bei mir um, so als hätte ein DJ die Platte umgedreht. "Still Loving You" von den "Scorpions" erklang nun. Und das vor dem riesigen Sternenzelt. Wenn es nicht die Realität gewesen wäre, hätte man es glatt für Kitsch halten können.
Am Tag nach meiner Ankunft saß ich mit der Familie dort am Kaffeetisch in der guten Stube und aß zum ersten Mal in meinem Leben Eistorte. So etwas hatte ich vorher gar nicht gekannt.
Gleich danach ging sie mit mir zum Baggersee bei Kleinneuhausen, wo ich mit ihr im Spätsommer 1985 schon einmal gewesen war. Ohne Vorankündigung oder Kommentar zog sie sich vollkommen splitternackt aus und legte sich neben mich. Sie befand sich dabei in der Seitenlage, sodass ich eine sehr gute Sicht auf ihre schon sehr ausgeprägten Brüste und ihr sonnengelbes Dreieck hatte, während ich mich mit ihr unterhielt. Ihr langes, blondes Haar fiel nach hinten.

Ende August 1992 begegnete ich Baumeister per Zufall in der Stadt, in der Brückenstraße, ungefähr beim ehemaligen Spielwarengeschäft. Etwas herumdrucksend fragte er mich, ob ich ihn auf eine Reise nach Rostock begleiten wolle. Aber ich müsse ihm gleich zusagen, wenn ich Interesse hätte. Das Ganze wäre sogar umsonst.
Mir war von Anfang an klar, dass ich mich da auf ein sehr gefährliches Spiel einließ. Doch die Neugier war stärker. Dies konnte eine Möglichkeit sein könnte, etwas mehr über all die merkwürdigen Dinge zu erfahren, die sich in jüngster Vergangenheit um seine Person abgespielt hatten.
In vollem Bewusstsein um das Risiko, all die Unwägbarkeiten, sagte ich zu.
Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen am Bahnhof.
Damit entfernte er sich in Richtung Stadtinneres. Er schien es eilig zu haben.
Als ich am Morgen darauf am Bahnhof ankam, stiegen in mir wieder die bohrenden Zweifel vom Vortag auf. Was, wenn das ein ganz großer Fehler war?
Mehrere von Baumeisters Lakaien standen schon vor dem Eingang zum Bahnhofsgebäude. Ich rief ihnen von weitem ein "Morgen!" zu.
Sie nahmen von mir nicht groß weiter Notiz, und das war mir in dem Moment auch ganz recht so.
Kurz vor Sieben erschien auch Baumeister.
Ein ganz, ganz flaues Gefühl stieg in mir auf. Das war jetzt eventuell die letzte Sekunde, wegzurennen, bevor ich eine riesengroße Dummheit beging.
Er begrüßte zunächst seine Spießgesellen.
Danach hockte er sich hin, öffnete seinen Diplomatenkoffer, und entnahm einen Packen Umschläge. Dies seien die Reisedokumente, erklärte er. Welche er gleich darauf auszuteilen begann.
Dieses Organisatorische war eine Seite an ihm, die ich noch gar nicht kennengelernt hatte. Bisher eilte ihm lediglich der Ruf eines absolut nicht motivierten Schülers voraus, der seine Zeit lieber dafür nutzte, überall Angst und Schrecken zu verbreiten. Doch wenn es etwas gab, das sich für ihn lohnte, dann konnte er, wie es schien, durchaus Eigeninitiative und Verantwortung übernehmen. Auch er war in mancher Hinsicht durchaus clever.
Als dies beendet war, begann er Instruktionen zu erteilen: "… Hinwärts fahr mer jemeinsam. Für de Rückfahrt hat jeder seine eichnen Fahrkarten. Un bildet bloß keene Gruppen! Keener kennt 'n annern off der Rückfahrt!" schärfte er uns ein.
Ich fühlte mich jetzt endgültig wie ein Undercover-Polizist im Krimi, den man in eine Verbrecherorganisation eingeschleust hatte, und mit dem man kurzen Prozess machen würde, wenn seine Tarnung aufflog.
Bis Erfurt fuhren wir mit dem Zug. Von dort aus nahmen wir einen Inlandsflug an die Ostsee.
Dafür, dass meine Reisegruppe ein Haufen verbrecherischer Schlägertypen war, verhielt sie sich diszipliniert wie ein Kirchenchor auf seinem Jahresausflug. Baumeister hatte sie gut im Griff.
In den späten Nachmittagsstunden erreichten wir Rostock. Auf irgendeinem Platz schärfte uns Baumeister ein, wann wir wieder da zu sein haben. Danach löste sich meine Reisegesellschaft, von deren Ziel und Bestimmung ich immer noch nichts wusste, vorläufig auf.
Über der Stadt war bereits die Dunkelheit eingebrochen, als sich alle wieder an der vereinbarten Stelle einfanden. Nun würde ich wohl endlich erfahren, was der Zweck dieser geheimnisvollen Mission war.
Es mag wohl noch eine Viertelstunde vergangen sein, als sich die Gruppe plötzlich in Bewegung setzte.
"Jetz simmer balde da", kündigte Baumeister an. Bereits von weitem hörte man einen riesigen Krawall. Waren da Fußball-Hooligangs zugange?
Das Ende einer Straße war erreicht. Was dann kam, verschlug mir einfach nur noch die Sprache. Ich wusste nicht, was ich dazu denken, geschweige denn sagen sollte. Ich hatte nicht nur das Gefühl, mich in einem Film, sondern überdies im völlig falschen Film zu befinden.
Bürgerkrieg! Vor mir fand gerade ein Bürgerkrieg statt. Ein johlender Lynchmob hatte sich vor einem Neubaublock versammelt und krakeelte alle möglichen Parolen. Irgendwo im Umfeld des Hauses, Genaueres konnte ich aufgrund der Massen nicht erkennen, brannte es bereits lichterloh.
Baumeister baute sich vor der Gruppe zu. Grinsend teilte er uns mit: "Also, heert zu: 's gibt da ä paar Leude, die bezahl'n uns 'ne Menge Geld dafür, wenn mir hier ma ä bisschen Stimmung mache."
Baumeister feixte und lief nach vorn, um sich ins Getümmel zu werfen.
Ich wurde an jenem Tag Zeitzeuge eines sehr unrühmlichen Ereignisses der jüngeren deutschen Geschichte, welches sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag hatte: den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen 1992.
Vom 22. zum 26. August 1992 kam es im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen zu bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen gegen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber sowie ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter im so genannten "Sonnenblumenhaus". Es handelte sich dabei um die bis dahin massivsten rassistisch motivierten Angriffe der deutschen Nachkriegsgeschichte.
An den Ausschreitungen beteiligten sich mehrere hundert teilweise rechtsextreme Randalierer und bis zu 3.000 applaudierende Zuschauer, die den Einsatz von Polizei und Feuerwehr behinderten. Nachdem die Aufnahmestelle am Montag, dem 24. August, evakuiert worden war, wurde das angrenzende Wohnheim, in dem sich noch über 100 Vietnamesen und ein Fernsehteam des ZDF aufhielten, mit Molotowcocktails in Brand gesteckt. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zog sich die Polizei zeitweise völlig zurück und die im brennenden Haus Eingeschlossenen waren schutzlos sich selbst überlassen.
Nachdem ich all das halbwegs verarbeitet hatte, schlich ich mich auf leisen Sohlen vom Ort des Geschehens davon. Am nächsten Tag fuhr ich allein mit dem Zug heim.
Kein Geringerer als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl war es, der ein paar Tage später das fehlende Puzzleteil lieferte, welches das Bild zu einem sinnvollen Ganzen vervollkommnete. So sagte er in der Öffentlichkeit, dass vermutlich ehemalige Mitglieder der Staatssicherheit hinter den Anschlägen steckten, um in der Öffentlichkeit ein Klima der Angst zu schüren, damit die Massen wieder nach einem starken Staat riefen. Das, wofür der internationale Militärslang den Ausdruck False-Flag-Operation kannte.
Das klang für mich nicht unplausibel. Schon der angeblich nationalsozialistische Anschlag auf das sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow Ende Dezember 1989 ging mutmaßlich auf das Konto der damals gerade sich auflösenden Staatssicherheit. False-Flag-Operations, wenngleich mit ungleich brutaleren Methoden, als perverse Form von Arbeitsplatzsicherung in Zeiten politischer Umbrüche, kennt man nachgewiesenermaßen von den Geheimdiensten zahlreicher Entwicklungsländer.
Auch der Stasi waren solche Methoden nicht fremd. Im Mai 1961 startete die Hauptabteilung XX/4 die "Aktion J". Sie schrieb Droh- und Hetzbriefe an zahlreiche in Westdeutschland lebende Juden.
Der Hintergrund war der, dass sich zu dem Zeitpunkt Adolf Eichmann in Jerusalem vor Gericht befand. Die Bundesrepublik sollte als Staat, in dem erneut der Faschismus Platz ergriffen hat, diskreditiert werden.
Und dass Neonazi-Kreise zumindest im westlichen Teil Deutschlands vom MfS infiltriert waren, gilt heute als gesichertes Wissen. Die Wehrsportgruppe Hoffmann arbeitete mit der DDR zusammen. Ihr Mitglied Odfried Hepp, das später seine eigene Truppe aufbaute, war inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest 1980 – im Nachlass der Stasi fanden sich 8.000 Seiten Dokumente zu dem Thema. Rechnete man alle Quellenkategorien der Stasi zusammen, dann verfügte allein die Hauptabteilung XXII/Abteilung 1 über mindestens 75 Informanten an entscheidenden Stellen der westdeutschen Neonazi-Szene.
1981. Das Papstattentat. Die Gesamtleitung der Operation und das Verwischen der Spuren liegen in den Händen der Stasi. Der Schütze Ali Agca war Mitglied der "Grauen Wölfe", einer faschistischen türkischen Untergrundorganisation.
Die Stasi hatte noch niemals Berührungsängste mit dem Nationalsozialismus gehabt. Sie schützte sogar den Mörder des kommunistischen Arbeiterführers Ernst Thälmann, das ehemalige Waffen-SS-Mitglied Wolfgang Otto, als man diesem in der Bundesrepublik in den 1980-er Jahren einen ordentlichen rechtsstaatlichen Prozess machen wollte, damit die DDR das angebliche Desinteresse des Westens an seiner Strafverfolgung propagandistisch ausschlachten konnte. Man sieht hieran, wie weit die Stasi bereit zu gehen war, was Kollaboration mit dem ideologischen Gegner betrifft! Das Leben des Arbeiterführers Thälmann war so etwas wie die offizielle Gründungslegende des Staates DDR! Es ließ sich nicht ganz mit dem Mao-Kult in China oder Ho-Ch-Minh-Kult in Vietnam vergleichen, ging aber durchaus in dieselbe Richtung.
Außerdem steckte hinter angeblichen spontanen Lynch-Aktionen entfesselter Volksmassen schon in der ganzen Geschichte vergangener Jahrhunderte fast immer eine zuvor gut aufgebaute Planungsinfrastruktur. Allein schon von daher wirkt es völlig unglaubwürdig, dass ein Pulk glatzköpfiger Nazis, deren intellektuelles Niveau ungefähr auf dem von Fünftklässlern stehen geblieben war, wie sich in jedem Interview, oder sagen wir, Interviewversuch, vor der Kamera zeigte, in der Lage ist, mit militärischer Präzision einen ganzen Stadtteil unter ihre Gewalt zu bringen. Idioten, die nicht imstande sind, vor der Kamera auch nur einen vernünftigen eigenen Satz zu bilden, sollen hier auf einmal die organisatorischen Fähigkeiten besitzen, dafür zu sorgen, dass in einer deutschen Stadt von damals einer Viertelmillion Einwohner die Bundesrepublik Deutschland ihr Gewaltmonopol aufgibt? Diese Version der Geschichte soll glaubhaft sein?
Es gab also eine denkbare Verbindung zwischen diesem Ereignis und der früheren Stasi. Gornwald war bei der Stasi. Baumeister sein Auszubildender. Alles begann einen Sinn zu ergeben.


3. 5. Schulzeit in Österreich. Eine Regionalzeitung entsteht. Dritte-Welt-Handel.


Im November 1992 übersiedelten Mutter und ich von Kastanienberg nach Österreich, nach Retz/Niederösterreich.
Ich war zu dem Zeitpunkt sehr müde, erschöpft und ausgebrannt von den Ereignissen der zurückliegenden zwei Jahre. Sie hatten so unglaublich viel Kraft gekostet.

Heiligabend 1992 hatte ich meinen ersten gesundheitlichen Zusammenbruch, was nach zwei Jahren Mobbing und Zusammengeschlagenwerden an der Hauptschule nicht weiter verwunderlich war.

Im September 1993 fing ich an der örtlichen Handelsakademie an.

Kurz darauf lernte ich Thomas kennen. Zusammen mit ihm baute ich eine Regionalzeitung auf.

Die Jahre vergingen. Ich wurde für eine Zeitung nach der anderen tätig.
Nach 25 Jahren Auswanderung konnte ich auf folgende Leistungsbilanz zurückblicken:

... für 30 Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und Tschechien gearbeitet;

... zweiundzwanzig Gemeinschafts- und Einzelausstellungen mit Fotografien gehabt;

... deren zentralste von einem österreichischen Ministerpräsidenten eröffnet wurde;

... und eine weitere fand im Schloss einer Grafenfamilie statt;

... (Einige Bilder wurden auch erfolgreich für amnesty international versteigert.);

... fünf Jahre lang als Darsteller beim Film beschäftigt gewesen;

... zehn Jahre lang in der Dritte-Welt-Hilfe tätig gewesen;

... sich im Selbststudium zum Computertrainer für Erwachsene ausgebildet und mein Wissen sehr erfolgreich weitergegeben (Denn wenn die Kursteilnehmer jedes Mal den Kursleiter sehr bald nicht mehr brauchen, muss der Kursleiter wohl irgendetwas richtig gemacht haben.);

... im Zuge dessen den Europäischen Computer-Führerschein (ECDL) eben mal so mit links gemacht, mit 35 von 36 maximal möglichen Punkten bestanden;

... eine Ausbildung zum Buchhalter absolviert, die sich auf einem derart hohen Niveau befand, dass zwei Drittel der Kursgruppe gar nicht erst zur Abschlussprüfung angetreten sind;

... umfangreiche heimatgeschichtliche Abhandlungen verfasst, welche von der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen wurden.

Und ich möchte zu all dem auch noch eines betonen: Außer innerfamiliärer habe ich dabei KEINE Unterstützung gehabt. Von niemandem! Man hat mir NICHTS auf dem Silbertablett serviert! Niemand hat mir 1992 einen Roten Teppich ausgerollt.

All dies lässt nur zwei Schlüsse zu.
Entweder waren RESTLOS ALLE Menschen, mit denen ich jemals beruflich zu tun gehabt habe, Idioten.
Oder es findet in der Bundesrepublik tatsächlich eine verbrecherische Diskriminierung von Hauptschülern statt.


3. 6. Tony


Nun ein vollkommen in sich abgeschlossenes Kapitel dieses Berichtes, welches keinerlei Auswirkungen auf zukünftige Ereignisse hatte.
Es war schon Mitte der 2010-er Jahre, als ich erfuhr, was genau mit Tony Raskovics, meinem alten Freund aus Kindertagen, in den Neunziger Jahren geschehen war.
Ich war mit ihm von meinem ersten Kindergartentag im Herbst 1981 bis zum Ende der Achten Klasse 1990 befreundet. Danach sahen wir uns bis zu unserem Wegzug nach Österreich 1992 nur noch ein paar Mal.
Mein erster Kindergartentag. Als ich am Morgen dieses Tages dort angekommen und von der Erzieherin einen Platz zugewiesen bekommen hatte, begann ich gleich darauf mit einer Sache zu spielen, die in unmittelbarer Nähe auf dem Tisch stand. Es handelte sich um einen Kasten mit kleinen, quadratischen, naturfarbenen und mit farblosem Lack überzogenen Holzbausteinen, die auf der Vorderseite über jeweils ein anderes Tiermotiv verfügten.
Kurze Zeit später setzte sich Tony zu mir. Das war der Augenblick, in dem wir uns kennenlernten. Er redete unaufhörlich, und ich verstand akustisch kein einziges Wort. Autisten können Stimmen nicht aus einer allgemeinen Geräuschkulisse herausfiltern. Das geht für uns in einem Schallbrei unter.
Nichtsdestotrotz textete er mich immer weiter zu. So hatten wir uns kennen gelernt.
Nachdem er unsere Schule nach der Achten Klasse verließ – was mich damals sehr enttäuscht hatte, da ich mir immer vorgestellt hatte, wie wir mal gemeinsam zu unserer Abschlussfeier gehen würden – verlor er irgendwie den Halt im Leben. Er begann in kurzer Folge mehrere Ausbildungen und brach sie wieder ab. Diese Eskalation gipfelte schließlich darin, als er von seinem Vorgesetzten wegen seiner enormen Unzuverlässigkeit mal zu einem Gespräch in sein Büro gebeten wurde. Dort feuerte er mehrfach eine Gaspistole aus nächster Nähe auf den Mann ab. Danach landete er hinter Gittern.
Doch das war nur ein Teil der Geschichte. Schon als ich 1997 bei meiner Deutschlandfahrt davon erfuhr, wunderte ich mich irgendwie über diesen Totalabsturz. In der Schule ging bei ihm alles immer wie nebenher, und woher tauchte da plötzlich eine Waffe auf?
Aber letztendlich nahm ich das einfach nur irgendwie zur Kenntnis. Diese eigenartigen Jahre nach der Wende hatten mit uns allen etwas gemacht.
Doch nun erfuhr ich von ein paar Mosaiksteinen, die dem ganzen Bild einen völlig neuen Sinn verliehen. Baumeister hatte in dieser Zeit versucht, Tony für seine Bande zu ködern. Ein labiler Jugendlicher, der nicht so recht wusste, wo er hingehörte – da roch Baumeister in der ihm eigenen diabolischen Art leicht manipulierbares Kanonenfutter. Baumeister war ein Zampano, ein Puppenspieler. Wie man Menschen manipulierte, ihre innersten Bedürfnisse ansprach, um selbst zu überleben, das hatte er unter seinem brutalen Vater gelernt, der ihn mehrmals fast zu Tode prügelte.
Tony jedoch strauchelte in diesem Outlaw-Leben mit der Zeit immer stärker, wurde immer hin und her gerissener. Bis er eines Tages schließlich völlig austickte.
Und das erklärte auch, woher die Waffe kam. Für Baumeister war das zu dem Zeitpunkt bereits kein Problem, ihm das Teil über seine Hintermänner, für die er Schmutzarbeit erledigte, zu besorgen.
Soweit das "Insel-Thema" Tony innerhalb dieser Geschichte.


3. 7. Kein Heimweh


In den Jahren, in denen ich in Niederösterreich lebte, gab es mit Männern nahezu keine Probleme. Das lag irgendwo im statistisch vernachlässigbaren Bereich. Das ganz große Problem waren die Frauen. Diese tyrannisierten mich all die Jahre über mit einer einzigen, vollkommen idiotischen Frage, nämlich warum ich nach dem deutschen Bundesland Thüringen, in dem ich mal für die Dauer von zwei Jahren zuhause war, nicht vor Heimweh zerfließe. Mit dieser einen Frage veranstalteten sie derartige Inquisition-Gestapo-Stasi-KGB-CIA-NSA-Verhöre, dass es sich fast nicht in Worte fassen ließ. In einer Endlosschleife wärmten sie das Thema in all den Jahren wieder und wieder und wieder auf. In verschiedensten Variationen und bei Anlässen, die für mich einfach nur auf eine krause und schizophrene Art an den Haaren herbeigezogen waren; sie thematisierten das Ganze auf eine Weise, die für mich einfach nur "Kraut und Rüben" war, ohne irgendeine erkennbare inhaltliche Struktur, ohne jeden Roten Faden. Ich stand in der Regel nur vollkommen ratlos daneben und dachte: Hat bei diesen hintereinander vorgebrachten Aussagen eigentlich irgendwas mit irgendwas zu tun? Denken die mal eine Sekunde nach, bevor die ihr Maul aufmachen und ein MG-Sperrfeuer akustischer Signale auf mich loslassen? Sollen hier Fragen und Informationen transportiert werden, oder ist das einfach nur verbaler Brechdurchfall?
Irgendwie hatten diese Frauen es herausgefunden, dass ich mal für sage und schreibe zwei Jahre in Thüringen gehaust habe. Von mir wussten sie es nicht. Von mir aus habe ich in dieser Zeit über mich so gut wie gar nichts Privates erzählt, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Für so bedeutsam hielt ich mein Leben nicht. (Drum hatte ich in dieser Zeit ja auch schon ein paar Mal den Beinamen "Graue Eminenz" oder "Fädenzieher im Hintergrund" bekommen.) Aber irgendwie mussten sie hinter meinem Rücken über mich geschnüffelt haben.

Es ist kein Spaß, sondern mein voller Ernst: Wenn mich in der Zeit, in der ich schon in Wien lebte, ein Retzer Heimweh-Weib angerufen hat, war ich hinterher so aufgeregt und durch den Wind, dass ich mich vor meinen Computer setzte und die Google-Bildersuche einschaltete. Dort gab ich die Titel verschiedener mir bekannter Horrorfilme ein. Dann ergötzte ich mich an den Bildern der schrecklichsten und angsteinflößendsten Filmmonster, die Hollywood je erschaffen hatte, mit nur einem Zweck: Um mich zu erholen, um wieder runterzukommen!
All diese abstoßenden Scheußlichkeiten waren DIE PURE ERHOLUNG im Vergleich zu diesen Frauen!
Ist kein Spaß, sondern das habe ich ganz im Ernst so getan!

Natürlich, ich …
… freue mich jeden Abend auf die Regionalnachrichten im MDR-Fernsehen;
… habe die Wände unserer Wohnung mit kulturgeschichtlichen Postern aus Mitteldeutsch-
     land zutapeziert;
… verpasse, obwohl ich sonst eigentlich kein Klassik-Freak bin, kein einziges klassisches
     Konzert aus Dresden, Leipzig oder Halle, das im MDR übertragen wird;
… bestelle per Webshop regelmäßig Fresspakete aus Mitteldeutschland;
… lasse mir zum Geburtstag und zu Weihnachten immer Literatur über die DDR und Mittel-
     deutschland schenken, damit liegt man bei mir immer richtig, ich lese wirklich sehr, sehr,
     sehr gern darin;
… lege in der Vorweihnachtszeit jeden Abend CD's mit adventlichen Liedern aus Mittel-
     deutschland ein und zünde Kerzen dazu an;
… schreibe in meiner Freizeit mit Begeisterung geschichtliche Texte über Mitteldeutschland
     und die DDR, welche ich dann im Internet veröffentliche. Da ist inzwischen schon ein
     richtig sattes Archiv zustande gekommen.
Und nun kommt das ganz große ABER: Den Weibern gegenüber muss ich mich dafür einen dreimal verfluchten Scheißdreck rechtfertigen!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Und das hat auch alles nichts mit Heimweh zu tun, denn alles, was mit Psychologie, Gefühlen und Emotionen zu tun hat, ist für mich eine Mixtur aus Scheiße, Pisse, Wichse, Kotze, Rotz und Menstruationsausfluss! Ich hasse es wie die Pest und Auschwitz zusammen!!!!!!!!!!!!!!!!!
ICH HASSE ES!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
IN DIE HÖLLE MIT DEM GANZEN SAUDUMMEN GEFÜHLSSCHEISSDRECK!!!!!!!!!!
IN DIE HÖLLE DAMIT!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Nun ist es raus, in dieser Deutlichkeit musste es mal gesagt werden.
Da ich nun einmal einfach und unkompliziert bin und nicht aus jedem belanglosen Scheißdreck im Alltag gleich eine neue weltpolitische Krise im Nahen Osten mache, komme ich nun einmal von mir aus einfach nicht auf die Idee, da überall ein Etikett mit der Aufschrift "Heimweh" draufzukleben. Auf so eine Idee komme ich nicht!!!!! Das ist für mich einfach an den Haaren herbeigezogener Scheißdreck.

Ich habe seit meinem Wegzug 1992 aus Deutschland die anschließenden 25 Jahre beruflich folgende Dinge getan (Und GENAU DAS war es, was MICH stets interessierte, nicht deren Heimatgefühlsdreck, daraus resultierten dann die Konflikte.):

Ich habe in 30 Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Im Einzelnen waren das:
5 politische Zeitungen,
12 Zeitungen aus dem Bereich der Regionalpolitik,
2 kirchliche Zeitungen,
1 Zeitschrift der Stadt- und Dorferneuerungsbewegung,
1 Feuerwehrfachzeitschrift,
1 Fachzeitschrift für Altenpflege,
1 Fachzeitschrift für Behindertenpflege,
1 Zeitschrift der Zentrale der niederösterreichischen Arbeitsämter,
1 Zeitung zu Vertriebenenthemen,
1 Zeitschrift zu medienwissenschaftlichen Themen,
1 Computerzeitschrift,
1 Tourismusfachzeitschrift,
1 Wirtschaftszeitschrift,
1 Obdachlosenzeitung.
Meine Aufgabenbereiche erstreckten sich dabei sowohl auf Innendienst in der Redaktion wie auch auf die text- und bildmäßige Berichterstattung im Außendienst.
Die Themenfelder, mit denen ich mich im Zuge dessen bereits journalistisch beschäftigte:
Politik.
Gemeindeverwaltung.
Einfache Wirtschaftsberichterstattung.
Kultur.
Kirche/Religionen.
Umwelt.
Tourismus/Gastronomie.
Konsumentenschutz.
Landwirtschaft.
Altenpflege.
Schulwesen/Bildung/Weiterbildung.
Stadt- und Dorferneuerung.
Jubiläen und Gedenkveranstaltungen.
Heimatgeschichte.
Soziales.
Dritte Welt.
Brauchtum.
Gesundheit/Wellness.
Vorfälle/Gerichtliches.
Gesellschaftliches Leben.
Kommentarschreiben.
Medienwissenschaftliche Themen.
Computer.

Es entstanden in dieser Zeit Manuskripte im Umfang von etwa 2.500 Seiten.

Die erste Zeitung, für die ich arbeitete, habe ich übrigens zusammen mit einem Freund aufgebaut. Er war der Leiter des Ganzen, ich seine Rechte Hand.

Ich hatte zweiundzwanzig Gemeinschafts- und Einzelausstellungen mit Fotografien. Gleich zu meiner ersten Ausstellung erschienen 200 bis 300 Gäste.
Eine spätere Ausstellung wurde vom niederösterreichischen Ministerpräsidenten Erwin Pröll eröffnet.
Bilder von mir wurden schon erfolgreich für amnesty international versteigert.
Eine von mir gestaltete fotografische Serie über das Wiener Spittelbergviertel fand auch schon einmal Eingang in die Berichterstattung von "Wien heute", den Abendnachrichten von ORF Wien.

Ich war zehn Jahre lang ehrenamtlich im Dritte-Welt-Handel tätig. Meine Tätigkeitsbereiche:

Teilnahme an Wareneinkäufen bei der Dritte-Welt-Läden-Dachorganisation.

Verkaufsdienst im Dritte-Welt-Laden Retz. Und die Kolleginnen im Weltladen-Verein waren zwischendurch fast entsetzt, warum unter meiner Regie bei bestimmten Artikeln die Verkaufszahlen plötzlich derart in die Höhe schossen.

Gestaltung des Schaufensters zu speziellen Themen.

Warenannahme und –aufstellung für diesen Laden.

Einbringen von Verbesserungsvorschlägen bei der Ausstattung des Ladens, welche auch angenommen wurden und sich bewährten.

Am Jahresende Mitarbeit bei der Inventur im Laden.

Mitbetreuung von Präsentationstischen mit Waren aus dem Laden bei Volksfesten, in Schulen, öffentlichen Einrichtungen, …

Fotografische Dokumentation sämtlicher Tätigkeiten des Laden-Träger-Vereines.

Führung des Vereinsarchivs selbigen Vereines.

Mitorganisation kultureller Veranstaltungen dieses Vereines (Auftritte folkloristischer Gesangs- und Tanzensembles aus Dritte-Welt-Ländern.).

Regelmäßiges Auslegen von Dritte-Welt-Info-Materialien an Info-Regalen in öffentlichen Einrichtungen.

Versand von Einladungen.

Nutzen meiner Pressetätigkeit, um kostenlose Promotion-Artikel über Laden und Verein zu lancieren. Wenn man das alles als bezahlte Werbeeinschaltung hätte berappen müssen – das hätte die eher nicht so üppigen Finanzen des Vereines in tausend Stücke gesprengt. Allein die Vorstellung ist pure Sciene Fiction.

Grafische Mitgestaltung von Werbe- und Informationsmaterialien der Dritte-Welt-Hilfe-Szene.

Sehen lassen konnten sich auch die Spendengelder, welche von Institutionen aus der Retzer Gegend an österreichische Dritte-Welt-Hilfsorganisationen flossen, nachdem ich diese in der Provinz erst einmal flächendeckend bekannt gemacht hatte.

Teilnahme an Konferenzen der Dritte-Welt-Läden-Szene auf nationaler Ebene.

Ich war fünf Jahre lang Statist beim Film, konkret bei der "Julia"-Serie mit Christiane Hörbiger.

Ich habe mich selbst zum Computertrainer für Erwachsene weitergebildet, sodass ich den ECDL mit 35 von 36 maximal möglichen Punkten bestehen konnte. (Für all jene, die es nicht kennen: Während des Kurses mussten sieben Einzelprüfungen abgelegt werden, diese Zahl ist der Durchschnittswert aus allen Ergebnissen.)
Danach war ich immer im Wechsel Kunde und Trainer an verschiedensten Erwachsenenbildungsinstituten in Wien, je nach Auftragslage.
Da sich Teilnehmer bei mir immer wieder mit Schokoladentafeln und Theaterfreikarten bedankten, musste ich meine Sache wohl nicht gar so schlecht gemacht haben.

Im Jahr 2011 baute ich bei einem Wiener Erwachsenenbildungsinstitut einen Integrationskurs für Ausländer auf und leitete ihn ein Jahr lang.

Ich habe eine Ausbildung zum Buchhalter mit "Ausgezeichnetem Erfolg" abgeschlossen. Erwähnenswert vielleicht die Tatsache, dass das Niveau des Kurses derart hoch war, dass zwei Drittel der Kursgruppe gar nicht erst zur Abschlussprüfung angetreten sind.

Soweit die Fakten.
Aber alles, was diese Frauen jemals interessierte, war irgendwelcher Gefühlsscheißdreck!

* * * *

Eine Heimweh-Frau hatte mal eine Reise in das deutsche Bundesland mit Th am Anfang unternommen. (In den Mund nehmen tue ich das Wort aufgrund des Heimweh-Terrors dieser Weiber schon lange nicht mehr, das ist so eine Neurose, die die bei mir im Kopf hinterlassen haben. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, es auszusprechen, kürze ich es daher immer mit Th ab.) Als sie wiederkam, regte sie sich immer wieder fürchterlich auf: "Die haben ja überhaupt keinen Heimatstolz dort! Die haben ja überhaupt keinen Heimatstolz!" Um dann stets gleich anzufügen, dass es bei mir ja genau dasselbe wäre. Das kam dann immer gleich als Nächstes.
Bestimmt fünf, sechs Mal machte sie deshalb ein RIESENFASS auf, brüllt mich jedes Mal an; ich dachte wirklich, die hat sie nicht mehr alle.
Zunächst einmal konnte ich es von Natur aus beim besten Willen logisch nicht nachvollziehen, wie man auf solche Gedankengänge kommt. Uns Kerlen ist nun mal dieses hochkomplizierte weibliche Denken um Wurzel-aus-Dreiundachtzigkommafünf-minus-den-Cotangens-aus-frischer-Kuhmilch-und-das-Ganze-zur-Potenz-der-aktuellen-Mondphase Ecken herum fremd. Von weiblichen Überlegungen kriegt mal als normaler Mann oftmals einfach nur einen Drehwurm. Wenn die von der Kirche in die Kneipe wollen, nehmen die gedanklich einen Umweg über den Nordpol.
Und ein zweiter Gedanke: Wenn ich irgendwohin auf Urlaub fahre, käme es mir nicht in den Sinn, den Leuten dort vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Aber weiblicher Kontrollwahn und weibliche Herrschsucht kennen scheinbar überhaupt keine Grenzen.
Und der Teil, der mich persönlich betraf: Mein Gott, ich war damals 14, als die Politiker in der Gegend dort aus lauter alten DDR-Bezirken ihr Thüringen zusammengebastelt haben. In dem Alter habe ich Marvel-Comics und John-Sinclair-Gruselromane gelesen. (Tue ich übrigens auch heute noch.) Dass da plötzlich so ein Ding namens Thüringen vom Himmel gefallen war, hat mich, freundlich formuliert, einen feuchten Kehricht interessiert. Insofern hatte die Frau sogar Recht mit ihren bösen Vorwürfen. Es interessierte mich wirklich nicht in dem Alter.
Was mir auch nicht einleuchtete: Was beschwerte sie sich eigentlich bei mir bezüglich der angeblichen Nichtidentifikation der Menschen dort mit ihrem Bundesland? War ich vom Land Thüringen mit der Erstellung einer entsprechenden Imagekampagne beauftragt worden? Derartiges war mir nicht bekannt.
Bloß auf der anderen Seite hatte ich niemals eine dieser Heimweh-Fotzen am 26. Oktober, dem Nationalfeiertag, die rot-weiß-rote Fahne zum Fenster heraus hängen sehen. Aber nicht eine einzige! Na ja, wie es schon in diesem schönen, alten Aphorismus hieß: Moral ist eine so tolle Sache, dass manche Menschen sie gleich doppelt haben.
Ja, wie sah denn eigentlich deren Einstellung zu ihrem eigenen Land aus? Von genau denen, die mich immer mit dem Gesülze belästigten, die Heimat, die Heimat, die Heimat wäre doch das Größte im Leben, und das müsste man doch vermissen, wenn man von ihr weggeht, hörte man diesbezüglich nur Herumgemaule. Nichts an Österreich war ihnen gut genug. Nichts. Die geografische Lage zum Beispiel. Zuerst war alles ganz schlimm, weil sie die geschlossenen Ostblockgrenzen vor der Haustür hatten. Dann war auf einmal alles ganz schlimm wegen der geöffneten Grenzen. Die Politiker – alles unfähige, korrupte Verbrecher. Die Lehrer – faule, asoziale Altachtundsechziger. Die Bevölkerung – alles Idioten, außer ihnen selbst natürlich. Innerhalb von Wien – was wird da nicht über den öffentlichen Nahverkehr gejammert und geschimpft. Obwohl er bei nüchterner Betrachtung mit den zu den besten von allen europäischen Millionenstädten gehört.
Die Schneeräumung im Winter. Zuerst werden mit den Sommerreifen an den eigenen Fahrzeugen trotz vielfacher Automobilfahrer-Club-Hinweise in den Medien bei Wintereinbruch die Straßen verstopft. Und dann wird wie die Rohrspatzen auf die Bauhöfe geschimpft, wo sie mit ihren Einsatzfahrzeugen bleiben. Die Postzustellung. Das Klima. Die Straßeninstandhaltung. Motz, motz, motz, den ganzen Tag lang, von Früh bis Abend. Ich glaube, so etwas nennt man Doppelmoral.
Ich antwortete der Frau: "Mir liegen zu dem Thema keine exakten demografischen Erhebungen vor. Ich vermute jedoch stark, dass es dort so wie überall auf der Welt sein wird. Dass es dort Leute mit hohem Heimatbewusstsein geben wird und Leute, denen das Thema einfach nur am Arsch vorbei geht." Wortwörtlich hatte ich das so formuliert. Und wer mich kannte, konnte daraus ablesen, dass ich schon wieder auf 180 war!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Und gedacht habe ich: Dämliche Fotze, woher nimmst du die Frechheit, mir mit deiner Gehirnscheiße meine kostbare Lebenszeit zu stehlen?
Außerdem spulte ich wieder meinen üblichen heimatgeschichtlichen Vortrag ab:
"Meine Stadt gehörte zur Zeit ihrer Gründung zum Feudalbesitz des Klosters Hersfeld in Nordhessen.
1482 bis 1815: Sachsen.
Ab 1815: Preußen – Provinz Sachsen. Auf dem Wiener Kongress wurden bekanntermaßen etliche Teile von Sachsen abgetrennt und Preußen zugeschlagen.
1945: Provinz Sachsen-Anhalt.
1947: Infolge der Auflösung des Staates Preußen Sachsen-Anhalt.
1952: Auflösung aller Bundesländer auf dem Gebiet der DDR. Kastanienberg gehört fortan zum Bezirk Erfurt, Kreis Sömmerda.
Erst 1990 haben sie die Stadt zu Thüringen, das in dem Jahr überhaupt erst neu gegründet worden ist, dazugetan.
Und 1992 haben wir die Biege gemacht."
Und auch dieses so genannte Thüringen selber, hatte ich manchmal noch im Anschluss daran erläutert, kann geschichtlich auf kaum nennenswerte Traditionen verweisen. Es gab in grauer Vorzeit mal ein Königreich Thüringen, das jedoch 531 bei der Schlacht an der Unstrut von den Franken einkassiert worden ist. In den Jahrhunderten danach existierte es noch als untergeordnete Provinz, bis es dann 1440 mit dem Tod Friedrichs IV. vollkommen von der Landkarte verschwand. Erst 1920 kam es wieder zur Gründung eines Freistaates Thüringen. Der aber auch wieder bloß bis 1952 Bestand hatte, als in der DDR alle Bundesländer aufgelöst und durch Bezirke ersetzt wurden. Fast 40 Jahre später, ab Sommer 1990, gab es dann erneut ein Thüringen.
Und auch darum habe ich für dieses Thüringen nie irgendeine Form von Heimatgefühl entwickelt. Es ist für mich nicht mehr als ein putziges Relikt aus längst vergangenen Zeiten, ein Museumsstück. Amüsant hinter einer Glasvitrine anzusehen, aber nichts, zu dem man irgendeine innere Beziehung herstellen kann. Ich jedenfalls brauche es nicht zum Glücklichsein.

Das alles, um jedes Mal hinterher resigniert festzustellen, dass ich gegen Wände redete. Dass da zwei Welten aufeinander prallten: Gefühlsgesülze kontra Fakten. Die Reaktionen der Frauen auf meinen Vortrag fielen, höflich formuliert, sehr abenteuerlich aus. Meine "spezielle Freundin" war geradezu maßlos enttäuscht: "Ach, da hat das gar nicht schon immer zu Thüringen gehört?????"
Ich dachte bloß: Und das ist aus genau welchen Gründen ein solch apokalyptisches Drama?
Mein Gott, Staatengebilde entstehen und vergehen, werden geteilt und wo angeschlossen – das sollte aus dem Geschichtsunterricht eigentlich hinlänglich bekannt sein. Und speziell die Landkarte von Deutschland sah in den vergangenen Jahrhunderten aus wie die Frontscheibe eines Autos, die ein Hooligan mit seinem Baseballschläger bearbeitet hat. Wieso steche ich ausgerechnet in ein solches Wespennest, wenn ich im Fall Thüringen davon berichte?
Oder auch wenn ich an die linksrheinischen Gebiete denke, die nach dem Bäumchen-wechsel-dich-Prinzip in der Geschichte mal zu Deutschland, mal zu Frankreich gehörten. Im Saarland haben wir eine ganz ähnliche Entwicklung. Mein Gott, die Menschen dort müssten aufgrund ihrer abenteuerlichen Geschichte ja in permanenter psychotherapeutischer Behandlung sein.
Sowie: Welchen Zeitraum umfasste bei ihr eigentlich das Wort "immer"? Seit der Reichsgründung 1871? Seit Karl dem Großen? Seit Jesus? Seit dem Urknall? Nur um das mal parametermäßig einzugrenzen. Ich weiß nicht, was für kitschtriefende Klischeevorstellungen von uralt-mystisch-geheimnisvoll diese Frauen bei dem Thema haben, sie haben jedenfalls mehr mit "Indiana Jones" oder "Der Herr der Ringe" zu tun als mit der nüchternen geschichtlichen Realität. Denn genau so wie ich es beschrieben habe, sehen die knallharten geschichtlichen Fakten nun einmal aus. So und nicht anders. Wenn diese kapriziösen Damen davon eine Krise bekommen, dann kann ich es auch nicht ändern!!!!! Ich habe weiß Gott auch noch was anderes zu tun im Leben, als ständig nur auf Zehenspitzen um deren Launen herumzuschleichen!!!!!

Auch bei einer anderen Frau: maßlose Enttäuschung.

Wieder eine andere Frau: "Bei mir brechen ja Weltbilder zusammen!"

Bei abermals einer anderen Frau kam es richtig angstvoll aus der Pistole geschossen: "Aber jetzt werden sie es nicht mehr ändern!!!"
Hatte ich irgendetwas verpasst bezüglich eines bevorstehenden Endes der Geschichte? War der biblische Tag des Jüngsten Gerichtes in unmittelbare Nähe gerückt? Oder transformieren uns die reptiloiden Außerirdischen vom Sternbild Aldebaran demnächst auf eine höhere Bewusstseinsebene, wie von Esoterikerkreisen angekündigt?
Auf meine schüchtern vorgetragenen Einwände, dass ich darauf lieber kein Geld wetten würde, weil möglicherweise in 50 Jahren die Russen wiederkommen, oder weil es an den Randzonen des Bundeslandes mal irgendwelche Gebietstauschaktionen mit dem Nachbarland gibt, was in der Geschichte schon unzählige Male vorkam – noch 1992 sind in den Randlagen ein paar Gemeinden zu Sachsen abgewandert –, oder was weiß ich alles passieren kann, ging sie gar nicht ein. Das wollte sie gar nicht hören, das machte ihre heile Welt kaputt, das spürte ich richtig.

Ich werde interviewt von der Chefredakteurin einer Wiener Zeitschrift. (Die genauen Umstände tun mal nichts zur Sache.) Urplötzlich, nach einer thematisch völlig anderen Frage, kommt es plötzlich wie angeschossen ihr: "Sie kommen aus Thüringen?!" In irgendwie einer ganz merkwürdigen hysterischen Tonart. Seltsam.
Ich ließ durchblicken, dass mir dieser Thüringen-Schwachsinn langsam gewaltig auf den Senkel gehe und dass wir einfach mit der nächsten Frage weitermachen sollten.
Es ging mir in dieser Zeit mittlerweile mächtig gegen den Strich, dass die Frauen – und zu 99,99 Prozent waren es Frauen – sich immer wieder auf irgendeine Weise an den Umständen meiner Herkunft "aufgeilten". So langsam sollten wir doch mal zum Tagesgeschäft übergehen, dachte ich in dieser Zeitepoche etwas naiv. Langsam sollte das Thema mal ausdiskutiert sein. Aber mit Frauen in ihrer infantilen Rechthaberei ist NIE etwas ausdiskutiert! Du eilst beruflich von einem Erfolg zum anderen, kennst mit 20 schon die halbe niederösterreichische Landesregierung persönlich – aber alles, was diese Frauen – und es waren nur Frauen, die sich so verhielten – interessiert, ist irgendwelcher an den Haaren herbeigezogener Scheißdreck aus der Vergangenheit! Es kommt einmal ein Punkt, da KOTZT dich das an bis zum Mond!!!
Rein rechtlich gesehen konnte ich außerdem gar nicht aus Thüringen stammen, weil nämlich ein Bundesland namens Thüringen zum Zeitpunkt meiner Geburt als Rechtssubjekt gar nicht existierte! Geltendes Recht zu diesem Zeitpunkt war das "Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik" vom 23. Juli 1952, welches eine Auflösung der Bundesländer und Umwandlung in Bezirke zum Inhalt hatte. Abgelöst erst durch das "Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik (Ländereinführungsgesetz)" vom 22. 07. 1990.
Juristisch korrekt müsste man daher formulieren: Ich hatte in Thüringen meinen gewöhnlichen Aufenthalt nach den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland während der Jahre 1990 bis 1992 inne. So und nicht anders gestaltete sich der juristische Sachverhalt. Wenn man an einer Bäckerei das Firmenschild abhängt und durch ein Fleischereischild ersetzt, macht es nicht "Puff!" und die Schrippen verwandeln sich in Frikadellen. Aber damit hätte ich diese "Dame" geistig vollends überfordert.
Zuerst lachte sie mich auf eine sehr dummdämliche Weise aus. Dann wurde sie mit einem Male richtig aufbrausend: "Aber ich muss das schon bringen!!! Das Thüringen ist ja schließlich sehr bekannt!!!"
Ich dachte nur: Und wenn sie dieses absolut bedeutungslose Faktum nicht veröffentlicht, dann passiert genau was? Setzt dann das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz einen Auftragskiller auf sie an oder wie habe ich mir das vorzustellen?

Das Schärfste jedoch war eine Frau, die mir vorwarf, wie "kalt und gefühllos" ich von Thüringen spräche. Sie selbst hätte Bekannte, die dort schon öfters mal gewesen seien. "Mit was für einer Liebe die davon sprechen! Die suhlen sich fast darin!"
Mein erster Gedanke: Schweine suhlen sich halt in ihrer eigenen Scheiße. Das tun sie einfach.
Mein zweiter Gedanke: Soll ich mir ihrer Meinung nach einen runterholen, während ich meinen Geschichtsvortrag halte, oder wie stellt sie sich das vor?

Ich erklärte diesen Frauen auch, dass unsere Stadt nur einen Katzensprung von der sachsen-anhaltinischen Grenze entfernt lag. Eine halbe, Dreiviertelstunde Autofahrt bei guten Fahrverhältnissen und man war schon in Sachsen-Anhalt. Mir sind daher die Nachbarregionen dort zigmal vertrauter als der allergrößte Teil von Thüringen. Zigmal!
Schon von daher war ich es gewohnt, über den Tellerrand hinauszusehen und hatte niemals so eine verbohrte, vernagelte, kleinkarierte Einstellung, dass nur das eigene, kleine Bundesländchen das Zentrum des Universums ist.
Aber das wollten sie auch nicht hören. Ging links rein und rechts gleich wieder raus.

Ich erzählte, dass meine Großmutter aus dem Kernland des heutigen Sachsen-Anhalt stammt. Als meine Mutter zur Welt kam, gehörte unsere Stadt politisch ebenfalls noch zu Sachsen-Anhalt. Und mein Vater kam wieder aus einer komplett anderen Ecke.
Also, einen "Ariernachweis" für das Bundesland Thüringen würde ich unter diesen Umständen schon einmal nicht bestehen.
Wollten diese Damen aaaauuuuuuch nicht hören.

Einmal hatte ich während eines Heimweh-Verhörs erzählt, dass bei mir immer zwei Dinge prägend gewesen seien: der nächste größere Fluss in unserer Gegend, die Unstrut (Welche übrigens zur Hälfte in Sachsen-Anhalt und in Thüringen liegt.), sowie Mitteldeutschland, also das gesamte südliche Drittel der Ex-DDR.
Ich wurde daraufhin von einer Frau hysterisch angebrüllt, ich würde diese zwei Begriffe doch jetzt bloß deshalb einführen, um das Wort Thüringen nicht verwenden zu müssen, und das sei beides doch sowieso dasselbe wie Thüringen.
Mit Verlaub gesagt, auf die Idee, beispielsweise einen Katalanen anzubrüllen und zu beschimpfen, wenn er mir sagt, dass er sich mehr als Katalane denn als Spanier fühlt, käme ich in einer Milliarde Jahren nicht. Auch würde ich niemals einem Kurden vorschreiben wollen, ob er sich als Kurde, Türke oder Iraker fühlen soll.
Wenn du solche "Argumente", die einfach nur noch das Prädikat "hanebüchen" verdienen, die schon ein mitteldeutscher Grundschüler mit dem Heimatkundeunterrichtswissen der Zweiten Klasse widerlegen könnte, hinterher im Gehirn nachhallen lässt, dann zweifelst du im Ping-Pong-Verfahren wechselweise an deinem eigenen Verstand und dem deiner Gesprächspartnerin.
Ganz davon abgesehen hätte ich NIEMALS die Chuzpe, jemand von anderswoher über Verhältnisse in seinem eigenen Land belehren zu wollen. Denn ich weiß von MIR ganz genau: Wenn ich nicht mindestens drei Jahre vor Ort gelebt habe, kann nur irgendein megapeinlicher Scheiß dabei herauskommen. Darum halte ich zu einem Thema, bei dem ich mich nicht zu mindestens 80 Prozent wirklich trittfest fühle, lieber die Fresse. Ich denke bei solchen Situationen immer nur an das schöne, alte, jüdische Sprichwort: Warum haben wir zwei Ohren, aber nur einen Mund?
Weil wir doppelt soviel hören wie sagen sollen!

Ich sagte: Mein Gott, im Leben endet ständig irgendetwas und etwas Neues beginnt.
Wollten sie ebenfalls nicht hören.
Wie schon von Wilhelm Busch hinterlassen: "Wer längst Vergangenes in der Gegenwart aufsuchen möchte, setzt sich meist einer großen Enttäuschung aus."
Auf arte sah ich mal einen russischen Experimentalfilm. Die Handlung war die, dass ein Komet in den riesigen Wäldern Russlands niedergegangen war. Dieser Komet hatte seltsame Eigenschaften. In seinem gesamten Einschlagsgebiet hatte er alle Naturgesetze außer Kraft gesetzt. Dieses Gebiet wurde fortan "die Zone" genannt, es wurde abgesperrt und aus Sicherheitsgründen verboten, es zu betreten.
Was aber trotzdem immer wieder geschah. Wagte man sich nämlich unter großen Gefahren bis ins Zentrum dieser Zone vor, dann wurden alle Wünsche, die man dort aussprach, binnen eines Jahres Wirklichkeit. Und so hatte sich eine gut florierende Szene von Schleusern etabliert, die Menschen gegen Bares dorthin brachten.
Der Marsch durch das Gebiet war vor allem von einer Besonderheit geprägt: Wenn man irgendeine Strecke durch das unwirtliche Gelände ging, dann veränderte sich schlagartig hinter einem die Landschaft radikal. So wie sich in nächtlichen Träumen Landschaften plötzlich total verändern können, war dies hier in der Realität der Fall. Und dies geschah, sobald man irgendeine Wegstrecke hinter sich ließ. Sodass es unmöglich war, auf gleichem Weg wieder zurückzugehen.
Die Macher dieses Films hatten etwas begriffen, was diese Frauen nie begreifen werden! Nämlich, wenn du von irgendwo weggegangen bist, du nie wieder haargenau an derselben Stelle anknüpfen kannst, an der du aufgehört hast. Nie, nie, nie wieder!

Das sind so die Augenblicke im Leben, in denen du nicht mehr weißt: Bist du jetzt plemplem im Kopf oder alle Anderen? Ist das nicht, auf Deutsch gesagt, so etwas von scheißegal, ob die Gegend Thüringen heißt oder Taka-Tuka-Land? Gibt es nicht weiß Gott wichtigere Themen im Leben? Als ich noch dort gelebt habe, war das für mich nie mehr als ein Abwasser-Zweckverband oder ein Postzustellgebiet. Es hat mich einfach nicht interessiert oder persönlich berührt, ob es so ein Ding namens Thüringen gibt. Und wenn die Politiker es genauso Knall und Fall wieder abgeschafft hätten, wie sie es eingeführt haben, dann hätte ich das nur sehr am Rande registriert. Darum verstehe ich bis heute nicht, warum diese Frauen einen derartigen Zinnober darum veranstalten. Ich verstehe nicht, warum das mit diesen Frauen jedes Mal so stark eskaliert ist, warum sich das immer gleich zu einem Drama entwickelt hat. Alles, was ich getan habe, war, dass ich versucht habe, auf ihre Fragen zu einhundert Prozent sachlich-korrekte Antworten zu geben, mit allen Informationen, die ich zu dem Thema für relevant halte. Diese Art zu denken und handeln war für mich im Leben immer ein guter Kompass gewesen. Weder wollte ich jemanden schulmeistern noch meine Meinung aufzwingen. Ich verstehe es nicht, ich verstehe es einfach nicht. Ich kapier's nicht.

* * * *

Noch eine Geschichte in dem Zusammenhang fiel mir ein. Diesmal mit "meiner speziellen Freundin" aus Retz.
Es war auf einer Feier. Ich erzählte im Schnelldurchgang, was ich so alles beruflich getrieben hatte, seitdem wir 1992 angekommen waren.
Meine "Freundin" hockte währenddessen auf ihrem Stuhl wie ein lauerndes Raubtier auf dem Sprung. Richtig hysterisch, wie angeschossen, kam es dann aus ihr heraus: "Aber es hat doch auch VIIIIIIIIELE Enttäuschungen gegeben?!"
Das Viele betonte sie richtig, zog es phonetisch richtig in die Länge.
Ich reagierte nicht darauf, weil ich überhaupt nicht verstand, was sie damit meinte, worauf sie hinaus wollte. Ich dachte die ganze Zeit über, sie spielt auf irgendwelche ganz konkreten Ereignisse an, die uns beiden bekannt waren, und ich ging daher verzweifelt im Schnelldurchlauf die Dateien in meinem Kopf durch, ohne zu irgendeinem Suchergebnis zu kommen. Mir war in dem Moment nicht klar, dass sie einfach nur auf den Busch klopfte, dass sie im Nebel stocherte. Ich bin im Denken nun mal zu aufrichtig und geradlinig, das ist wohl mein Fehler.
Danach wiederholte sie die Frage in derselben inquisitorischen Tonart noch bestimmt fünf Mal.
Das hatte ich mit diesen Frauen schon öfter erlebt, dass sie meine Reaktion gar nicht erst abwarteten, sondern sich gleich selbst die gewünschte Antwort gaben. Eine Respektlosigkeit sondergleichen!
Ich konnte inzwischen längst nicht mehr mitzählen, wie oft ich während ihrer "KGB-Verhöre" zum Thema Heimat/Heimweh im Geiste bereits meine Hände an ihrer Kehle hatte und immer fester zudrückte, damit sie endlich ihr verfluchtes, beschissenes, dreckiges Maul hielt!!!!!!!!!!!
Und dann wundern sich einige Leute noch, warum bei einem im Leben mal ein Punkt kommt, ab dem man einfach keinen Bock mehr auf Sex mit Frauen hat!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Außerdem war es eine vollkommen idiotische Scheißfrage. Am Ende des Tages zählen nur die Erfolge, sonst nichts. Ohne größenwahnsinnig oder anmaßend klingen zu wollen: Interessiert sich heute noch irgendjemand ernsthaft für die Rückschläge und Pleiten von Archimedes, Johann Gutenberg, James Watt, Thomas Alva Edison, Nikola Tesla, Carl Benz, Gottfried Daimler, … Wird den Kindern in der Schule etwa beigebracht: James Watt ist der verhinderte Erfinder von …, von …, von …,
Es klingt vielleicht ein bisschen "gaga", aber ich bekomme bis zum heutigen Tag jedes Mal ziemlich heftige Panikattacken und Schweißausbrüche, wenn bei uns zuhause das Telefon klingelt, "sie" könnte am anderen Ende der Leitung sein und wieder irgendwelchen vollkommen geistesgestörten Schwachsinn erzählen. Umso mehr fällt mir dann ein Stein vom Herzen, wenn es tatsächlich Herr Weinheber von Bofrost ist, um mir mitzuteilen, dass er nicht um 15:00 Uhr, sondern um 16:00 Uhr kommt. Wenn du unter DEN WEIBERN noch normal bleibst – da bist du selber nicht mehr normal!

* * * *

Meine spezielle Freundin hatte damals in den Neunzigern in ihrer üblichen völlig respektlosen, dummfrechen Art wieder einmal wie ein Berserker in mir gebohrt, warum ich nach dem Bundesland Thüringen denn nicht vor Heimweh zerfließe.
Nun langte es mir doch einmal und ich polterte ziemlich heftig los, dass wir Hauptschüler von der Politik dort wie Untermenschen, wie Schwerstverbrecher, wie der letzte Dreck behandelt werden. Und dass ich diese Gossendrecks-Abschaums-Thüringer Landesregierung deshalb ungefähr so sehr wie Syphilis und Lepra vermisse. Dass es zwischen diesem Verbrecherpack in der Erfurter Regierung und mir einfach keine Gemeinsamkeiten gibt!
So hatte ich das wortwörtlich gebrüllt, als das Fass überlief. Die Nerven lagen zu dem Zeitpunkt auf beiden Seiten bereits sehr blank. Durch ihr vorangegangenes Verhör war die Sache völlig aus dem Ruder gelaufen, völlig eskaliert.
Ich hatte das mit Frauen von Jugend an immer wieder erlebt. Auch wenn sie merken, dass dich ein Thema ankotzt, triezen und piesacken sie dich immer weiter damit. Solange, bis du mal auf eine spektakuläre Weise explodierst. Dass da vielleicht deine Gesundheit darunter leidet, zum Beispiel in Form von Schlafstörungen, Alpträumen, Herz-Kreislauf-Problemen und Ähnlichem, 20 Jahre lang ununterbrochen verschiedene Ohrwürmer im Kopf haben, bis hin zu epileptischen Anfällen, wenn du dich immer wieder derart echauffierst, interessiert diese "Damen" nicht die Bohne.
Ein emotionaler Ausbruch war die Folge!!!!!!!!!!! Neiiiiiiin, wie könne ich nur so negativ über Thüringen sprechen! So schlecht könne es doch nun wirklich nicht sein.
Gnädig "vergaben" mir ihre Hochwohlgeboren dann noch, dass ich es wagte, eine eigene Meinung zu haben, indem sie in sehr abschätziger Tonart sprach: "Na ja, selber sieht man seine Gegend halt immer übertrieben kritisch."
Spontan dachte ich: Diese anmaßende, großkotzige Person ist ja auch eine ausgewiesene Expertin in Sachen Thüringen. SIE hat ja Jahrzehnte dort gelebt, kann also die Verhältnisse dort sehr profund und aus erster Hand beurteilen. Hm.
Hinterher stellte ich mir im Stillen eine ganz simple Frage: Wenn sie an meiner Sicht der Dinge von vornherein DEFINITIV NICHT INTERESSIERT IST, warum tyrannisiert sie mich dann? Warum tyrannisiert sie mich dann immer wieder? Braucht sie bloß einen Papagei, der ihre Weisheiten nachplappert?

Ich erlebte es immer wieder, dass diese Frauen meine Kritik am dort herrschenden Anti-Hauptschüler-Apartheidsystem im Bundesland Thürficken mit einem generellen Hass auf jeden Stock und jeden Stein in dieser Gegend gleichsetzten. So kam immer wieder der Vorwurf, dass doch nicht alles an Thüringen schlecht sein könne.
Ich hatte das nie so gesagt, und wer etwas Anderes behauptet, der lügt. Manchmal hatte ich das Gefühl, diese Frauen legten es geradezu darauf an, mich falsch zu verstehen, um möglichst lange und ausgiebig mit mir herumstreiten zu können. Alternatives Erklärungsmodell: simple Blödheit.
Beispielsweise im Zusammenhang mit Mutters Ausstellung war das der Fall. Anlässlich der 1225-Jahr-Feier unserer Stadt in Deutschland hatte ich für Mutter eine Ausstellung mit Kastanienberg-Motiven im dortigen Heimatmuseum organisiert. Die Hängung zu guter Letzt übernahm ein lokaler Verein vor Ort, den ganzen Rest, das Organisatorische, Grafische, Technische, hatte im Großen und Ganzen ich erledigt. Und auch das Finanzielle haben Mutter und ich von unserem gemeinsamen Familienkonto bestritten, das sei auch mal so ganz nebenbei erwähnt.
Die Sache wurde ein RIESENerfolg. Die Ausstellung kam bei der Bevölkerung sehr, sehr, sehr gut an; auch in der regionalen Presse gab es etliche positive Niederschläge. Ohne größenwahnsinnig klingen zu wollen, konnte man behaupten, dass wir ein Stück Ortsgeschichte mitgeschrieben hatten.
Genauso erzählte ich das auch meiner "speziellen Freundin". Als Mann bist du nun einmal einfach und unkompliziert. Wenn du im Leben einen Ball durch die gegnerischen Linien bringst und pfeilgenau im Tor versenkst, dann freust du dich einfach! Und entwickelst nicht im selben Atemzug hundertfünfzig schräge Hintergedanken.
Nicht so jedoch meine spezielle Freundin. SIEGESSICHER strahlte sie übers ganze Gesicht. Dann kam es von ihr in einer richtigen Ha-ertappt-Tonlage: "Also ist das Eigene doch nicht alles schlecht!"
Dafür hätte ich der alten Dreckfotze schon wieder links und rechts eine in die Fresse hauen können, dass sie in der hintersten Zimmerecke gelandet wäre.
Ich tat es nicht. Stattdessen stellte ich betont sachlich wieder einmal richtig, dass ich das nie so gesagt habe. Und dass jeder, der etwas Anderes behauptet, lügt.
Wenn die wüsste, wie sehr bei Mutters Kastanienberg-Zeichnungen auch im Internet, wo ich sie ebenfalls veröffentlicht habe, die Zugriffszahlen explodierten, dann würde dieses kranke Weibsstück vollends überschnappen.
Und noch ein drittes Projekt gab es zu diesem Thema. Der nach Meinung des Thüringer Bildungsministeriums geistig auf dem Niveau eines dreijährigen Mongoloiden stehen gebliebene ehemalige Hauptschüler Christoph Altrogge – um an dieser Stelle gleich dem zweiten großen Feindbild seines Lebens seinen abgrundtiefen Hass und seine abgrundtiefe Verachtung wissen zu lassen – hatte die Fotobuch-Software eines sehr bekannten Anbieters aus dem Internet auf seinen Rechner heruntergeladen, diese im Nullkommanichts im Selbststudium erlernt. Er lud unzählige künstlerische Zeichungen seiner Mutter von der Stadt seiner Kindheit hoch, verfasste selbst eine kleine heimatgeschichtliche Abhandlung über die Stadt, wie sie seines Wissens nach noch nicht existierte. Heraus kam ein recht schönes heimatgeschichtliches Buch, das dort in der Stadt EINSCHLUG WIE EINE BOMBE!!!!!
Auch hier: Gut, dass diese Frauen nicht davon wissen, sonst wäre Achterbahn! Sonst würden die mit mir Schlitten fahren!!!!!
Den Vogel mit dieser Relativiererei abgeschossen hatte mal, wer wohl, ebenfalls meine spezielle Freundin. Sie fragte mich eines Tages ganz vertrauenswürdig, was es in Erfurt und Umgebung denn so alles für Sehenswürdigkeiten gäbe.
Ich freute mich sehr über dieses plötzlich erwachte touristische Interesse! Ich war immer gern bereit, als kultureller Botschafter meiner Herkunftsgegend zu wirken.
Na gut, ich jung und dumm und noch nichts von weiblicher Verschlagenheit ahnend, fange an aufzuzählen: In Erfurt den egapark, eine riesige Dauergartenbauausstellung. Der Dom. Die Krämerbrücke, die längste bebaute Brücke Europas. Der Tierpark.
In Weimar das Deutsche Nationaltheater mit dem Goethe- und Schiller-Denkmal davor. Das Goethe-Haus. Das Schiller-Haus. Die Innenstadt überhaupt. Das Stadtschloss. Goethes Gartenhaus. Der Schlosspark Tiefurt. Der Belvedere-Park. Das Albert-Schweitzer-Haus. Das Kirms-Krakow-Haus mit seinen historischen Möbeln aus der Zeit der Industriellen Revolution.
Als ich fertig war, kam die große Ernüchterung. Meine spezielle Freundin ließ die Katze aus dem Sack, indem sie mir mitteilte, dass sie mir mit dieser Frage entlocken wollte, "dass an Thüringen doch ein gutes Haar zu finden sei", wie sie es wortwörtlich formulierte.
Kein kulturelles Interesse. Eine ganz gewöhnliche weibliche Manipulation. In die ich reingetreten war wie in einen Riesenhaufen Kuhscheiße. Und da wundern sich manche Frauen noch, warum viele Männer es vorziehen, auf Gespräche mit ihnen zu verzichten, bei soviel Hinterhältigkeit.

Es war nicht das erste Mal, dass ich es erlebte, dass diese Frauen zunächst mit einer harmlos wirkenden Frage ankamen, um gleich darauf so richtig stinkig und kreblig zu werden.
Eine andere Heimweh-Frau, auch so eine böse, alte Frau wie meine "spezielle Freundin", fragte mich mal in einem Café nach einer Veranstaltung, aus welcher Gegend wir genau stammen. Sie hätte angeblich gestern mit einer Bekannten über uns gesprochen und da wusste sie das nicht.
"Aus der Nähe von Weimar", gab ich zur Antwort, und gleichzeitig dachte ich: Mein Gott, das habe ich dir in den letzten Jahren doch schon hundert Mal erzählt, du selten dämliche Trine. Weimar ist doch nun wirklich nicht irgendein lausiges Kuhdorf am Ende der Welt.
Aber gleich darauf wurde deutlich, woher der Wind wehte. Die scheinbar unverfängliche Frage war nämlich nur der Opener für ein weiteres halbstündiges KGB-Verhör, ob ich nicht doch vielleicht Heimweh habe.
Ich hätte nicht übel Lust gehabt, ihren Kopf zu packen und etliche Male kräftigst gegen die Wand hinter ihr zu donnern, um ihr mal so richtig die Dummheit aus dem Schädel zu schütteln.

* * * *

Einmal hatte ich mit einer Frau beruflich zu tun und sah sie im Zuge dessen so ungefähr alle vier bis sechs Wochen.
Während unserer ersten Begegnung hatte sie mich mit lauernd-verschlagenem Gesichtsausdruck gefragt, ob ich aus Thüringen stamme.
Ich beschloss, hier mal eine neue Methode auszuprobieren, die Frauen davon abzuhalten, in meiner Vergangenheit herumzuschnüffeln – indem ich mich einfach blöd stellte.
Ich tat daher einfach so, als hätte ich das Wort "Thüringen" in dem Augenblick zum ersten Mal gehört. Meine Überlegung war die, dass ich ja nun weiß Gott nicht über alles bescheid wissen kann, was in Deutschland so vor sich geht, und das nichts Tragisches wäre.
In ihrer großkotzigen und anmaßenden Art gab sie mir, als wir uns verabschiedeten, gleichsam als "Hausaufgabe" bis zum nächsten Mal auf, mich bei meiner Mutter nach Thüringen zu erkundigen.
Ungelogen – bei JEDEM unserer Treffen bohrte sie auf ungeduldige Weise nach, ob ich mich schon nach Thüringen erkundigt hätte. J E D E S   M A L!!!
Das ging ein halbes Jahr so!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Da weißt du wirklich nicht mehr: Hast du selber einen Programmfehler auf der Festplatte oder alle Anderen?
Irgendwann explodierte ich mal und fuhr sie ziemlich ruppig an, dass sie mir mit dem Scheiß-Thema nicht länger auf die Nerven gehen solle!!!!!!
Da gestand sie mir, sie habe deshalb damit begonnen, mich so sehr mit dem Thüringen-Thema zu löchern, weil ihr aufgefallen sei, dass ich unsicher mit den Augen geblinzelt habe, als sie mich das erste Mal mit dem Wort Thüringen konfrontierte. Das habe ihre Neugier erst so richtig angestachelt.
Wie kann man nur ein so böses, widerliches, gemeines Stück Scheiße sein!

* * * *

Ich hatte für meine Abteilung religiöser Bücher zuhause in Antiquariaten versehentlich zweimal dasselbe Buch über die Hl. Elisabeth gekauft. Als ich das daheim bemerkte, fragte ich meine "Freundin", ob sie das überschüssige Exemplar haben wolle, da ich wusste, dass sie auch christliche Bücher sammelte.
Oooooooh, das war ein Fehler! Als sie entdeckt hatte, dass es sich hierbei um die Landesheilige von Thüringen handelte, starrte sie mich bei unserer nächsten Zusammenkunft mit riesigen, geweiteten Augen wirklich wie eine Geistesgestörte an und gab einen solchen Schwall an heimatgefühligen Verrücktheiten von sich, wie ich es in dieser Intensität noch nie bei ihr erlebt hatte.

* * * *

Die krasseste Aussage, die meine "Freundin" im Zusammenhang mit der Thüringen-Thematik mir gegenüber jemals tätigte, lautete: "Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass das Thüringen eine schöne Gegend ist!" Und das in einer fast schon weinerlichen Tonlage.
Diese Aussage hatte in ihrer vollkommenen Sinnlosigkeit beinahe schon etwas Dadaistisches an sich. Man sollte sie einem Kunstprofessor bekannt machen, damit sie der Nachwelt erhalten wird. Ich fühlte mich in ihrer Sinnfreiheit spontan an diesen beliebten Achtziger-Jahre-Nonsens-Satz "Nachts ist es kälter als draußen, weil ich so schlecht riechen kann, wie laut es geknallt hat" erinnert. Da verrenkt sich einfach nur dein Gehirn, wenn du so etwas hörst.
Nachdem ich mich erst einmal halbwegs davon erholt hatte, klärte ich sie auf, dass Thüringen nicht eine Gegend sei, sondern aus zahlreichen Gegenden besteht. Was ja an sich auch ganz logisch ist. In Niederösterreich latscht ja auch nicht von der oberösterreichischen bis zur burgenländischen Grenze eine einzige Sorte ferngesteuerter Borg-Androiden durch die Landschaft.
Und was den Teil mit der Schönheit betraf, so forderte ich sie auf, mir eine wissenschaftlich exakte Definition für "eine schöne Gegend" zu liefern. Anders sei es mir unmöglich, auf ihre Aussage einzugehen. Ich versuchte einfach, ihr die objektiven Schwierigkeiten klar zu machen, die bei der Quantifizierung dessen, was als "schöne Gegend" empfunden wird, entstünden. "Schöne Gegend" ist eine Individualaussage.
Um das Ganze mit Praxisbeispielen zu unterlegen: Für manche Menschen ist es die Erfüllung ihres Lebens, einmal eine Trekking-Tour durch die Sahara zu unternehmen oder einmal auf einem Bike über die Route 66 zu brettern. Würde mich beides nun nicht unbedingt vom Hocker reißen, aber Manche würden dafür das Vaterland verraten. Woher also bitteschön sollte ich erraten oder hellsehen, was sie alles unter dem Begriff "schöne Gegend" subsummiert?
Der Virenalarm auf meiner Festplatte im Kopf brüllte währenddessen bereits aufgrund dieser massiven Hackerattacke mit derart viel geistiger Malware … Diese Frau war ein intellektueller DDoS-Angriff ...

* * * *

Damals in den Neunzigern war mal eine der Heimweh-Frauen bei uns in der Wohnung. Dort hatte sie per Zufall den alten Farbdruck von ungefähr 1900 mit der damaligen Ansicht des Kastanienberger Marktplatzes, den ich von meiner Großmutter geerbt habe, an der Wand hängen gesehen. Prompt wurde das wieder als "Beweis" für Heimweh gewertet. Ich entgegnete völlig ruhig, dass das Bild einfach nur deshalb dort hänge, weil es ein schönes altes Bild sei. Meine Großmutter hat es ein Leben lang in Ehren gehalten, darum führe ich das ganz automatisch fort.
– DAS IST VERDAMMTE SCHEISSE NOCH MAL EIN FREIES LAND!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! DAS IST NICHT DIE VOLKSREPUBLIK NORDKOREA, DAS IST ÖSTERREICH!!!!!!!!! UND DA KANN ICH BEI MIR ZUHAUSE, IN MEINEN EIGENEN VIER WÄNDEN, SOVIELE BILDER VON HISTORISCHEN MARKTPLÄTZEN UND AUS WELCHEN STÄDTEN AUCH IMMER AN DIE WAND HÄNGEN, WIE ICH WILL!!!!!!!!!!!! OHNE DAFÜR BEIM WEIBER-ZENTRALKOMITTEE UM ERLAUBNIS ANZUSUCHEN!!!!!!!!
SO EINE VERDAMMTE SCHEISSE NOCHMAL!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! –
Ein Glück, dass sie nicht den Sachsen-Anhalt-Kalender an der Wand entdeckt hatte, den uns unsere Verwandtschaft jedes Jahr zu Weihnachten schickte. Respektive die historische Stadtansicht von Dornburg und die zwei Fotografien von der Stiftskirche Gernrode im Flur. Oder vielleicht den Kalender mit den alten Stadtansichten von Kastanienberg!!!!!!!!!!
Der Heimatstadt!!!!!!!!!! Der Heimatstadt!!!!!!!!!! Der Heimatstadt!!!!!!!!!! Um Gotteswillen!!!!!!!!!! Die hätte vor Begeisterung einen Veitstanz aufgeführt!!!!!!!!!! Ich glaube, wenn sie zu all diesen Dingen auch etwas gesagt hätte, hätte ich sie durch das geschlossene Fenster auf die Straße geworfen.
Gleich danach nervte sie mit der Luftaufnahme von Kastanienberg, die direkt unter dem historischen Bild hing. Sie fragte, wo das sei, und ich antwortete: Kastanienberg von oben.
War für sie in ihrem verwirrten Hirn natürlich der nächste Beweis für Heimweh.
Ich sagte, das Bild hängt da, weil wir es 1992 anlässlich der 600-Jahr-Feier der Stadtrechtsverleihung geschenkt bekommen haben.
Die nächste Entdeckung waren dann meine zwei alten Sandmännchen-Figuren, welche auf dem Fernseher in unserer Stube standen. Sie hatte sie zunächst für irgendetwas ganz Anderes gehalten, ich weiß nicht mehr, was. Ich kläre sie auf, was es mit dieser Figur für eine Bewandtnis hat. Dass sie eine Kultfigur aller Kinder in der DDR war. Sie darauf ganz siegesgewiss: "Na, das ist ja eigentlich schon wieder ein Beweis für Heimweh!"
Ich sagte, die Figuren stehen da, weil ich sie nun mal von Kindheit an besitze. Sie wird daheim sicherlich auch irgendwelche Gegenstände aus früheren Lebensphasen besitzen. Meine Güte.
Worin um alles in der Welt besteht ein auch nur ansatzweise plausibler, kausaler und nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen der Existenz zweier Merchandising-Figuren des seinerzeitigen DDR-Fernsehens und dem Phänomen Heimweh? Ich kann mich auf den Kopf stellen und vermag da immer noch keine Verbindung erkennen.
Seit einigen Jahren schossen in den neuen Bundesländern Museen zur DDR-Alltagskultur wie Pilze aus dem Boden. Zumeist von privaten Sammlern zu hundert Prozent auf Eigenkapitalbasis betrieben. Die haben alle Heimweh nach irgendwas?
Jeder, der eine Alf-Puppe bei sich zuhause hat, will ins Weltall abdüsen?
Als Letztes wurden ihr die fünf farbigen Riesenplakate an der Stubenwand gewahr. Das vom Goethe-Haus in Weimar, das von der Klosterruine Thalbürgel und das vom Bachhaus in Eisenach. Gleich im Anschluss je ein Kunstplakat von Gottfried Schüler und Karl Schmidt-Rottluff, zwei Maler aus unserer Region.
Danach sah sie an der Wand, die sich rechtwinklig anschloss, die zwei etwas kleineren, querformatigen, schwarz-weißen Plakate. Beide als Poster ausgearbeitete Vergrößerungen historischer Fotografien aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die eine zeigte Franz Liszt in seinem Weimarer Arbeitszimmer. Die andere eine Straßenszene aus Weimar, auch ungefähr aus derselben Zeit. Ich bin nun mal kulturell vielseitig interessiert.
Auch hier rieb sie mir dann triumphierend unter die Nase, dass das ein Beweis wäre, dass ich eben doch Heimweh hätte.
Das war der Moment, in dem bei mir eine Sicherung durchflog. Was wirklich sehr, sehr, sehr selten der Fall ist. "DAS IST EIN BEWEIS FÜR GAR NICHTS!!!!!!!!!!" hatte ich hernach losgepoltert. "DAS IST EIN BEWEIS FÜR SCHEISSE IN ASPIK!!!!!!!!!! NACKTER ARSCH IM MONDENSCHEIN!!!!!!!!!!"
Dass ich herumbrülle, kommt im Schnitt alle fünf Jahre einmal vor. Aber sie hatte es geschafft. Sie hatte mich so weit gebracht.
Wenn sich jemand solchermaßen dummfrech-anmaßend in dein Leben einmischt, dir quasi alles zum Vorwurf macht, sodass du dich für jeden Scheißdreck rechtfertigen musst, da entwickelst du derart gewalttätige Phantasien, bei denen du früher nie gedacht hättest, dass du zu ihnen in der Lage bist …

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Ein zweites Mal hatte ich meinen Autisten-Ausraster während eines Verhörs durch meine "spezielle Freundin" bekommen. Wir waren gerade im Wald Richtung Hofern unterwegs, als sie mich mit ihrem Thüringen-Unsinn folterte.
Schließlich war bei mir die kritische Masse erreicht. Ich brüllte plötzlich wie ein Berserker in die feierliche Stille des Waldes hinein: "SCHEISSTHÜRINGEN!!!!! FICKEN!!!!! FOTZE!!!!! TOTMACHEN!!!!!"
Das muss nicht immer zwangsläufig alles einen Sinn ergeben, was wir Autisten so äußern, wenn bei uns die Sicherung durchbrennt. Das ist einfach nur ein Ausdruck unserer gequälten Seele in diesem Moment.

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Ich zeige ihr Bilder von Kastanienberg, das ergab sich irgendwie so, weil ich die zufällig gerade zur Hand hatte. Auf einer der Aufnahmen ist der Kastanienberger Sportplatz zu sehen. Ich erwähne beiläufig, dass ich dort 1989 einen für meine Verhältnisse ziemlich beachtlichen sportlichen Erfolg erzielt habe. Spontan kommt es wie aus der Pistole geschossen: "Doch ein bisschen Heimweh!" Und das dazu auch in einem sehr arroganten, siegessicheren Tonfall.

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Die Absenker unseres Goethe-Bäumchens daheim wachsen wie Unkraut. Da ich weiß, dass diese Person Pflanzen sammelt, komme ich auf die Idee, ihr einen der Blumentöpfe mit der inzwischen in die Höhe geschossenen Nachwuchspflanze zu schenken. Sämtliche Fenster bei ihr daheim waren voll mit irgendwelchem Grünzeug, man konnte damit nicht vollkommen daneben liegen. Ich gehe also zu ihr nach Hause und überbringe ihr den Topf samt Pflanze. Ich erkläre die kulturhistorische Bedeutung dieser ursprünglich aus Indien stammenden Pflanze. Dass sie von Goethe persönlich in Weimar etabliert wurde und deswegen dort heute noch so eine Art Statuspflanze der Intellektuellen ist.
Die erste Reaktion von ihr darauf war kein Dankeschön, sondern: "Ist es doch die Heimat?"
Am liebsten hätte ich ihr den Blumentopf vor die Füße geknallt und wortlos das Haus verlassen.
Ich war gar nicht mal so sehr auf sie angefressen, sondern eher auf mich selber, weil ich Perlen vor die Säue geworfen hatte. Geschichte, Kultur, Tradition – für so etwas hatten diese Damen gar keinen Sinn. Alles, was sie interessierte, waren schmutzige, kleine Geheimnisse im Leben Anderer.

* * * *

In einem ziemlich weitschweifigen Zusammenhang kommt es auf die deutsche Stadt Weißensee zu sprechen, die relativ in meiner Nähe lag. Ich erwähne, dass es in der Stadt ein sehr sehenswertes Milchmuseum gibt, in dem auf anschauliche Weise die Geschichte der regionalen Milch- und Milcherzeugnisse-Produktion dokumentiert wird.
"Ist es doch die Heimat?"

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In der Retzer Volkshochschule findet ein Diavortrag über Weimar statt. Ich gehe hin.
Die Veranstaltung ist zu Ende, und – will's der Teufel – unten im Freien laufe ich ausgerechnet "ihr" in die Arme.
Nachdem sie realisiert hatte, auf welchem Vortrag ich gewesen war, nahm ihr Gesicht wieder den typischen psychopathischen Ausdruck an, den ich von ihren Heimweh-Attacken bereits kannte. Mehr noch, ihre ganze Körperhaltung bekam etwas Gieriges, Lauerndes, wie ein wildes Tier vor dem Ansetzen zum Sprung auf die Beute, als sie mich fragte: "Und? Hat es Erinnerungen ausgelöst?"
Ich reagierte nicht, da mir das Thema mittlerweile einfach zu bescheuert geworden war.
Sie hakte noch einmal nach, dabei noch lauernder und verschlagener wirkend: "Und? Hat es Erinnerungen ausgelöst?"
Für den Auftritt hätte ich ihr schon wieder links und rechts eine in die Fresse hauen können.
Ich verabschiedete mich danach einfach von ihr und ließ sie stehen. Ich dachte nur noch: Muss man sich vor diesen Stasi-Weibern denn schon dafür rechtfertigen, auf welche Kulturveranstaltungen man in seiner Freizeit geht?

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Wir sind zusammen drüben in Znaim. Auf der Straße fährt ein W 50 vorüber. Ich schreie begeistert: "Daaa – ein W 50! Altes DDR-Fabrikat!"
"Ist es doch die Heimat?"
Hallooooooooo? Bitte was hat das mit Heimweh oder Heimat zu tun? Ich habe mich in dem Moment einfach nur gefreut, ein historisches Fahrzeug gesehen zu haben, für das ich schwärme. Ist es denn so ungewöhnlich, irgendwelche Hobbys zu haben?

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Ich zeige ihr Bilder vom Staudenbereich unseres ehemaligen Gartens, den Mutter und ich zwischen 1990 und 1992 gestaltet hatten. Erste Reaktion: "Bei sooo einem schönen Garten – hast du da nicht doch ein bisschen Heimweh?"

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Am letzten Tag vor meiner Deutschlandreise 1997 ist sie am Nachmittag bei uns zuhause, weil sie pressemäßig etwas von mir will. Sie bemerkt die Reisetaschenpack-Aktivitäten bei uns in der Stube. Ich erkläre ihr das mit der Deutschlandreise.
S O F O R T   kommt es wie aus der Pistole geschossen: "Ist es doch die Heimat?" Und dies in so einem eigenartigen Tonfall, der irgendwie eine Mischung aus pseudo-verständnisvoll und purer Siegesgewissheit war. DA WAR ICH GLEICH WIEDER AUF 180!!!

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Über Umwege hatte meine "spezielle Freundin" von meinem Internet-Projekt, dem "Kindheitslexikon", erfahren. Wie der Name schon andeutet, verfasste ich da lexikalisch zu den verschiedensten Schlagworten meiner Kindheit Beiträge. Einige waren rein heimatgeschichtliche Texte über die Kirchen, das Rathaus, das Kino, die Post, den Bahnhof … unserer Stadt.
Andere wiederum waren etwas persönlicher gehalten, etwa die Schulerinnerungen, welche Bücher ich als Kind gelesen hatte, welche Spielzeuge ich besaß.
Damals war das noch Zukunftsmusik, dass ich das alles mal ins Internet bringe, heute ist es schon zu einem großen Teil verwirklicht.
Jedenfalls als sie davon erfuhr, lautete ihre erste spontane Reaktion, dass ich das als "Therapie" mache.
Ich grüble bis zum heutigen Tag darüber, welchen therapeutischen Nutzen genau die Tarife der Deutschen Post der DDR sowie die Übersichten zu den Postleitzahlen im Großdeutschen Reich beim Kapitel "Post" haben ...
Und außerdem: Meine kleinen heimatgeschichtlichen Abhandlungen waren ganz gewiss keine Tolstoi-Geschichten. Aber sooooo schlecht, dass sie gerade mal als selbsttherapeutisches Geschreibsel durchgingen, konnten sie auch wieder nicht sein.

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Einmal stellte mir meine "spezielle Freundin" folgende Frage: "Angenommen, du dürftest ein ganz tolles Computerprogramm kostenlos nutzen. Du müsstest dafür aber in Kauf nehmen, dass da ständig eine Werbung für Thüringen eingeblendet wird. Würdest du das machen?"
Mein einziger Gedanke: Wie kommt man auf so etwas unglaublich Verrücktes?

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Da ich auf Presseterminen öfters mal gefragt wurde, von wo ich herkomme, und das erfahrungsgemäß aufgrund der mangelnden geografischen Insiderkenntnisse des Gegenübers mitunter etwas schwierig zu erklären ist, hatte ich mal von einer alten DDR-Landkarte eine DIN-A-4-Kopie von dem Teil angefertigt, auf dem Kastanienberg lag. Die Kopie trug ich in einer Klarsichthülle in meiner Pressetasche stets bei mir.
Gut. Es ist wieder mal eine Situation, in der ich die Kopie heraushole und meine Erläuterungen dazu abgebe. "Meine spezielle Freundin" sitzt zufällig mit am Tisch, schräg gegenüber. Ihr Kommentar zu der Kopie war, dass ich das bestimmt deshalb mache, damit ich die Heimat stets bei mir habe!
Ich ziehe daraufhin wortlos die Kopie aus der Folie, zerknülle sie und werfe sie mit genervtem Gesichtsausdruck hinter mich. Wieder eine tolle Idee, die mir diese Weiber kaputt gemacht hatten.

* * * *

Lästig wurde mit der Zeit ebenso, dass eine Radiomoderatorin in einem weltweit ausgestrahlten Wiener Sender, zu dem Mutter damals Kontakt hatte, jedes Mal, wenn sie uns erwähnte, es immer so überbetonte, dass die Familie Altrogge ursprünglich aus "Thüüüüüüüringen" stamme, aus "Thüüüüüüüüüringen" übersiedelt sei, auch von dem "Thüüüüüüringer Christoph Altrogge" war ein paar Mal die Rede.
Es hatte etwas ausgesprochen Zwangsneurotisches an sich. Rational war für mich dieses Verhalten jedenfalls nicht erklärbar.
Ich dachte oft: Langsam dürfte sich die weltbewegende Tatsache, dass die Familie Altrogge aus Thüüüüüüüringen kommt, doch bis ins hinterletzte Eskimodorf herumgesprochen haben. Langsam kann sie es doch wirklich mal stecken lassen.

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Das verrückteste Wort, das ich von diesen Frauen im Zusammenhang mit dem Thüringen-Thema jemals gehört habe, lautet "Identitätsangebot". Na ja, wenn sie meinen …
Als ich das damals hörte, wusste ich nicht, ob ich vielleicht gerade auf Drogen war, oder ob ich Drogen nehmen sollte, um soviel Schwachsinn besser zu verkraften.
Mir ist ein Paket Wurst aus Mitteldeutschland lieber als ein   I d e n t i t ä t s a n g e b o t, was in Gottes Namen dieses Wort auch immer zu bedeuten hat.

* * * *

Und wenn ich erzählen würde, dass laut Pfarrchronik von Hintertupfingen im Jahr 1492 der Blitz in den Kirchturm eingeschlagen hat, käme vermutlich ebenfalls papageienhaft-reflexartig die Reaktion: "Doch ein bisschen Heimweh?"
Entschuldigung bei allen Papageien. Denn DIE nutzen ihre intellektuellen Kapazitäten wesentlich intensiver.
Ich könnte sagen: Der Index an der Frankfurter Börse ist gestern um zwei Punkte gefallen. – Die Antwort wäre: Heimweh. Ich habe es mit Rotkäppchen im Schloss von König Drosselbart getrieben. – Die Antwort wäre: Heimweh. Ich fahre jedes Jahr zum FKK-Machen auf die äußeren Saturn-Ringe. – Heimweh. Schlagsahne mit Sauerkraut. – Heimweh. Nachts ist es kälter als draußen, weil ich so schlecht riechen kann, wie laut es geknallt hat. – Heimweh. Sechs mal Acht ergibt neun Millionen. – Heimweh. Raxlifaxlipullipaxlirontemontemomallamullatallatullaukalukaloh. – Heimweh.
Es war eine Art Idioten-Jeopardy für Geistesgestörte, dem immer nur wieder eine einzige Antwort herauskam.

* * * *

Es war aussichtslos, das sachliche und emotionsfreie Diskutieren-Wollen über die Heimweh-Thematik. Ich hätte mich genauso gut mit einer Betonmauer unterhalten können. Wobei einen eine Wand wenigstens nicht mit krankhafter Rechthaberei in den Wahnsinn trieb. Man war für kein noch so vernünftiges und durchdachtes Argument zugänglich. Keines meiner ruhig und besonnen vorgetragenen   S A C H argumente – ruhig und besonnen bis auf die zwei Mal – wurde zur Kenntnis genommen. Hauptsache irgendwie gefühlig, und wenn sämtliche Fakten eine noch so klare und eindeutige Sprache sprachen.
Man wollte es gar nicht verstehen. Schotten dicht. Taube Ohren. Mit diesen weiblichen Personen zu diskutieren war eine so durch und durch sinnlose Kraftverschwendung wie Randale machen in der Gummizelle. Diese Frauen waren in Wirklichkeit gar nicht an meiner Meinung interessiert. Sie bohrten einfach solange, bis die von ihnen gewünschte Antwort kam.
Es war ein wenig wie bei der Verhörszene in "1984". Der Verhörspezialist zeigt dem gefesselten John Hurt drei Finger und fragt ihn: "Wie viele Finger sehen Sie?"
"Drei, antwortet dieser."
"Nein, fünf", widerspricht der Verhör-Offizier. "Wenn wir Ihnen sagen, dass es fünf sind, haben Sie auch fünf zu sehen."
Mich erinnerte das Ganze auch an das Pippi-Langstrumpf-Lied:
"Zwei mal Drei macht Vier,
Widdewiddewitt und Drei macht Neune!!
Ich mach' mir die Welt,
Widdewidde wie sie mir gefällt ..."

* * * *

Manche "Probleme" von gutsituierten Wohlstandsbürgern, -bürgerinnen fast ausschließlich, waren geistig irgendwie nicht mehr nachvollziehbar. Wie man sich in eine derart belanglose Nebensache, ein solch absolutes Nicht-Thema, wie die Frage, ob irgendeine dahergelaufene Gestalt Heimweh nach der Provinz Haumichblau in Hinterschurkistan hat, derart fanatisch hineinsteigern, wie man sich daran derart "aufgeilen" konnte, war nicht mehr begreifbar. Da kam man nicht mehr mit.

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Mir war auch nicht klar, weshalb sie meine Ansichten als eine derartige persönliche Bedrohung empfanden. Bloß weil ich ein paar Dinge anders sah, deshalb brauchten sie ihren eigenen Lebensstil ja nicht um einen Jota zu ändern! I C H   zwinge denen ja nichts auf!
Ich dachte an einen Pressetermin, den ich mal hatte. Ich saß mit einer Gruppe Biologen aus Wien zu Tisch, welche einen Auftrag in der Gegend übernommen hatte. Neben mir saß ein Botaniker, etwa 40. Irgendwie kam das Gespräch aufs Waldviertel. Ich erzählte von meinen Ausflügen dorthin.
Er meinte etwas herumdrucksend, dass er seine Kindheit in einer Waldviertler Kleinstadt verbracht habe und dass diese Zeit nicht so überragend toll gewesen sei.
Das war für mich das Signal,   i n   d e r   S e k u n d e   das Thema zu wechseln. Es wäre mir NIE in den Sinn gekommen, da jetzt stundenlang nachzubohren, wie oft er als Kind von der Dorfjugend verprügelt worden ist oder wie oft ihn seine Eltern ohne Essen ins Bett geschickt haben oder was immer da vorgefallen sein mag. Sowas bringen nur Frauen zustande, die geilt das irgendwie sexuell auf.

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Im Fernsehen sah ich mal ein Interview mit dem Enkel von Erich Honecker, der heute in Chile lebt. Er erzählte, dass er mit den chilenischen Frauen genau dieselben Heimweh-Probleme habe.

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Auch eine Sache, die ich nicht verstand: Diese ganze negative Grundeinstellung. N U R   auf Probleme aus. N U R   auf Negatives aus. Wenn an der Oberfläche nichts Negatives zu finden ist, dann wird eben zwei Meter gebohrt. Ist da immer noch nichts zu finden, dann wird fünf Meter gebohrt. Dann zehn. Dann zwanzig. Dann dreißig. Der Verhörkandidat soll endlich weinend zusammenrutschen und gestehen, wie dreckig es ihm in Wahrheit geht.
Ich verstand diese Gier, diese unermessliche Gier dieser Frauen, mich bei irgendwelchen negativen Gefühlen zu ertappen, einfach nicht. War für mich nicht nachvollziehbar. Nicht mal in Ansätzen.
Die kamen mir vor wie jemand, der solange den Kopf über einem Teller Suppe schüttelt, bis er eeeeeeeeeeeeendlich ein Haar in der Suppe findet. Und der dann völlig entsetzt ist, dass es jemanden gibt, der die Suppe einfach nur isst. Und danach satt ist und keine Wünsche mehr hat.
Ich erinnerte mich daran, wie sich auch Äns bei mir mal über den weiblichen Teil seiner Verwandtschaft beklagt hatte: "Nur auf Tristesse aus! Nuuur auf Tristesse aus!" hatte er gejammert.
Vor längerer Zeit, erinnerte ich mich, bekam ich die Gelegenheit, Einblick in die Denke von Wohlstandsfrauen zu nehmen.
Ich wollte im Fernsehen etwas sehen und schaltete schon eine Weile vorher an. Während noch das Vorherige lief, hantierte ich Verschiedenes im Zimmer. Im Fernsehen lief unterdessen eine Reportage von Elisabeth T. Spira. Sie spürte österreichischen Touristen in der Karibik nach. Sie sprach verschiedene Frauen an und fragte sie unter anderem – wen wundert es groß – ob sie Heimweh haben.
Ganz begeistert jammerten die Angesprochenen daraufhin – so eigenartig es klingt, ihr Jammern war wirklich ein begeisterter Aufschrei – dass sie ganz fürchterliches Heimweh hätten. Und dann zählten sie auf, was sie nicht alles von zuhause vermissen. Bei einem Urlaub, der vielleicht eine Woche, maximal 14 Tage, dauerte.
Diese Frauen befanden sich an einem Strand, an dem das Blau des Meeres, das Grün der Palmen und das Weiß des Sandes an Intensität nicht mehr übertroffen werden konnte. Dort lagen sie in Hängematten oder auf Luftmatratzen auf dem Boden und ließen sich Cocktails servieren. Kurzum: Die Realität, die pure Realität, an diesem Strand war kitschiger als jede Südsee-Fototapete, wie sie in den Achtzigern mal große Mode war.
Eine Situation, in der ich geistig wieder einmal nur noch ausstieg. Sie waren als kleine Angestellte in der Lage, sich einen Urlaub zu leisten, zu dem noch vor Jahrzehnten nur Fabrikanten finanziell in der Lage gewesen wären. Und trotzdem waren sie noch immer unzufrieden, jammerten, nörgelten, ... Wenn unter Palmen alles so schlimm und schrecklich war, warum machten sie dann keinen Urlaub auf Balkonien? Warum gaben sie dann Tausende von Schilling für nichts und wieder nichts aus? Masochismus? Hat sie jemand mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen?

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Ich stellte mir manchmal vor, ich würde haargenau dieselbe Thüringen-Show beispielsweise mit einem Ungarn abziehen. Ich stellte mir vor, ich würde immer wieder auf ihn zukommen, ihn mit riesengroßen Augen anstarren und logisch nicht nachvollziehbare Sätze lallen, in denen es gebetsmühlenartig immer wieder hieße: "Das Komitat Soundso, das Komitat Soundso, das Komitat Soundso, …"
Zunächst würde er mich wahrscheinlich fragen, ob ich den Tokajer nicht vertragen habe. Aber irgendwann würde er dann mal völlig verständlicherweise sein Handy rausholen und die Klapsmühle anrufen!

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Okay, ich bin Autist mit allen bekannten Symptomen:

Als Kind zuerst verzögerte Sprachentwicklung und dann penetrantes altkluges Sprechen, wie mir von sämtlichen Erwachsenen berichtet wurde. Ich trug in dieser Zeit den Beinamen "Herr Wichtig". An dieser Situation hat sich bis heute nicht viel geändert.
Im Internet schrieb mal ein Aspie-Kollege Ähnliches über sich selbst:
"Ich sage es gleich: ich sehe mich gegenüber anderen Menschen nicht als überlegen an. Trotzdem scheine ich manchmal auf andere so zu wirken, wenn ich bei einem Thema gerade so richtig in Fahrt bin und sämtliche Einzelheiten präsentiere. Manche Leute denken dann, ich will nur meine Intelligenz zur Schau stellen, was aber ganz und gar nicht meine Intention ist."
Unterschreibe jedes Wort!!!!!!!!!!! Genau das erlebe ich seit meiner Einschulung!
Aus meiner Sicht stellt sich das so dar: Hältst du dich hinterm Berg mit dem, was du kannst und weißt, wirst du übersehen, wirst du wie ein Geist behandelt, bist quasi unsichtbar. Bringst du dich aber ein, bist du der Klugscheißer und Wichtigtuer, der sich in den Vordergrund spielen will. Du kannst es machen, wie du willst: Du bist für Andere immer das Arschloch!

Ebenfalls in der Kindheit ständiges Wiederholen stereotyper Bewegungen.

Als Kind in Matheheften endloses Fortsetzen von Ziffernreihen, die aus Nullen und Einsen bestanden.

Schuhe binden ist für mich eine intellektuelle Herausforderung, weshalb ich nur welche mit Klettverschluss trage.

Ich kann links und rechts nicht auseinanderhalten.

Ich bin etwas legasthenisch. Bei mir entstehen während des Schreibens manchmal ganz automatisch Kunstbuchstaben, von denen ich selber überrascht bin.

Chronisches Musikhören im Kopf über einen sehr langen Zeitraum hinweg.

Restless-Leg-Syndrom.

Mich überfordern analoge Uhrzeitangaben, weshalb ich sie mir alle als eine digitale Monitoranzeige vorstellen muss. Am besten gefällt mir überhaupt der militärische Zeitangaben-Jargon in seiner genialen Einfachheit, wo es einfach nur Nullachthundert oder Sechzehnhundert heißt.

Ich mag keinen Blickkontakt.

Ich tue mich, nicht immer, aber manchmal, schwer damit, Leute, die ich kenne, in einem für sie nicht typischen Umfeld wiederzuerkennen.

Ich habe ein sehr gutes Langzeitgedächtnis, dafür aber ein katastrophales Kurzzeitgedächtnis.

Ich habe praktisch kein Interesse an Sex – woran allerdings die Lehrerinnen von der Hauptschule Kastanienberg und die Retzer Heimweh-Weiber maßgeblich mitschuldig sind, das kann man nicht nur auf den Autismus schieben. Vulgär ausgedruckt: Wenn du Frauen erst einmal von ihrer schlechtesten, aber wirklich ihrer allerschlechtesten Seite kennen gelernt hast – zuerst in der Hauptschule Kastanienberg, dann unter den Heimweh-Weibern –, dann hast du einfach keine Lust mehr, sie zu vögeln! Dieser Film hieße dann: "Die Feindin in meinem Bett"! Da gibt es einen Punkt, ab dem kommt dir der Gedanke, eine Frau zu vögeln, ungefähr so krank, widerlich und abstoßend vor wie Schweine oder Schafe zu vögeln.

Ich habe in der Kindheit skurrile Wörter erfunden. Einige davon sind sogar in den Familienwortschaft übergegangen. Zum Beispiel "Bucherer" als Bezeichnung für einen Buchliebhaber oder Besitzer einer großen Büchersammlung. "Arbeitlich" war bei mir die Zustandsbeschreibung für ein beliebiges Betriebsgelände, das zwei Kriterien aufweisen musste: Es musste dort aus welchen Gründen auch immer Schienen geben und es musste ein "kreatives Durcheinander" herrschen. "Staben" waren die Buchstaben in Zeitungen. Die Zahl Dreißig war bei mir in dem Alter die "Dreizig", weil es ja auch "Zwanzig" hieß und nicht "Zwansig".

Ebenfalls in der Kindheit habe ich jeder Zahl von Null bis Zehn eine fixe Farbe zugeordnet, was für uns Aspies auch sehr typisch ist:
Null: Silbern.
Eins: Weiß.
Zwei: Ein giftiges Gelb.
Drei: Himmelblau.
Vier: Grasgrün.
Fünf: Orange.
Sechs: Grau.
Sieben: Braun.
Acht: Schwarz.
Neun: Rot.
Zehn: Rosa.
Das war für mich eine so gottgegebene Ordnung wie das Periodensystem der Elemente.
Nach diesem System färbte ich auch mit Filzstiften die Ziffern auf den Kassenbons alter, mechanischer Registrierkassen ein. Damit konnte ich mich Stunden lang beschäftigen.
Noch heute präge ich mir Ziffern anhand dieser Kindheitsfarben ein. Geht einem ja manchmal so, wenn man irgendwo hin muss und man beginnt dann plötzlich zu grübeln: Ach Gott, war es jetzt die Hausnummer 23 oder 32? Wenn ich mir jedoch die Farben Gelb und Himmelblau einpräge, dann besteht für mich überhaupt kein Zweifel daran, dass es die Nummer 23 ist.

Wrong-Planet-Syndrom: Sich als Kind ein Alter Ego auf einem anderen Planeten erschaffen. Bei mir war es Gideon Alexa vom Planeten Bursoleukos. Nachwuchskönig, Vater von 12 Söhnen, hervorragender Reiter und Lanzenkämpfer, gezwungenermaßen Feldherr gegen die Bürgerkriegsarmee der Kursisten, Erforscher fremder Regionen. Gideon besaß auch spirituelle Fähigkeiten. So war es ihm möglich, sich nur durch die meditierende Konzentration auf den Kegel einer Kerzenflamme in ein Paralleluniversum zu materialisieren. Sein Gegenspieler war der diabolisch-charismatische Bukres Lekanda, welcher sich als Magier ausgab, tatsächlich aber sehr fortschrittliche Technologien nutzte. In das "Ausklamüsern" Gideons Lebensumstände hatte ich damals wirklich sehr viel Zeit investiert. Das Ganze ging soweit, dass Gideon sogar in meinen Träumen auftauchte, dort irgendetwas erlebte, was ich dann in leicht abgewandelter Form am Tag in seine Geschichten einarbeitete.

Pseudoschwerhörigkeit: Autisten können Stimmen nicht aus einer allgemeinen Geräuschkulisse herausfiltern. Das geht für uns in einem Schallbrei unter.

So wie viele Aspies kann auch ich ganz fasziniert belanglose technische Abläufe beobachten. Bei mir ist es das Apfelmus, das ich immer aus dem Konservenglas bis auf den letzten Tropfen ins Kompottschälchen laufen lasse.

Autisten systematisieren gern. Auch bei mir musste schon seit frühester Kindheit alles thematisch geordnet sein.

Wir Autisten haben ein vollkommen anderes Temperaturempfinden als die Mehrheit.

Wir Autisten HASSEN Telefonieren!

Wie ich aus Autistenforen im Internet weiß, können sich Autisten über absurde, vollkommen sinnfreie Begebenheiten oder Aussagen in regelrechte Lachkrämpfe reinsteigern, bei denen sie sich oftmals gar nicht wieder beruhigen können. Dinge, wo kein "Normaler" begreifen würde, was daran witzig sein soll. Ging mir in der Vergangenheit schon oft so.

(Ich kann sogar über Autistenwitze lachen. Zum Beispiel über den: "Veranstaltet niemals eine Überraschungsparty für uns! Wir sind so spontan wie Hefeteig!"

Ganz ähnlich: "Wir Autisten sind so langweilig, dass die Schafe uns zählen, wenn sie einschlafen wollen."

Oder den über den autistischen Landwirt: "Sie besitzen zwei Kühe. Sie zählen sie jede halbe Stunde einmal. Ob Ihr Nachbar auch welche hat, wissen Sie nicht, weil Sie noch nie mit ihm gesprochen haben."

Oder den: "Sitzen zwei Autisten im Waschsalon. Fragt der eine: 'Was bringen sie denn gerade im zweiten Programm?'"

Oder den: "Trifft ein Normaler seinen autistischen Bekannten: 'Und, wie geht's Dir?'
Autist: 'Naja, wie das Leben halt so ist. Man schlägt sich so.'" Bezieht sich auf unser autoaggressives Verhalten. Mache ich auch manchmal, wenn man mir irgendwelchen vollkommen unnötigen Stress bereitet. Danach fühle ich mich unglaublich erleichtert und befreit.

"Singe niemals in Gegenwart eines Autisten das alte Kinderlied 'Weißt du, wie viel Sternlein stehen'. Er fängt sofort zu zählen an!"

"Unlängst lief ein Autist schreiend aus dem Standesamt von seiner eigenen Hochzeit davon.
Antworten auf die vielen Fragen des Standesbeamten zu finden war ihm einfach zuviel Stress!"

"Religiöse Autisten lesen nicht die Bibel. Sie kennen sie auswendig!"

"Was macht ein Autist am Eingang vom chinesischen Konsulat?
Er beantragt ein Visum, weil er den Sack Reis wieder hinstellen will, der in China umgefallen ist!"

"Wundere dich nicht, wenn dir ein Autist eine Rolle Sternzwirn übergibt, nachdem du ihm gesagt hast, dass dir wegen seiner Begriffsstutzigkeit gleich der Geduldsfaden reißt."

"Wieviele Autisten braucht man, um eine Glühbirne einzuschrauben?
Das wurde noch nie festgestellt, weil bisher noch keiner damit aufhören konnte, fasziniert die Schwingungen des Glühfadens zu beobachten."

"Der kürzeste Autistenwitz: Ein Autist tratscht mit seinem Nachbarn."

Einzig das Klischee, dass wir in die Küche gehen und die Tür von der Anrichte aufmachen, wenn man uns sagt, dass wir nicht mehr alle Tassen im Schrank haben, kann ich EINDEUTIG als Mythos entlarven!!! Soviel Gespür für Metaphern haben sogar wir!

Und wenn wir mal irgendwelche blöden Scherze nicht begreifen, muss das nicht zwangsläufig etwas mit unserer Behinderung zu tun haben, sondern kann auch darin begründet liegen, dass der Witz einfach nur Scheiße war!)

Soweit das Medizinische.
Aber trotzdem – diese verkorksten, durchgeknallten, völlig weltfremden Aussagen dieser Frauen dürften auch von normal gestrickten Männern logisch nicht ohne Probleme nachvollziehbar sein, oder täusche ich mich da?
Bloß für uns Autisten, deren Lebenselixier darin besteht, dass Zwei und Zwei Vier ergibt, bedeutet es vom Gesundheitlichen her einen nahezu tödlichen Stress, wenn man uns mit einer derart irrationalen Scheiße zulabert. Da läuft bei uns der innere Reaktor fast bis zur Kernschmelze heiß! Das ist für uns beinahe so, als wären wir in einem Fiebertraum gefangen! Das ist ein Gefangenendasein als Laborratten in einem riesigen Labyrinth mit tödlichen Fallen, bei dem du den Sinn des Spiels und die Spielmacher nichts kennst! Es ist eine verdammte Scheiß-Real-Live-Version von diesen "Cube"-Horrorfilmen!

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Ich dachte an die Achtziger Jahre zurück. Meine Krimihelden waren damals die Privatdetektive "Frank Kross" und "Mike Hammer". Die quatschten nicht. Das war das Angenehme. Die quatschten nicht groß. Die planten in aller Ruhe und sehr überlegt, und dann handelten sie. Ohne ihre Mitstreiter und Gegner mit emotionsgeladenen Wasserfällen von Worten zu Tode zu quasseln. Die behielten die Ruhe und den Überblick in jeder Situation. Und man kann sagen, dass die so etwas wie Vorbilder für mich waren.

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Vor allem in den unmittelbar letzten Jahren vor dem Wegzug hatte ich jedes Mal unglaublich aufgeatmet, wenn ich in Brünn ankam!!!!! Weit weg von diesen Frauenspersonen und ihrer dreckigen Heimat-Gefühls-Scheiße!!!!! Ich hatte jedes Mal das Gefühl, Bäume ausreißen zu können, wenn ich auf dem Brünner Hauptbahnhof ankam. Es war ein bisschen so wie bei "Dylan McKay" aus "Beverly Hills", wie er jedes Mal zum Surfen nach Mexiko flüchtete, wenn er die Nase voll hatte von den reichen Schnöseln in L.A..

* * * *

Ich hatte damals während der "Heimwehzeit" weiß Gott genug zu tun. Die Handelsakademie ist eine Schulform mit einem sehr, sehr, sehr hohen Niveau. Das beweist unter anderem die hohe Aussteigerrate nach dem ersten Schuljahr. Und daneben hatte ich noch die Zeitung. Was jedoch von der Warte her unabdingbar war, weil ich ansonsten im Maschinenschreibunterricht wahrscheinlich dreimal sitzen geblieben wäre. Einzig der Job bei der Zeitung hatte mir damals den Hals gerettet, sonst hätte ich verdammt alt ausgesehen.
Und auch ganz allgemein hielt ich es für sinnvoll und vernünftig, sich neben dem Schulunterrichtsstoff noch eine ganze Reihe weiterer Fähigkeiten und Kenntnisse anzueignen; wie wenig man sich im Leben auf andere Menschen verlassen kann, war mir spätestens unter dem Thüringer Bildungswesen-Abschaum ultimativ klar geworden.
Außerdem war unsere Zeitung damals gerade im Aufbau, ich war ab der dritten, vierten, irgendwas in der Drehe, Ausgabe dabei. Was für eine Verantwortung das bedeutet, ein neues Unternehmen am Markt zu etablieren, kann keiner beurteilen, der nicht selber schon mal daran beteiligt war.
In einem Satz zusammengefasst: Ich war also bis einen Zentimeter unter dem Eichstrich ausgebucht. Noch mehr auf die Schultern packen GING NICHT! Und in dieser Situation kamen nun auch noch diese emotionalen Parasitinnen daher, um einen bis auf den letzten Blutstropfen auszusaugen. Um ihre Silotürme voll Scheiße aus ihren Hirnen in meins auszukippen. Sowas geht ein Weilchen gut. Aber irgendwann fängst du an, von der Substanz zu leben. Irgendwann geht es kräftemäßig ans Eingemachte. Vor allem, wenn du mit 16 deinen ersten gesundheitlichen Totalzusammenbruch gehabt hast, dann ist das ein Warnschuss vor den Bug, fortan mit der Gesundheit zu haushalten. Unter den Umständen war das Verhalten dieser Frauen körperlicher Raubbau an mir, der schon ins Verbrecherische ging!

Paradox jedoch: Umgekehrt kam ausgerechnet von meiner "speziellen Freundin" immer wieder der Spruch: "Ja, du verstehst es eben, auch die kleinen Dinge zu schätzen, zu würdigen." Beziehungsweise nannte sie mich auch immer wieder einen Lebenskünstler.
Oder ihr lachender Ausruf, als sie mich einmal auf einem Videofilm sah: "Der Christoph! Freut sich voll über den Kaffee!" Was die mit ihren zwangsneurotischen Stasi-NSA-Gehirnen alles registrieren! Mein Gott, als normal entwickelter Mann lebst du einfach nur dein Leben.
Und irgendwie war mir auch, als hörte ich aus dieser Aussage jedes Mal einen unterschwelligen Vorwurf heraus: Wie kannst du es wagen, dass es dir so gut geht, wo ich doch so furchtbar leiden muss, einfach schon aufgrund der Tatsache, dass ich auf der Welt bin?
Unvergessen in dem Zusammenhang auch ihr spektakulärer Auftritt vor dem INTERSPAR. Ich hatte gerade einen Einkaufswagen aus der Überdachung geholt und bewegte mich damit in Richtung Ladeneingang. Schiebe ganz normal einen Einkaufswagen vor mir, wie man das so macht. Da tauchte sie vor mir auf. Sie, wie immer melodramatisch, ganz große Oper, begrüßt mich mit den Worten: "Ach, könnte ich doch auch nur so unbeschwert in den Frühling marschieren wie der Christoph Altrogge!!!"
Häää? Ich trug gerade die karge Rente meiner Mutter in den Supermarkt, um davon ganz normale Lebensmittel im Niedrigpreissegment zu kaufen. Wer darauf neidisch ist, hat wirklich nicht mehr alle Latten am Zaun. Diese Frau lebte in einem Paralleluniversum, in dem unsere Gesetze von Raum und Zeit nicht galten.
Der reichen Angelika Frühlingstag, dachte ich in diesem Moment in Anlehnung an ein Erich-Weinert-Gedicht.
Auch über diese Seite meiner "Freundin" konnte ich nur den Kopf schütteln. Da steckte nämlich überhaupt kein Zauberkunststück dahinter. Ich erledige das, was zu tun ist, und das in aller Ruhe, und immer eines nach dem anderen. Und danach lehne ich mich zurück und mache mein eigenes Ding. Soweit, so vollkommen unspektakulär. Aber für Frauen muss ja immer alles kompliziert und ein Drama sein, jede quietschende WC-Tür wird zur altgriechischen Tragödie empor stilisiert.

Und außerdem: Wenn ich mir die verkorksten, desolaten, zerrütteten Familienverhältnisse etlicher dieser Frauen so ansah, dann hätten die aber mehr als Grund genug, erst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren, bevor sie tyrannisch in "Das Leben der Anderen" hineinregieren. Eine laaaaaaaaaange Trümmerspur zog sich bereits durch deren eigene Leben, und nun wollten sie anderswo weitermachen mit Zertrümmern. Aber nicht mit mir!

Wahrscheinlich klingt es sehr "crazy", aber manchmal war ich von diesen KGB-Verhören nervlich schon so am Ende, dass ich zuhause, wenn es keiner sah, als Stressabbau vollkommen idiotische Lieder zu singen begann. Etwa auf die Melodie von "Brown Girl In The Ring": "Scheeeeeiiiiiß-Thüringen, Schaaaaalalalala, Scheeeeeiiiiiß-Thüringen, Schaaaaaaa-lalalalalala …" Oder auf die Melodie der DDR-Nationalhymne: "Scheiß-Thüringen, Drecks-Thüringen, böses, dummes Thüringen …"
Und da wundern sich immer noch einige Menschen, warum ich einfach keinen Bock darauf habe, Frauen zu vögeln!!!!!! Das wäre ja ungefähr so, als würde man den als geheilt aus der Anstalt entlassenen Norman Bates zu einem Schäferstündchen mit seiner Frau Mama überreden wollen!!!!!!!!!!

Zwei Aussagen zu dem Thema, mit denen ich konform gehen kann, kamen von männlichen Politikern.
Eine von einem Wiener SPÖ-Politiker: "Das, was früher war, zählt nicht mehr – das Interessante ist die Zukunft!"
Auch der österreichische Außenminister Sebastian Kurz, in dessen Händen auch die Integrationsagenden auf Bundesebene lagen, sah die Sache sehr locker und entspannt. In Interviews zu dem Thema sagte er sinngemäß immer wieder: Wenn man im Land leben wolle, gäbe es natürlich eine ganze Reihe von Gesetzen und allgemeinen Werten, die nicht verhandelbar seien. Was man jedoch darüber hinaus daheim in seinen eigenen vier Wänden von der Kultur seines Heimatlandes weiter pflege, das sei jedem seine Privatangelegenheit. –
Es grenzt ja wirklich schon in höchstem Maße an Geistesgestörtheit, wegen einer harmlosen Grafik an der Wand, die nun zuuuuufällig den Marktplatz der Stadt zeigt, in der ich aufgewachsen bin, einen Riesenaufstand zu machen, als hätte ich versucht, einen terroristischen Anschlag mit hunderten potenziellen Toten auszuführen! Es ist eine Posse!!!!!!!!!!!!!!
Und nach all diesem zermürbenden Kleinkrieg wundern sich immer noch einige Menschen, wenn ich sage, dass ich im Leben mit Frauen einfach nichts mehr zu tun haben möchte, dass ich vor denen nur noch meine Ruhe haben will.

Schon als ich ganz klein war, noch nicht in die Schule ging, hatte ich Frauen aufgrund ihrer Emotionalität und Irrationalität, ihrer vollkommenen Unberechenbarkeit, ihres unlogischen Verhaltens, oftmals auch ihrer aggressiven Bösartigkeit, in die sie sich regelrecht hineinsteiern konnten, als etwas hochgradig Bedrohliches erlebt. Du wusstest bei diesen wegen jeder belanglosen Nichtigkeit immer gleich explodierenden Kreaturen von einem anderen Stern nie, woran du warst.
Mittlerweile war ich Anfang 40 und es hatte sich daran nicht wesentlich etwas geändert.

* * * *

Vor vielen Jahren hatte ich mal damit begonnen, diesen Thüringen-Heimat-Heimweh-Spuk der Wohlstandsfrauen in zwei bizarre, kafkaeske Fantasy-Geschichten zu verpacken. Mir ging es in der Hinsicht so wie Äns mit seinen Science-Fiction-Geschichten vom Saturn, über die er mir mal erzählte: "Immer, wenn es mir besonders schlecht geht, sprudelt der Schwachsinn nur so!" Andere Menschen fangen an, bescheuerte Lieder zu singen.
Viel mehr als die Schlussszenen war mir damals jedoch nicht eingefallen.
Die erste spielte im Wilden Westen. Ein Saloon. Ich stehe allein an der Bar, trinke einen Whiskey.
Hinter mir an den Tischen befinden sich die berüchtigtsten Ganoven des Wilden Westens: die Dalton-Brüder, Billy the Kid und Jesse James.
Plötzlich kommt ein unbekannter Cowboy zur Flügeltür herein. Er ruft mich von hinten: "He, Thüringer!"
Der Barkeeper erstarrte vor Angst. Jeder in diesem Teil des Westens wusste, dass es tödliche Konsequenzen hatte, mich so zu nennen.
Gleich darauf ergriff er so schnell die Flucht, dass das Whiskeyglas, das er eben noch in der Hand hielt, noch eine ganze Weile in der Luft stehen blieb, bevor es zu Boden fiel und klirrend in tausend Scherben zersprang.
Der Anführer der Dalton-Bande meinte daraufhin mit unsicherer Stimme zu seinen Spießgesellen: "Sagt mal, Jungs, wollten wir jetzt nicht die Postkutsche ausrauben?"
Vorsichtig erheben sich alle vier von ihren Stühlen und schleichen auf leisen Sohlen in Richtung Ausgang.
Sie waren kaum draußen, da erhob sich auch Billy the Kid und sagte in den Raum hinein: "Da fällt mir ein, ich habe meiner Mutter versprochen, ihr heute beim Wäscheaufhängen zu helfen."
Auf leisen Sohlen schlich auch er in Richtung Flügeltür. Gleich darauf war von ihm nichts mehr zu sehen.
Nun war bloß noch Jesse James übrig. Mit dem Rücken zur Straßenseite des Saloons schlich er wie seine Vorgänger zur Flügeltür. Dort angekommen, stotterte er unsicher: "Äh, ich habe heute auch noch irgendetwas vor."
Fort war er.
Am nächsten Tag fand man in einem Canyon die schrecklich entstellte Leiche des unbekannten Maulhelden.

Das zweite Geschichtenfragment beschrieb, wie ich als Höhepunkt all dieser Entwicklungen zuhause am Fernseher von einem Kanal zum anderen schaltete und überall mit dem Thüringenthema verarscht wurde:
"Wieder zuhause angekommen, schalte ich wie jeden Abend routinemäßig den Fernseher an.
Eine Folge von 'Kommissar Rex' läuft gerade.
Doch plötzlich zucke ich zusammen. Statt mit Wurstsemmeln wird der intelligente Polizeihund mit Original Thüringer Bratwürstchen belohnt.
Ich bin völlig außer Fassung. Das stimmt nicht, denke ich. Das ist falsch.
Ich drückte abermals den Senderknopf. Die "Euronews" folgten. Bilder vom Petersplatz in Rom wurden gezeigt. Tausende Menschen waren anwesend. Die Kamera rückte Papst Johannes Paul II. groß ins Bild. "Doch zuvor lasset uns beten für unseren Bruder Christoph Altrogge in Retz in Österreich", kündigte er in seiner brüchigen Stimme mit dem polnischen Akzent an. "Möge unser allmächtiger Vater im Himmel dafür sorgen, dass unser Bruder Christoph den Unfrieden, den er in seinem Herzen gegen seine Heimat Thüringen hegt, …"
Panisch schaltete ich um. Der nächste Kanal war "Arte", der deutsch-französische Kultursender. "Heute Abend um Zweiundzwanziguhr auf Arte: Heimathass gleich Frauenhass? Führende europäische Feministinnen unter der Leitung von Alice Schwarzer diskutieren die Frage, ob der Heimathass von Christoph Altrogge auf versteckten Frauenhass zurückzuführen ist."
Auf dem nächsthöheren Kanal wurde gerade eine Ankündigung getätigt: "Es folgt 'Das Wort zum Sonntag'. Heute mit dem evangelischen Landesbischof von Thüringen."
Nächster Sender. Gongschlag. "Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Thüringenschau."
Wieder schaltete ich einen Kanal weiter. Zwei Interpretinnen der volkstümlichen Musik erschienen. Beide ungefähr kurz vor der 50, beide in alpenländischer Tracht. "Thüringen, oh Thüringen, du bist und bleibst mein Heimatland …", sangen sie.
Nächster Kanal. Die Melodie vom "Aktuellen Sportstudio" erklang. Ich setzte schon zum Aufatmen und an und dachte: Endlich wieder etwas Normales, als ich den Schriftzug auf dem Bildschirm sah: "Das aktuelle Thüringen-Studio". Desillusioniert, hoffnungslos, schlug ich die Augen nieder.
Nächster Sender. Eine Handpuppenversion des Thüringer Löwen erschien vor einem geschlossenen Bühnenvorhang. "Und hier ist wieder die Thüringen-Show", verkündete er mit der marktschreierischen Stimme von Kermit, dem Frosch, "mit unserem heutigen Ehrengast Christine Lieberknecht, ehemalige Bildungsministerin von Thüringen!"
Um das Groteske ins Unermessliche zu steigern, bildeten gleich darauf Plüschversionen von Thüringer Würstchen eine lange Girlreihe auf der Bühne. Sie sangen: "Jetzt tanzen alle Würstchen, schmeißt Kohle auf den Grill …"
Nächster Kanal. "Heimathass seit der Nazi-Zeit? Reicht der Heimathass in der Familie von Christoph Altrogge bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurück? Eine neue, packende Geschichtsreportage von Dr. Guido Knopp."
Von schierer Panik ergriffen schalte ich weiter. Kinderfernsehen. Die "Thüringenstraße". Ein Kinderchor singt aus dem Off die Kennmelodie der Serie: "Der, die das, Thüringen macht Spaß …"
"Aktenzeichen Th… ungelöst!" lief auf dem nächsten Kanal. "Das Landeskriminalamt Erfurt bittet um Mithilfe", verkündete der Moderator mit staatstragender Stimme. "Gesucht wird der 35-jährige Christoph Altrogge. Altrogge machte sich der Beschimpfung und böswilligen Verächtlichmachung eines der Länder der Bundesrepublik Deutschland gemäß Paragraf 11 StGB schuldig. Der Gesuchte ist wahrscheinlich in Österreich untergetaucht, wo er zuletzt im Umfeld ebenfalls verfassungsfeindlicher Männerrechtsorganisationen gesichtet wurde."
Nächster Kanal. Bayerischer Rundfunk. Der Titelschriftzug für die Sendung "Das Landesfürstlich Thüringische Amtsgericht" wird eingeblendet.
Auf RTL II wird eine neue Folge der "Kochprofis" angekündigt. Diesmal bringen sie eine Würstchenbude mit Thüringer Würstchen auf Vordermann.
Der Einkaufskanal schloss sich an. Die krawallige, männliche Off-Stimme rief aus: "Jetzt auf Media Shop: 30 brandneue Thüringen-Hasser-Songs von Christoph Altrogge. Ein Feuerwerk der Unterhaltung! Der Kracher auf jeder Party! Für nur 9 Euro 99!"
Da kam ein Lachen aus mir heraus. Ein kurzes, abgehacktes Lachen. Es klang sehr psychopathisch.
Gleichzeitig ging auch in meinem Kopf eine eigenartige Veränderung vor sich. Nichts hatte mehr irgendeine Bedeutung, gar nichts.
Wieder ein Lachkrampf. Er führte dazu, dass ich nach hinten stolperte und auf dem Boden zu sitzen kam. Ich konnte nur noch lachen …"

Die Schlussszene war nicht ausgedacht. Ich hatte in dieser Zeit tatsächlich oft genauso krank und psychopathisch gelacht, wenn mich diese Heimweh-Fotzen in einem ihrer Verhöre wieder mal richtig rangenommen hatten … Denn wie schon gesagt: Wenn du unter der Fuchtel dieser Miststücke noch normal bleibst – dann bist du wirklich nicht mehr normal!

Irgendwann kommt im Leben einmal ein Punkt, da hast du als Kerl einfach nicht mehr die Kraft, Energie und Nerven dafür, beziehungsweise siehst es schlichtweg nicht mehr ein, deine kostbare Zeit auf Erden mit so einem saudummen weibischen Gefühlsschwachsinn zu vergeuden. Du kommst einmal an einem Punkt an, ab dem dieser Tank einfach leer ist. Die Frauen saugen einen emotional aus bis auf den letzten Blutstropfen, bis nur noch eine leere, nicht mehr lebensfähige Hülle zurückbleibt. Und darum wirst du zum Einsiedler, oder Neudeutsch: MGTOW, aus innerster Überzeugung!




3. 8. Magda


Mitte der Neunziger lernte ich Magda kennen.

Im Oktober 1996 fuhren wir mit der Klasse zur "GEWINN-Messe" in Wien. Dort hatte ich eine geheimnisvolle Begegnung.
Wir hörten uns zunächst einen Vortrag über die Grundbegriffe des Börsenhandels an.
Danach kam ein mir unbekannter Mann ungefähr Anfang/Mitte Fünzig auf mich zu.
"Wenn Sie mit der Schule fertig sind – rufen Sie uns an!" Mit diesen Worten übergab er mir eine Visitenkarte. Danach verschwand er.
Irgendetwas an diesem Typen war merkwürdig. Ich hatte das Gefühl, dass er mich von irgendwoher kannte, so zielsicher, wie er mich ansprach. Ich jedoch konnte ihn absolut nirgendwo einordnen. Auch die Tatsache, dass er sich mir namentlich nicht vorstellte, wirkte irgendwie eigenartig. Ebenso war auf der Visitenkarte, die er mir gegeben hatte, kein Personenname zu finden, sondern der Name einer Elektronikfirma. Merkwürdig. Ich wusste nicht, was ich von all dem halten sollte.

Ab April 1997 begann sich Unheil zusammenzudräuen. Zunächst ganz entfernt und unmerklich, so wie ein erstes Donnergrollen an einem noch größtenteils wolkenlosen, schönen Sommernachmittag. Du nimmst es zuerst nicht wahr, oder hältst es für die Geräuschemission eines Autos oder Flugzeuges. Aber es rückt näher, so sicher, wie dass der nächste Tag kommt.
Alles begann mit dem Überfall. An jenem verhängnisvollen Tag hatte Magda eine Bankfiliale in Wien betreten. Kurz darauf stürmte ein bewaffneter Bankräuber herein. Er bedrohte die Kunden, packte auch Magda und hielt kurz seine Waffe an ihre Schläfe.
Die Polizei beendet das Ganze wenig später dann auf sehr unspektakuläre Weise. Magda erzählte mir, als die Sondereinheit da war, sei alles derart im Nu wieder vorbei gewesen, dass man es so schnell gar nicht mitbekommen habe. Kein Schuss fiel, kein lautes Wort, also völlig anders als man es aus Action-Filmen kannte.
Am Tag des Überfalls am Abend, so gegen Neun, ich saß schon vor dem Fernseher, klingelte das Telefon in der Stube. Ich nahm ab.
Magda war dran. Sie berichtete mir von den Ereignissen jenes Tages. Nachdem alles vorbei gewesen war, hatte sie am Nachmittag als Erstes ihre Eltern in Pulkau angerufen. Nun mich.
Sie wirkte sehr ausgelassen, die Situation schien ihr nicht sonderlich zugesetzt zu haben; so hielt ich es nicht für unangebracht, einen Witz über die Situation zu reißen, indem ich gegen Ende des Telefonates sagte, dass nach der Befreiung bestimmt alle Geiseln gemeinsam den "Ba-Ba-Banküberfall" von der EAV gesungen haben. Daran konnte ich mich noch genau erinnern, dass ich das gesagt hatte.

In den nächsten Wochen und Monaten begann sie sich dann auf eine merkwürdige Weise zu verändern. Da war zunächst dieser halbe Heiratsantrag, den sie mir gemacht hatte, als wir am Donnerstag vor dem Abschlussball zusammen in Wien waren, um noch ein paar letzte Dinge für den Ball zu besorgen.
Am Sonnabendmittag vor dem Ball kam sie zu uns in die Schule, um mich abzuholen.
Zunächst unterhielt sie sich eine ganze Weile mit ihrem Bruder Wilhelm, wirkte dabei todernst, vollkommen starr vor Angst, als würde sie zu ihrer eigenen Hinrichtung schreiten.
Danach waren wir in ihrem Wagen zum Holzapfelberg westlich hinter Retz gefahren, den Ort, an dem wir uns das erste Mal geküsst hatten. Hatte sie diesen symbolträchtigen Ort bewusst oder unbewusst gewählt? Man wusste es nicht. Auch hier setzte sich ihr eigenartiges Verhalten fort. Sie sprach die ganze Zeit über kein Wort. Nur einmal kam so ein merkwürdig halb-philosophischer Satz: "So wie jetzt müsste es immer sein."
Doch zunächst folgte der Ballabend, wir tanzten miteinander, es wurde ein glamouröses Fest.
In jener Zeit entwickelte sie irgendwie ein klammerndes Verhalten. Etwa wie sie am Abend des Schulballs im Geiste schon die Schulzeit unserer Kinder plante. Oder an jenem Hochsommernachmittag im August 1997 in der Haugsdorfer Kellergasse, wie sie, um den heißen Brei herumredend, Tatsachen schaffen wollte, was zunächst erst einmal unsere nähere gemeinsame Zukunft betraf. Es war auffallend, wie angstvoll sie auf meine Antwort wartete, wie wir unser weiteres Zusammensein gestalten, wenn ich nach dem kommenden Jahr mit der Schule fertig bin.
Ich bemerkte all diese Puzzleteile zwar, konnte sie jedoch nicht zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzen.

Ende August 1997 – niemals werde ich die glühende Spätsommerhitze dieser Tage vergessen – hielt ich mich zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder für eine Woche in Kastanienberg auf. Ich hatte ein paar Erbschaftsangelegenheiten meiner im Jahr 1990 verstorbenen Großmutter zu regeln, Routinekram, nichts Besonderes.
Die ganze Woche über hörte ich unfassbare Dinge über Baumeister. Er war wie schon zu unseren Schulzeiten noch immer der Anführer einer Gang, inzwischen jedoch in wesentlich größerem Stil. Mit seiner Bande von Motorradrockern terrorisierte er mittlerweile den ganzen Landstrich. Teils zu seinem eigenen sadistischen Privatvergnügen; in erster Linie jedoch, um "Ordnung" zu schaffen im Sinne einiger neu-alter Machthaber, die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus einflussreiche Positionen in der Wirtschaft besetzt hatten und diese mit der entsprechenden Brutalität verteidigten. Baumeister und seine Spießgesellen erledigten für sie die Schmutzarbeit, um Gegenzug hielten sie ihre schützende Hand über ihn, wenn er wieder einmal über die Stränge schlug. Man brauchte sich gegenseitig.
Zu seinen abscheulichsten Taten gehörte, dass er meine Klassenkameradin Carola von seinen Männern vergewaltigen ließ, damit er dabei zusehen und sich selbst befriedigen konnte.
Und schließlich begegneten wir uns persönlich, an einem Spätsommerabend, weit draußen auf dem menschenleeren Vogelsberger Weg. Er, seine Truppe auf ihren Motorrädern, und ich. Er erkannte mich nach all den Jahren nicht wieder. Für ihn war ich nur irgendein argloser westdeutscher Tourist, den man ausrauben konnte.
Was er auch tat, beziehungsweise tun ließ. Seine Männer gingen dabei äußerst gewissenlos vor. Ich schlug mit dem Kopf so brutal auf dem Asphalt auf, dass ich so etwas Ähnliches wie eine Nahtoderfahrung hatte. Mir erschien dieser legendenumwobene Lebensfilm, der einem subjektiv wie stundenlanges Hollywood-Kino vorkam, in der Realität jedoch nur wenige Minuten dauerte. Bis zu diesem Ereignis hatte ich diesen "Film" nur für einen Mythos gehalten. Es gab ihn tatsächlich.

Zu Beginn der Fünften Klasse der Handelsakademie machte mir Magda einen Verlobungsantrag. Es war an einem Sonnabend, auf dem jährlichen Kellerfest in der Haugsdorfer Kellergasse, an dem sich auch von jeher Magdas Familie beteiligte. Auch ich half damals mit. Als Magda und ich zwischendurch mal allein im Kellereingangsbereich waren, schlug sie mir die Verlobung vor.

Unsere Verlobung fand am 25. Oktober im kleinen Kreis auf dem Bauernhof ihrer Familie statt, einen Tag vor dem österreichischen Nationalfeiertag. Neben uns beiden waren nur ihr Bruder, ihre Eltern und meine Mutter anwesend.

Ungefähr eine Woche später hielt ich mich das letzte Mal in ihrer Wiener Wohnung auf, genau eine Woche vor ihrem Selbstmord. Als ich schon fast wieder am Gehen war, um mit dem letzten Zug nach Retz zurückzufahren, kam sie mit einem völlig bizarren Erotikwunsch auf mich zu. Sie wolle mal von mir vergewaltigt werden, teilte sie mir mit. ("I mechat amoi vun dia vagewoitigt wern.")
In vollkommener Ernsthaftigkeit sagte sie mir das.
Ich reagierte zunächst überhaupt nicht auf das Ansinnen. Ich hatte das völlig automatisiert geistig ausgeblendet. Das war mir einfach zu spooky.
Allein schon beim Drehbuch für dieses Happening hätte meine Phantasie vollkommen versagt. Sollte das Ganze im Freien geschehen oder in in ihrer Wohnung? Darf ich sie dabei schlagen? Wie heftig darf ich sie schlagen? Inwieweit darf ihre Kleidung Schaden nehmen? Vergewaltigt man eine Frau von vorn oder von hinten? Fragen über Fragen. Ich habe ja nicht soviel Erfahrung im Frauenvergewaltigen. Ich mach das höchstens zwei-, dreimal die Woche.
Was für eine psychische Not da schon in ihr geherrscht haben muss, dass sie auf solch eigenartige Gedankengänge kam. Dass ihr eine brutale Vergewaltigung wie eine Erlösung aus ihrem Elend vorkam. Dass nach ihrem Dafürhalten nur eine solche Tat sie aus dem schwarzen Abgrund herausreißen könne, in dem sie sich zu der Zeit schon befand.
Dieser irritierende Satz sollte das Letzte sein, was sie auf dieser Welt zu mir sagte.
Eine Woche später war sie tot. Das war das Ende vom Film "Die Legende von Christoph und Magda".

Sie hatte ihrer Familie fest zugesagt, dass sie zu irgendeinem Familienanlass am Wochenende nach Hause kommen würde.
Sie erschien jedoch nicht.
Auch war sie weder über ihren Festnetzanschluss noch übers Handy erreichbar.
Zuhause in Pulkau löste das große Irritation und Verwunderung aus.
Ihrem Vater wurde die Sache irgendwann zu merkwürdig, und er stieg ins Auto und fuhr los in Richtung Wien.
Nachdem er die Tür zu Magdas Wohnung geöffnet hatte, sah er sie bereits leblos im Flur auf dem Boden liegen.
Er verständigte sofort den Notarzt.
Jede Hilfe kam zu dem Zeitpunkt bereits zu spät. Wahrscheinlich lag sie zu dem Zeitpunkt bereits einen Tag lang tot in ihrer Wohnung.
Wie ich erfahren hatte, habe ihr Vater einen Nervenzusammenbruch bekommen, nachdem ihm die Ärzte mitgeteilt hatten, dass bereits nichts mehr zu machen war. Verzweifelt soll er sie zunächst noch eine ganze Weile bearbeitet haben, doch noch etwas zu unternehmen. Schließlich, als ihm klar wurde, dass alles aussichtslos war, soll er schluchzend auf dem Fußboden zusammengebrochen sein, dabei mit Fäusten verzweifelt auf den Boden geschlagen und immer wieder "NEIN! NEIN! NEIN!" geschrien haben. Irgendwann habe er dann nur noch schluchzend neben seiner toten Tochter gelegen.

Ich erfuhr am späteren Nachmittag jenes Tages davon. Wilhelm klingelte bei uns in der Lehengasse in Retz an der Tür. Aus irgendwelchen Gründen hielt er sich gerade vor Ort auf. Er war völlig durcheinander und sagte bloß: "Mit der Magda ist irgendwas!"
Ich zog mir sofort die Jacke über und die Schuhe an und wir sprangen ins Auto. Währenddessen erzählte er noch knapp, dass er einen entsprechenden Anruf auf dem Handy bekommen habe.
Die ganze Fahrt über nach Pulkau sprachen wir kein Wort.
Zuhause auf dem Bauernhof der Familie war bereits der Teufel los. Ein Polizeiauto stand auf dem Gelände, etliche Nachbarn und Bekannte hielten sich dort auf.
Als Wilhelm das Auto verlassen hatte, schoss er sofort in den Wohntrakt und ließ mich allein zurück.
Da ich nicht wusste, was ich von all dem halten sollte, blieb ich erst einmal auf dem Hof an meiner Stelle stehen.
Ungefähr zehn Minuten später, vielleicht kürzer, vielleicht länger, das Erste, was du in solchen Augenblicken verlierst, ist das Gefühl für Zeit, erschien Wilhelm wieder in der Haustür. Eine groteske Wandlung war mit ihm vorgegangen. Er war fast nicht mehr wiederzuerkennen. Er sah kreideweiß aus, seinen Blick musste man bereits als geistesgestört bezeichnen. Er sah aus, als hätte er in den Abgrund der Hölle geblickt.
Dann löste er sich langsam von seinem Platz. Ganz langsam, Schritt für Schritt, wie bei einem sehr alten Mann, bewegte er sich in meine Richtung. Als er schließlich mich erreicht hatte, blieb er allerdings nicht stehen, sondern ging in dem Tempo weiter. Nur eine einzige Reaktion gab es von ihm in dem Augenblick. "Magda ist tot", sagte er zu mir mit ganz leiser Stimme und sah mich dabei nicht einmal an.
Ich blieb zunächst nüchtern und sachlich und sagte zu ihm ganz normal: "Also, falls das jetzt ein Scherz gewesen sein soll, dann war es ein schlechter!"
Er reagierte nicht, sondern entfernte sich in seinem Tempo weiter von mir.
In dem Moment hatte ich das Gefühl, als gingen ein paar Hunderttausend Volt durch mich hindurch: "Nein. Nein. Nein. Neeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!!!!!!!!!!!!!!!!!!!"

Nun erfuhr ich auch die Hintergründe für ihr merkwürdiges Verhalten das letzte halbe Jahr über. Gleich nachdem sie den Überfall in der Bank unbeschadet überstanden hatte, begann der eigentliche Terror. Ihre von feministischer Ideologie völlig verblendeten weiblichen Verwandten ("Wir Frauen können über unsere Gefühle sprechen, das zeichnet uns gegenüber den Männern aus.") begannen Magda ganz massiv unter Druck zu setzen, in psychotherapeutische Behandlung zu gehen. Auf eine ganz hinterhältige und verschlagene Art und Weise begannen sie, Magda den Verstand zu vernebeln. Das sei heute doch etwas ganz Natürliches geworden, sich professionelle Hilfe zu holen, wenn man psychische Probleme habe. Das sei doch heutzutage Gott sei Dank kein Stigma mehr. Auf diese Weise haben sie ihr die Schlachtbank als das Paradies ausgemalt.
Magda war davon zunächst überhaupt nicht begeistert. Vor allem erkannte sie den Sinn des Ganzen nicht. Sie erzählte mir, dass sie zwar ab und zu Alpträume habe, es ihr ansonsten jedoch gut gehe.
Irgendwann gab sie dann notgedrungen nach.
Tragischerweise nahm das Unheil seinen Lauf an einem Tag, den ich bis dahin als einen der erfolgreichsten in meinem bisherigen Leben betrachtet hatte: dem unseres Abschlussballs. An jenem Nachmittag hatte sie ihren ersten Termin bei der Therapeutin in Wien. Darum war sie auch am Vormittag so durcheinander. Aus irgendwelchen Gründen, welchen auch immer, hatte sie mir nichts davon gesagt.
Die äußerst brutalen Methoden der Therapeutin, ebenfalls einer erklärten Feministin, hatten innerhalb von Monaten aus einer ausgeglichenen jungen Frau mit guten Studienergebnissen ein am Boden zerstörtes nervliches Wrack gemacht. In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie von "Gestapo-Methoden" der Therapeutin. Sprach davon, sie sei dadurch "richtig verrückt im Schädel" geworden, von einem Gefühl wie von "riesigen, glühenden Nägeln" durchbohrt zu werden, "Da ist etwas in mir kaputtgegangen", ihr "Kopf würde in einem Schraubstock stecken" und zusätzlich "schlage noch jemand mit dem Hammer drauf". Sie wünschte sich sogar, ihre Mutter hätte sie abgetrieben.
Dies erklärte auch, warum sie plötzlich so zu klammern begann. Wahrscheinlich hatte sie unsere Beziehung als eine der letzten Fluchtmöglichkeiten aus dem Terror ihrer Verwandtschaftsweiber betrachtet. Zu dem Zeitpunkt lief bei ihr im Kopf schon längst ein ganz anderer Film ab.
Mit einigen Jahren Abstand wurde dies für mich zu einem weiteren großen Baustein bei meinem Werdegang zum Feminismuskritiker und Männerrechtler.

Magdas Beerdigung fand an einem wolkenlosen Sonnabend Vormittag im November 1997 statt.

Mein ganzes Leben lang hatte ich bis dahin noch nie an Selbstmord gedacht. Nicht einmal während meiner Zeit in der Hauptschule, nachdem sich allgemein herumgesprochen hatte, dass ich zur Streberfraktion gehöre und ich zu Anfang dachte: Das hältst du hier keine drei Wochen aus. In der Zeit nach Magdas Tod, nach Magdas völlig sinnlosem Tod, gab es erstmals Überlegungen auf rein theoretischer Ebene, sich selbst den Stecker zu ziehen.

Im Frühjahr 1998 ging auch noch Thomas mit seiner Zeitung pleite. Ich sah daher keinen Grund mehr, noch länger in der Gegend zu bleiben. Nach dem Ende der Schulzeit verließ ich Niederösterreich für immer.


3. 9. Carmen und Lisa


Im Jahr 2000 entdeckte ich im Internet eine Spur meiner alten deutschen Mitschülerin Carmen Hensolt. Wie ich erfuhr, lebte sie jetzt in Portugal. Ich nahm zu ihr Kontakt auf.
Und es dauerte nicht lange, bis ich an einem warmen Julitag mit Reisetasche in der Hand einen Feldweg am Rande eines portugiesischen Dorfes hoch kam.
Carmen lebte dort in einem zum Feriendomizil umgebauten ehemaligen Bauernhof. Ihrer Tante aus dem Westen gehörte das Anwesen. Sie hatte es Carmen zur Verfügung gestellt, damit sie dort zusammen mit ihrem ebenfalls deutschen Freund leben konnte.
Sie erzählte mir dann, dass es ihr nach ihrer Zeit in Leipzig ziemlich schlecht ging. Bis eines Tages ihre Familie unter den Einfluss einer – wie sie es formulierte – "dämonischen Psychologin" geriet. Sie war nach der Wiedervereinigung aus dem Westen in die neuen Bundesländer gekommen, um dort die Stelle der Leiterin einer Psychiatrischen Klinik anzutreten. Diese Ärztin, so erfuhr ich, kannte nur zwei Missionen: ihren Beruf und den Feminismus. Sie sei voll und ganz vom Alice Schwarzer'schen bundesdeutschen Feminismus der Achtziger Jahre geprägt gewesen. Und fühlte sich berufen, diesen nun auch in ihrem neuen beruflichen Umfeld in den neuen Ländern zu propagieren und in die Tat umzusetzen.
Die Ärztin war von der Idee besessen, sich bei ihrer Arbeit vor allem für Frauen einzusetzen. Was per se noch nichts Verwerfliches war. In ihrem völlig außer Kontrolle geratenem Helfersyndrom ging sie jedoch buchstäblich über Leichen. In Carmen hatte sie in einem zweifachen Sinne das ideale Opfer gefunden. Opfer sexueller Misshandlungen durch Männer – und Opfer ihrer schon zu politischem Fanatismus ausgearteten Helfermission für unterdrückte Frauen.
Sie begann nun mit ausgeklügelter Perfidie ein Spinnennetz um die weiblichen Angehörigen Carmens zu weben. Nacheinander beeinflusste sie eine Frau nach der anderem aus dem Umfeld Carmens, auf sie einzuwirken, dass es doch in ihrem Interesse wäre, sich für eine Zeitlang in stationäre psychiatrische Behandlung zu begeben.
Sie bearbeitete die Frauen ganz massiv; und interessanterweise wandte sie sich ausschließlich an die Frauen, vermutlich weil sie annahm, dass sie über diese am ehesten etwas erreichen konnte. Und die Saat ging auf. Fast alle Frauen aus ihrer Familie hätten danach dementsprechend auf Carmen eingewirkt. Immer wieder sei ihr ein schlechtes Gewissen gemacht worden, wie viel Geld man für die Privatdetektive ausgegeben habe wegen ihr. Überrumpelt von soviel Übermacht, gab Carmen schließlich nach. Ende 1992 war das. Die Zeit, in der ich in Österreich gerade die letzten Übersiedlungskartons ausgepackt hatte und mich auf eine rasante berufliche Karriere freute.
Einzig ihre Tante aus dem Westen habe in dieser Zeit zu ihr gehalten. Sie habe deshalb nach dem Aufenthalt in der Klinik auch sämtliche Kontakte zu ihrer Familie im Osten abgebrochen.
In der Klinik wurde sie auf direkte Veranlassung dieser Psychologin hin mit Medikamenten bis zum Rand vollgepumpt. "Diese Tabletten wirken Wunder", meinte die Doktorin stets dazu.
Dadurch ging es ihr schlechter als je vorher. Sie bekam jede Menge körperlicher Probleme. Sie habe Rheuma und chronisch steife Finger bekommen, ihre Sehstärke habe drastisch nachgelassen, am ganzen Körper hätte sie ständig eine Art Schütteln erfasst. Es ging sogar so weit, dass ihre Regel vollkommen ausgesetzt habe in der Zeit in der Klinik. Das alles habe sie auch der Ärztin gesagt, was sie aber nur beiläufig zur Kenntnis genommen habe.
Auch psychisch wurde es immer schlimmer.
Sie sei in diesem einen Jahr Klinikaufenthalt so gnadenlos mit Unmengen Pillen vollgestopft worden, dass sie zum Schluss nur noch auf dem Bett lag und dahindämmerte.
Auch nach ihrer Entlassung nach einem Jahr ging es nahtlos weiter. In der ambulanten Nachsorge wurde sie weiterhin bis zum Eichstrich mit Psychopharmaka vollgestopft, diesmal unter der Ägide einer Psychologin vor Ort. Ihr Alltag bei ihren Eltern zuhause bestand nur noch aus Essen, Trinken, Schlafen. An eine Berufsausbildung war nicht zu denken, da sie nicht einmal mehr ohne Begleitung das Haus verlassen konnte.
Die Wende kam im Jahr 1995, als ihr Freund sie aus diesem Milieu herausholte. Er habe zu ihr ganz nüchtern gesagt: "Wenn du hier bleibst, dann bringen die dich um!" erzählte sie. Dieser Satz habe sie mit einem Schlag aufwachen lassen.
Zwei Jahre später. Alles schien sich inzwischen zum Guten gewendet zu haben. Carmen hatte eine Ausbildung zur Arzthelferin mit sehr guten Ergebnissen abgeschlossen. Gemeinsam mit ihrem Freund hatte sie eine eigene Wohnung in Frankfurt am Main bezogen, von wo aus sie es nicht weit zu ihrer Tante hatte. Zu ihrer Familie und ihrem früheren Umfeld im Osten hatte sie mittlerweile alle Kontakte abgebrochen.
In dieser Zeit traten bei ihr plötzlich eine Reihe eigenartiger Beschwerden auf, für die die Ärzte keine rechte Erklärung fanden.
Bis sie schließlich Ende 1998 von einem Arzt eine niederschmetternde Diagnose erhielt – Leukämie.
Diese habe sie vermutlich schon seit mehreren Jahren in sich gehabt. Das Tückische bei einer chronischen Leukämie sei, dass sie in der Regel sehr langsam verläuft und die Patienten in den ersten Jahren meist völlig beschwerdefrei sind. Die Krankheit werde daher in der Regel per Zufall entdeckt.
Wie lange sie noch zu leben habe, wie überhaupt ihre Prognosen seien, konnte ihr keiner sagen.
Carmen war überzeugt davon, dass das von den Kübeln voll Tabletten kam, die sie in der Klinik in sie hineingestopft hatten. Und ein paar Mediziner hätten ihr gegenüber diese Möglichkeit inoffiziell auch schon eingeräumt. Der vermutliche Ausbruch der Krankheit würde sich auch zeitlich mit ihrer Einlieferung in die Psychiatrie decken. Aber offiziell könne man der Klinik kein Fehlverhalten nachweisen.
Hier sei sie in einer größeren Stadt in Behandlung bei einem spezialisierten Arzt, der in Deutschland studiert hat. Auch das habe ihre Tante eingefädelt. Ihr Freund fahre sie regelmäßig hin.
Mir fiel auf dieses Schicksal immer nur eine Metapher ein. In Halle gab es zu sozialistischen Zeiten dieses Denkmal für die Arbeiterbewegung, mehrere kämpferisch in die Höhe gereckte Fäuste. Und als würden diese Fäuste in ihrer ganzen Größe plötzlich lebendig werden und zuschlagen, ungefähr so grausam war diese Wendung.

Und als ob das nicht alles schon genug gewesen wäre, erfuhr ich in dem Zusammenhang außerdem noch, dass Lisa, meine Spielkameradin vom Ostseestrand, ebenfalls todkrank war. Carmen hatte sie über mehrere Personen hinweg einmal kennengelernt. So hatte sie von der Sache erfahren.
Es war wie aus einem schlechten Film, was ich hernach zu hören bekam, wie aus einem ganz schlechten Film. Es begann mit ihrer Mutter. Sie sei ein Leben lang auf der Suche "nach 'sich selbst', nach ihrer 'Mitte', nach ihrer 'Identität'", wie es wörtlich hieß, gewesen. Diese Suche habe sie in den Achtzigern zunächst von einer Frauengruppe zur Nächsten geführt. – Solche Gruppen waren damals in Westdeutschland ja große Mode, erinnerte ich mich. – Rannte zu unzähligen Vorträgen über "neues Frausein". Irgendwann sei sie dabei dann in die Fänge einer obskuren Psycho-Sekte geraten. Und ihre Tochter gleich mit. Von ihrem Mann lebte sie zu diesem Zeitpunkt schon längst getrennt.
Die Sekte unterhielt ein Grundstück im Ausland, weit ab vom Zugriff der deutschen Justiz.
Als Lisa 17 war, sei sie dort von einem ranghöheren Sektenmitglied zum Geschlechtsverkehr verführt worden. – Was immer man dort unter "Verführen" verstand. – Dieses Sektenmitglied war HIV-positiv. Und infizierte Lisa …
Ihre Mutter hatte das Verhältnis gebilligt. Mehr noch, sie war dem Guru dieser Sekte zu dem Zeitpunkt in einem Maße hörig, dass sie das als eine Ehre und Auszeichnung betrachtete.

Im Frühjahr 2003 erhielt ich von Carmens Freund eine Mail aus Amerika, dass es mit ihr zu Ende ginge. Carmens Tante hatte sie zu einem dortigen Spezialisten überstellen lassen. Angesichts ihres realen Gesundheitszustandes war dies bereits eine reine Verzweiflungstat. Die Flugreise nach New York hatte sie bereits an eine Pritsche geschnallt antreten müssen. Carmens Tante verfügte als Erbin eines mittelständischen Unternehmens in Hessen über beträchtliche Geldmittel, so konnte sie das Unternehmen finanzieren.
Ihre Tante hatte nun in der aktuellen Situation gemeint, dass es ganz gut wäre, wenn in ihren letzten Stunden die Menschen um sie herum wären, die ihr im Leben am meisten bedeutet haben.
Ursprünglich wollte ich mir das Geld für das Flugticket zusammenborgen. Carmens Tante überwies es mir jedoch, aufgestockt für etwaige Extraspesen, auf mein Konto. Und so kam ich zum zweiten Mal nach New York, allerdings im Vergleich zum ersten Mal unter sehr unerfreulichen Umständen.
Als ich in New York vor dem Haus ankam, in dem die Tante für Carmen und ihren Freund eine Wohnung angemietet hatte, öffnete mir ihr Freund die Haustür. Ich erkannte ihn sofort wieder.
Statt zur Begrüßung etwas zu sagen, schüttelte er nur mit sehr ernster Miene den Kopf …
Hinterher erzählte er mir dann, dass ich froh sein könne, Carmen nicht mehr angetroffen zu haben. In ihren letzten Tagen in Amerika sei sie "ganz elend zugrunde gegangen", wie er es wortwörtlich formulierte.

Carmens Beerdigung fand auf ihren eigenen Wunsch hin in Portugal statt. Auf dem Friedhof des Dorfes, in dem sie ihre letzten Jahre verbracht hatte.
Der mit alten Eisenpfeilen umzäunte Friedhof lag in direkter Küstennähe. Ein Taxi brachte mich dorthin.
Es war jetzt bereits das dritte Mal, dass ich hinter dem Sarg von jemandem ging, der in meiner Generation verstorben war. Silke, als ich knapp 15 war. Magda, als ich 21 war. Und jetzt mit 27 Carmen.

Auch an mir gingen all diese Dinge nicht spurlos vorrüber. Ich bekam in dieser Zeit meinen ersten leichten Schlaganfall, von dem ich mich jedoch im Großen und Ganzen wieder erholte.


3. 10. Die Wien-Jahre


2004 wurde ich nach einigen Auslandsaufenthalten endgültig in Wien sesshaft.

Im total verregneten Sommer 2005 machte ich am WIFI Wien eine Ausbildung zum Trainer in der Erwachsenenbildung.
Danach wurde ich für ein paar Monate in der Öffentlichkeitsarbeit für ein Sicherheitsunternehmen tätig.

Ab Frühjahr 2006 begann ich als Computertrainer verschiedenste Wiener Erwachsenenbildungsinstitute zu durchlaufen.
In dieser Zeit lernte ich Akam kennen. Gebürtiger Kurde, lebte aber schon so lange mit seiner Familie in Österreich, dass er fließend, akzent- und fehlerfrei Deutsch sprach. Er fing ungefähr gleichzeitig mit mir an, kam nur ein paar Wochen nach mir.
Sehr bald hatten wir entdeckt, dass wir ein gemeinsames Interesse teilten – die Marvel-Comis.
Und es wurde von da an nahezu unser einziges Thema, in welches wir uns bis zum Exzess vertiefen konnten.
Obwohl er fünf Jahre jünger war als ich, war er auf dem Gebiet wesentlich beschlagener. Ich erfuhr von ihm einige Zusammenhänge in den Geschichten, die mir noch nicht vertraut waren.
Unsere unterschiedlichen Herkunften spielten dabei überhaupt keine Rolle, wir kannten nur unser Lieblingsthema.
Als ich dann an meine nächste Firma ging, verloren wir uns aus den Augen.

Im Herbst 2007 begann ich mit den Arbeiten zu einem männerrechtlerischen Manifest. Es geschah einfach so aus einem Impuls heraus; irgendein konkretes Schlüsselerlebnis hatte es dafür nicht gegeben. Tieferliegende Gründe dagegen hatten sich dagegen in den 17 Jahren davor genug und satt angesammelt.

Herbst 2010. Ich war inzwischen 34. An einem trüben und windigen Oktobertag ging ich vor dem Wiener Nordbahnhof entlang in Richtung Nordbahnstraße.
Als ich an der Stelle ankam, wo unter der Hochtrasse der Nordbahn die Praterstraße in die Lassallestraße überging, beschloss ich die Fahrbahn zu überqueren. Die Fußgängerampel hatte kurz zuvor gerade auf Grün geschaltet. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Grünphase noch abpassen würde.
Baumeister!!!!!
In einem Auto, das direkt vor mir am Straßenrand stand, saß er auf dem Rücksitz. Direkt am Fenster auf meiner Seite. Er bemerkte mich nicht, obwohl uns vielleicht 30 Zentimeter trennten, starrte unbewegt geradeaus in Richtung des Verkehrsflusses, wartete darauf, dass die Ampel für ihn auf Grün schaltete.
Ich dachte zunächst, eine Million Volt würden durch mich hindurchgehen. Ich war vollkommen paralysiert, vollkommen überfordert mit der Situation.
Kein Zweifel, er war es. Das Gesicht werde ich mein Leben lang nicht vergessen, so psychopathisch und durchgeknallt wie er mich damals auf dem Vogelsberger Weg angestarrt hatte.
Was um alles in der Welt machte er hier in Wien?


3. 11. Ich werde zum Männerrechtler


Ende des Jahres 2010 veröffentlichte ich im Internet mein männerrechtlerisches E-Book unter dem ironischen Titel "Männerhassbuch". Mit dem Titel sollte der Männerhass der Feministinnen persifliert werden sollte. Eine so genannte sarkastische Verkehrung ins Gegenteil, da sich das Buch ja dezidiert gegen den Männerhass in der Gesellschaft wendete.
Dieses Buch hatte eine lange Vorgeschichte.
Winston Churchill wird der Satz zugeschrieben: "Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 30 Jahren noch Kommunist ist, hat keinen Verstand!"
Ungefähr so erging es mir mit dem Feminismus. Als ich mit 14 Jahren, bedingt durch den Mauerfall in Deutschland, anfing, intensiv politische Medien aus dem Westen zu konsumieren, erfolgte bei mir, ohne dass ich das merkte, innerhalb kürztester Zeit eine ideologische Indoktrination zum Feministen. Zum Erzfeministen! Alles, was man mir dort zum Thema Mann-Frau servierte, übernahm ich ohne nachzudenken, ohne auch nur einen einzigen kritischen Gedanken zu verschwenden. Innerhalb kürztester Zeit war ich überzeugt, dass Männer vom Anbeginn der Menschheit an nur Unheil über den Planeten gebracht hätten. Das Männer generell so ziemlich alle negativen Eigenschaften aus dem Psychologielexikon in sich vereinen. Und ganz wesentlich: Dass es von uuuuungeheurer Wichtigkeit sei, sich soviel wie nur möglich mit Gefühlen und dem eigenen Innenleben zu befassen und auch darüber zu reden. Es war wohl meinem jugendlichen Alter geschuldet sowie einem allzu blinden Vertrauen in die vermeintlich demokratischen Strukturen des Westens direkt nach dem Untergang der DDR.
Viele Jahre später, nach meinem "Erwachen", meiner "Einnahme der Roten Pille", schrieb ich über diese Zeit den nachfolgenden, selbstironischen Text:
"Ich möchte Ihnen einen Bekannten von mir vorstellen. Dieser Bekannte ist Feminist. Und darum kann er manchmal eine ordentliche Nervensäge sein. Anschließend einige wahllos herausgegriffene Punkte seiner Weltsicht:
Er glaubt mit Inbrunst an die Existenz der allumfassenden patriarchalischen Weltverschwörung. Er ist der Meinung, dieser ominöse Geheimbund 'Patriarchat' habe auch heute noch in westlichen Ländern alle Bereiche des Lebens durchdrungen.
Frauen sind kaum in technischen und handwerklichen Berufen vertreten? Daran sind nur patriarchale Geheimlogen von Kapuzenmännern schuld, die in einer geheimen UFO-Basis in der deutschen Stadt Bielefeld eine weltweite Verschwörung zur Fernhaltung von Frauen aus solchen Berufen gebildet und zu diesem Zweck die UNO, die CIA und den Mossad unterwandert haben … An einem kaum vorhandenen Interesse der Frauen an solchen Berufen liegt es jedenfalls üüüüüberhaupt nicht! Üüüüüberhaupt nicht!
Als mein Bekannter dann später im Rahmen seiner Tätigkeit als Computertrainer für Erwachsene die Welt der Kursinstitute kennenlernte, fiel es ihm in dieser Hinsicht wie Schuppen von den Augen. Als er mitbekam, wie Politiker und Arbeitsmarktverantwortliche Frauen solche Berufe sprichwörtlich wie Sauerbier anpriesen, sie fast schon kniefällig anflehten, doch auch mal Alternativen in der Berufswahl in Betracht zu ziehen. Ergebnislos …
Und auf der anderen Seite traf er in solchen Einrichtungen massenweise auf Frauen, die durch eine total 'verpeilte' Wahl der Studienrichtung wie etwa Psychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaften, Kulturanthropologie oder Gender Studies – in anderen Worten: auf dem freien Arbeitsmarkt de facto nicht verwertbare Qualifikationen – nun in einer beruflichen Sackgasse steckten.
Das Schwarz-Weiß-Bild, das sich mein Bekannter von der Welt gemacht hatte, bekam hier erstmals Risse …
Männer, die in erzieherischen Berufen arbeiten wollen, sind für ihn alle Kinderschänder.
Männer, die mit einer südländischen Frau verheiratet sind: Primitive, brutale Proleten. (Und dabei glotzt er in Wien auf der Straße selber Asiatinnen aller Nationen von der Türkei bis Indonesien hinterher, dass ihm bald die Augen rausfallen.)
Wir gehen zusammen durch Wien spazieren. Auf dem Fußweg kommt uns ein kleines, braunhaariges Mädchen, schätzungsweise sieben Jahre alt, entgegen. Als das Mädchen vorbei war, meinte er beiläufig: 'Die ist aber niedlich!'
Und schon im nächsten Moment bekam er eine richtige Panikattacke, dass er über Nacht pädophil geworden sein könnte, weil er die Kleine niedlich fand. So sehr hatte er die feministische Alle-Männer-sind-Schweine-Ideologie verinnerlicht, dass er sich fast schon einbildete, man könnte durchs Anniesen zum Pädophilen werden! Ich dachte in dem Moment, ich habe es mit einem Irren zu tun!
Einen ähnlichen Bolzen hat er mal abgeschossen, als wir mal zusammen in einem Supermarkt Einkaufen waren. Er deutete mit dem Kopf in Richtung einiger Männer, die allein einkaufen waren, und meinte, dass das bestimmt alles Männer sind, die von ihren feministischen Frauen gut erzogen worden sind.
Ich dachte, es zieht mir Schuh und Strümpfe aus! Auf das Naheliegendste, dass das einfach nur Männer sein könnten, die nach Arbeitsschluss schnell noch eine Flasche Milch oder einen Laib Brot brauchten, kam er nicht.
Auch ist er der Meinung, er müsste sich möglichst viel mit Gefühlen und ähnlichem Scheiß beschäftigen und auch sehr viel darüber reden. So wie es unaufhörlich aus dem feministischen Brevier gepredigt wird. Und gleichzeitig wundert er sich, warum es ihm psychisch und gesundheitlich immer schlechter geht. Warum man ihm über Jahre hinweg regelrecht dabei zuschauen konnte, wie er körperlich immer mehr verfiel. Weshalb er keine Nacht mehr normal durchschlafen konnte. Weshalb er Nacht für Nacht Alpträume hatte, sodass er frühmorgens nur noch 'gerädert' aufwachte. An erholsamen Schlaf war für ihn nicht mehr zu denken. Weshalb seine Konzentrationsfähigkeit auf die eines Grundschülers zurückgefallen war. Warum er schon ein paar Mal einen körperlichen Zusammenbruch gehabt hatte.
In der Hinsicht versteht er die Welt nicht mehr …
Aus seiner Sicht ist es ja auch unverständlich. Er hatte ja alles Buchstabe für Buchstabe ganz genau so gemacht, wie es im 'feministischen Lehrbuch' stand. Wieso stellte sich dann trotzdem kein Erfolg ein?
Aber irgendwann begann es in meinem Bekannten zu rumoren … Es ist nicht so, dass er über Nacht ein völlig anderer Mensch geworden wäre. Doch mit einem Male gab es Dinge, die passten nicht mehr zusammen …
Viele Jahre später, als bei ihm schließlich 'der Knoten geplatzt' war, dass er ein Großteil seines Lebens einer grundverkehrten und falschen Denkweise hinterhergelaufen war, wie sehr er sich durch diese Schweine-Ideologie selber in die Scheiße reingeritten hatte, verbannte er radikal alles aus seinem Leben, was nur im Entferntesten mit Psychologie, Gefühlen und Emotionen zu tun hatte. Und siehe da: Mit einem Male konnte er abends wieder 'wie auf Befehl' einschlafen. Über Sachthemen, bei denen er sich in der Schule bis zum Gehtnichtmehr geplagt hatte, wo seine schulischen Leistungen die ganze Zeit über bestenfalls mittelmäßig waren, hielt er im Berufsleben VORTRÄGE vor Erwachsenen. Als ob der Heilige Geist in ihn gefahren wäre. Buchhaltung, Steuerrecht – Dinge, die für ihn in der Schule stets ein Alptraum waren, über die hielt er mit einem Male vor Erwachsenen Vorträge. Und bekam reihum Anerkennung für seine Fachkompetenz.
Rückblickend verstand er nicht, sehr trivial formuliert, wie er auf diesen Mist hereinfallen konnte. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte: Unterm Strich hatte sie sich nicht ausgezahlt, diese Gefühlsduselei. Da durfte man sich gar nicht in die eigene Tasche lügen.
Sie ahnen es sicherlich längst, verehrte Leser, der Bekannte ist niemand anders als ich selbst."

Nun eine kurze Zusammenfassung der wesentlichsten Themen des "Männerhassbuches":

Situation von Männern auf dem Arbeitsmarkt:

Der Strukturwandel in der Wirtschaft, der seit den 1980-er Jahren im Gange ist, hat dafür gesorgt, dass in der westlichen Welt zu einem großen Teil Arbeitsplätze in Branchen verloren gingen, in denen überwiegend Männer beschäftigt waren.

Laut Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit praktisch alle Berufe mit hohem Unfall- und Todesrisiko fest in Männerhand.

Oftmals vorgetragene Anklage von Feministinnen: "Frauen konnten früher nicht wie Männer darüber entscheiden, welchen Beruf sie ausüben."
Darauf antwortet der Männerrechtler: "Männer konnten die meisten Zeit der Menschheitsgeschichte nicht frei entscheiden, welchen Beruf sie ausüben. War der Vater Bauer, wurde auch der Sohn Bauer. War der Vater Zimmermann, wurde auch der Sohn Zimmermann – häufig galt diese Regel nur für den Erstgeborenen und alle anderen mussten sehen, wo sie bleiben. Konnten oder wollten Männer nicht den Beruf des Vaters ausüben, standen ihnen nur wenig attraktive Berufe – noch weniger attraktiv als der des Vaters – frei zur Auswahl: Söldner (Gefährlich!) oder Tagelöhner (Einfach arme Schweine.), um zwei zu nennen. Zu behaupten, Männer hätten immer die freie Wahl gehabt, welchen Beruf sie ausüben, und zu behaupten, sie hätten dabei die freie Wahl zwischen gleichmäßig attraktiven Berufen gehabt, Professor, Doktor, Anwalt etc., ist falsch."

Oftmals vorgetragene Anklage von Feministinnen: "Frauen hatten früher nicht wie Männer die Möglichkeit, beruflich hohe Posten zu erreichen."
Darauf antwortet der Männerrechtler: "Zu behaupten, Männer hätten immer die Wahl zwischen gleichmäßig attraktiven Berufen gehabt, die sie in die höchsten Höhen der gesellschaftlichen Hierarchien trugen, ist einfach falsch. Die Mehrheit der Männer hat immer niedrige, schwere Berufe ohne jede Aufstiegschance ausgeübt. Wenn man ein Privileg von Männern aufzeigen will, dann hatten Männer in der Geschichte durch die Bank weg das Privileg, sich totzuarbeiten. Das klingt jetzt eher nicht wie ein Privileg."



Genitalverstümmelung bei Jungen und Männern:

Männliche Genitalverstümmelung aus religiösen Gründen ist eine juristisch und gesellschaftlich akzeptierte Angelegenheit.



Situation von Jungen im Bildungswesen:

Es gibt unabhängige Studien, die darauf schließen lassen, dass Lehrpersonal an den Schulen männliche Schüler unbewusst schlechter benotet, als sie es tatsächlich sind. Diese wurden auch nicht von Männerrechtlern in Auftrag gegeben, sodass ein gewünschtes Ergebnis eventuell schon von vornherein feststand, sondern von unabhängigen Forschern erstellt!



Häusliche Gewalt:

Auf einen Nenner gebracht – männliche Täterzahlen etwas niedriger, weibliche Täterzahlen etwas höher, als in den Medien und offiziellen Statistiken angegeben. Bei den Opferzahlen beides genau umgekehrt.



Ritalin und Co.:

Die verbrecherisch leichtfertige Verabreichung von Psychopharmaka an "schwierige" Jungen.



Scheidung/Sorgerecht:

Nach einer Scheidung werden Männer oftmals bis ans Existenzminimum gepfändet; das, was ihnen dann noch zum Leben übrig bleibt, liegt teilweise sogar darunter. Auch wird ihnen danach sehr oft der Kontakt zu ihren Kindern verwehrt.



Wehrpflicht:

Gilt in den meisten Ländern nur einseitig für Männer.



Verschiedenes über das Y-Chromosom.



Männerhass in den Medien:

Im Medien- und Kulturbetrieb herrscht ein einseitig negatives Männerbild vor. Populäre Romane, Fernsehfilme, Serien, aber auch Fernsehreportagen und Werbespots verunglimpfen den Mann oft als gewalttätig, triebgesteuert, gefühlsarm und "trottelig". Um dies zu belegen, erstellte ich für das Buch eine 217 Seiten umfassende Sammlung von extremst hasserfüllten und menschenverachtenden männerfeindlichen Zitaten aus den Medien.

Bei Armeeangriffen, Anschlägen und ähnlichen Ereignissen, die eine hohe Anzahl ziviler Opfer fordern, wird gerne gesondert hervorgehoben, dass "auch Frauen und Kinder unter den Opfern" seien. Gegen eine gesonderte Erwähnung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ist nichts einzuwenden. Auch wenn ein gewaltsamer Todeseintritt in jedem Fall als tragisch anzusehen ist, berührt es bei Kindern und Jugendlichen, die theoretisch noch eine sehr viel längere Lebenserwartung gehabt hätten, doch noch ein wenig mehr. Die spezielle Betonung von erwachsenen Frauen hingegen erscheint in der Ära der Gleichberechtigung als nicht mehr zeitgemäß.

Feministin: "Was das einseitig negative Männerbild in den Medien betrifft, so müssen das Männer aushalten, weil sie 5.000 Jahre lang Frauen im Patriarchat unterdrückt haben!"
Männerrechtler: "Es gibt in demokratischen Rechtsstaaten keine Sippenhaftung. Punkt, Aus, Ende!"



Männerfeindliche Bücher, hier nur eine ganz, ganz kleine Auswahl solcher Titel:

"Männer haben keine Zukunft",

"Nur ein toter Mann ist ein guter Mann",

"Sternzeichen Scheißkerl",

"Manifest zur Vernichtung der Männer",

"Der Mann – Ein Irrtum der Natur?",

"Der Mann. Ein Irrtum der Natur?" (Kein Schreibfehler. Der Buchtitel erschien wirklich von zwei unterschiedlichen Autoren. Einmal mit Bindestrich und einmal ohne.),

"Keine Zukunft für Adam. Die revolutionären Folgen der Gen-Forschung.",

"Männerversagen",

"Der blockierte Mann",

"Warum der Mann nicht lieben kann",

"Sie liebt ihn, er sich auch",

"Frauen wollen erwachsene Männer",

"Irren ist männlich. Weibliche Körpersprache und ihre Wirkung auf Männer.",

"Lieber einen Mann als gar kein Unglück",

"Das Peter-Pan-Syndrom. Männer, die nie erwachsen werden.",

"Die sieben Irrtümer der Männer. Der Mann muss zur Besinnung kommen.",

"Man gewöhnt sich an alles, nur nicht an einen Mann",

"Blöde Männer",

"Männer sind doof",

"Männer taugen zu nichts. Vergnügliche An- und Einsichten für Sie und Ihn.",

"Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt. Pessimistische Kardinalsätze.",

"Die Männer sind infam, solange sie Männer sind.",

"Trau niemals einem Mann",

"Liebe, Lust und Frust. Über die Unfähigkeit der Männer, Frauen glücklich zu machen.",

"Wie ändere ich meinen Mann",

"Wie erziehe ich meinen Mann? Vom Streuner zum treuen Begleiter."

"Jetzt ändere ich meinen Mann. Wie Sie ihn einfach umkrempeln, ohne dass er es merkt."
(Das Werbelogo auf dem Cover zeigt einen Hund und trägt die Unterzeile "Dog-Training".),

"Ein bisschen Männerhass steht jeder Frau",

"Warum Hunde besser als Männer sind",

"Auslaufmodell Mann. Wie das starke Geschlecht zum schwachen wurde.",

"Was tun mit nutzlosen Männern?"
(Anmerkung: Auf dem Titelbild kniet ein nackter Mann, in dessen Gesäßbacken eine sportliche, hübsche Frau den Vorderreifen ihres Rennrades gerammt hat, um das Gefährt zu parken, während sie joggen geht. Im Innenteil des Buches gibt es zahlreiche weitere Abbildungen dieser Art.),

"Mimosen in Hosen",

"Der Mann – ein emotionales Sparschwein?",

"Männer und andere Katastrophen",

"Das Handbuch für Luschen: Vom Weichei zum Mann",

"Männer – das schwache Geschlecht. Warum Frauen an Männern (fast) verzweifeln.",

"Das schwache Geschlecht – die türkischen Männer",

"Brauchen wir Männer überhaupt?",

"Die Krise der Kerle",

"Krise der Männlichkeit",

"Männer aus zweiter Hand",

"Männer sind zum Abgewöhnen",

"Der verletzte Mann",

"Was vom Mann übrig blieb",

"Der Mann, ein Fehlgriff der Natur",

"Jetzt ändere ich meinen Mann. Wie Sie ihn einfach umkrempeln, ohne dass er es merkt.",

"Männer wie Hunde",

"Hunde sind die besseren Männer. Von den Vorteilen vierbeiniger Hausgenossen.",

"Gefrühstückt wird zu Hause. Wie man einen Ehemann erzieht.",

"Weißbuch Frauen/Schwarzbuch Männer: Warum wir einen neuen Geschlechtervertrag brauchen",

"Zoe – Sind denn alle netten Männer schwul",

"Männer – Paschas oder Nestflüchter?",

"Begabte Mädchen, schwierige Jungs",

"Liebe als Leid. Warum Männer ihre Frauen hassen und Frauen gerade diese Männer lieben.",

"Warum der Mann nicht lieben kann",

"Einzigartige Hunde, gefährliche Männer",

"Über Emanzipation. Irren ist männlich.",

"Die Lügen der Männer",

"Wenn Männer zu oft lügen",

"Auch Männer können lieben",

"Die ganze Wahrheit über die Lügen der Männer",

"Wozu Männer. Liebeserklärung an eine überflüssige Spezies.",

"Baustelle Mann",

"Sind Männer das nutzlose Geschlecht?",

"Wenn Männer reden könnten",

"Männer – das schwache Geschlecht und sein Gehirn",

"Warum Männer mauern",

"Das Schweigen der Männer",

"Kleine Jungs – große Not",

"Jungen in der Krise – Das schwache Geschlecht?",

"Jungen – Sorgenkinder oder Sieger?",

"Männer lassen lieben",

"Das faule Geschlecht",

"Heldendämmerung",

"Artgerechte Männerhaltung",

"Hilfe. Mein Sohn wird ein Macker",

"Der Mann – Auswahl – Haltung – Erziehung",

"Wie Frauen Männer gegen ihren Willen glücklich machen",

"Fehlermeldung: Der Mann und seine Krisen",

"Starke Frauen, schwache Männer",

"Die Eier des Staatsoberhaupts",

"Bedienungsanleitung Mann: So macht Frau ihn funktionstüchtig",

"Bedienungsanleitung für Männer: Leitfaden vom Erwerb bis hin zur Haltung und Pflege",

"Männer. Die längst fällige Bedienungsanleitung.",

"Der Untergang des Mannes",

"Der verunsicherte Mann",

"Scheißkerle. Warum es immer die Falschen sind.",

"'Schieß ihn einfach auf den Mond!': Es heißt Schluss machen, weil dann Schluss ist.",

"Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft",

"Das Verdienst der Frauen. Warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer",

"Männerpolitur. So möbeln Sie Ihren Partner auf",

"Kleine Machos in der Krise",

"Suche impotenten Mann fürs Leben",

"Männer. Eine Gebrauchsanweisung für Frauen",

"Deutsch – Mann, Mann – Deutsch",

"Lieber Männer mit Macken als gar nichts zu lästern",

"Papa ist fertig. Vom Leben mit den lieben Kleinen.",

"Verwirrte Väter
Oder: Wann ist der Mann ein Mann",

"Man(n) hat's nicht leicht ...: Die wechselvolle Geschichte von dem Mann, der schlecht los-lassen kann",

"Was vom Manne übrig blieb",

"Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten.",

"Der Mann – Comeback eines Auslaufmodells",

"Männer wären vollkommen überflüssig, wenn Vibratoren Rasen mähen könnten!",

"Männer verstehen in 60 Minuten",

"Männerdämmerung",

"Brave Mädchen, böse Buben? Erziehung zur Geschlechtsidentität in Kindergarten und Grundschule",

"Der Tag, an dem ich beschloss, meinen Mann zu dressieren: oder: Ein Ehemann ist ein Rohstoff, kein Fertigprodukt",

"Männer haben keine Probleme. Männer lösen Probleme. Und das ist das Problem.",

"Der Mann – Aufzucht, Haltung, Pflege",

"Sitz! Platz! Kuscheln!: Die moderne Männerschule",

"Mister Aussichtslos: 12 Männertypen, die Sie sich sparen können",

"Mr. Unentschieden: Warum Männer zu nichts taugen",

und, und, und …



Sexualität/Beziehungen:

Falschbeschuldigungen im Bereich des Geschlechtsverkehrs und des sexuellen Missbrauchs.

Sexueller Missbrauch durch Frauen ist ein Tabuthema. Man sieht dies allein schon an den unterschiedlichen Formulierungen in den Medien. Während männliche Täter stets "missbrauchen", ist bei weiblichen Tätern immer nur von "Verführen" die Rede.

Exhibitionismus ist nur bei Männern strafbar. Frauen dürfen "alles raushängen lassen".
Zu beobachten jeden Sommer auf den Straßen, wenn Frauen Kleidung tragen, die einen Großteil der Brust sehen lässt. Auch die so genannten Femen werden für ihre Brustentblößungen in der Öffentlichkeit weltweit als Heldinnen gefeiert. Ob sich Männer von diesen, höflich formuliert, nicht immer sehr ästhetischen Anblicken sittlich berührt fühlen, danach fragt niemand. Es ist dies ein Fall von extremer Doppelmoral.

Oftmals vorgetragene Anklage von Feministinnen: "Frauen konnten früher nicht wie Männer ihre sexuellen Bedürfnisse ausleben, ohne dafür gesellschaftlich geächtet zu werden. Ist teilweise auch heute noch so. Wenn ein Mann sexuell sehr aktiv ist, ist er ein 'toller Hecht'. Wenn eine Frau genauso aktiv ist, ist sie eine Schlampe."
Darauf antwortet der Männerrechtler: "Auch Männer waren den üblichen gesellschaftlichen Beschränkungen der Sexualität unterworfen. In einigen Bereichen sogar stärker als Frauen. Männliche Homosexualität stand zum Beispiel häufiger unter Strafe als weibliche Homosexualität. Und wenn weibliche Homosexualität unter Strafe stand, dann wurde männliche oft härter bestraft – mit dem Tod.
Und gibt es etwa keine Beschimpfungen für Männer, die ihre Sexualität nicht im Griff haben? Schwanzdenker, geiler Bock, Dirty Old Man, Hurenbock, Schürzenjäger, Casanova, Lüstling, Lustmolch, Lustgreis, Wüstling, triebgesteuert, ist hinter jedem Rock her, leidet unter Samenstau, vögelt alles, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist, 'Männer denken nur an das Eine', 'Jeder Mann ist ein potenzieller Vergewaltiger' …
Werden Männer, die angeblich 'keine Frau abbekommen haben', etwa nicht gehänselt, verspottet und zutiefst verachtet? Wird ihnen, auch wenn sie freiwillig allein leben, etwa nicht pauschal unterstellt, 'ihnen würden die Trauben zu hoch hängen'?
Werden Männer etwa nicht beschimpft, sie hätten ein schwaches Selbstbewusstsein, hätten ein altmodisches Rollenverständnis, bekämen Kastrationsängste, würden gleich die Flucht ergreifen, wenn sie sich von sexueller Belästigung durch Frauen unangenehm berührt fühlen? – Womit quasi eine Art moralischer Freifahrtschein für sämtliche Arten von sexueller Belästigung durch Frauen ausgestellt werden soll?"

Oftmals vorgetragene Anklage von Feministinnen: "Frauen konnten früher nicht wie Männer darüber entscheiden, wann, wen oder ob sie überhaupt heiraten und eine Familie gründen."
Darauf antwortet der Männerrechtler: "Das ist unterkomplex dargestellt. Wenn Männer, zum Beispiel im Mittelalter, heiraten wollten, mussten sie ein geregeltes Einkommen nachweisen, also einen Beruf ausüben. Hatten sie keinen, durften auch sie nicht heiraten. Die Partnerwahl unternahmen dabei in der Regel die Familien. Das lässt sich heute noch bei den so genannten Zwangsheiraten beobachten: Nicht nur die Frau wird zwangsverheiratet, sondern auch der Mann."



Einkommen:

Gern wird versucht, den durchschnittlich geringeren Verdienst von Frauen im Erwerbsleben als einen bewussten Akt von Frauenverachtung zu deuten.
Und auch hierbei kommen wieder einige Fakten in der öffentlichen Diskussion zu dem Thema schlichtweg nicht vor. So etwa Einflussgrößen wie:

Qualifikation:
Jeder fünfte männliche Angestellte hatte in Deutschland um die Zeit der Jahrhundertwende herum eine (Fach-)Hochschulausbildung, aber nur knapp jede zwanzigste Frau. Insgesamt üben Frauen häufiger einfache Tätigkeiten aus, haben eine schlechtere schulische und berufliche Ausbildung als Männer.

Berufswahl:
Männer sind zum Beispiel häufiger als Frauen als technische Angestellte tätig. Diese werden in der Regel besser bezahlt als kaufmännische, auch wenn sie der gleichen Leistungsgruppe angehören; der größte Teil der weiblichen Angestellten übt aber kaufmännische Tätigkeiten aus.

Betriebszugehörigkeit:
Frauen bleiben nicht so lange in einem Unternehmen wie Männer, deshalb wird ihnen ein "Treuebonus" oder der Aufstieg in qualifiziertere Jobs erschwert.

Berufserfahrung/Alter:
Weibliche Angestellte sind im Durchschnitt jünger und haben damit ein geringeres Dienstalter.

Überstunden:
Frauen leisten weniger Überstunden als Männer.

Arbeitsbedingungen:
Frauen üben seltener als Männer Tätigkeiten aus, für die es Schmutz-, Lärm- oder Gefahrenzulagen gibt. Frauen leisten auch seltener Schichtarbeit.

Betriebsstruktur:
Frauen arbeiten häufig in kleineren Firmen, die ohnehin schon weniger zahlen als Großunternehmen.

Oftmals vorgetragene Anklage von Feministinnen: "Frauen hatten früher nicht wie Männer eigene Verfügungsgewalt über eigene finanzielle Mittel."
Darauf antwortet der Männerrechtler: "Wenn Männer finanzielle Mittel hatten, durften sie mit diesen normalerweise machen, was sie wollen. Das ist korrekt. Aber nachdem die meisten Männer die meiste Zeit keine hatten, war dieses Privileg nichts wert."



Die Welt wäre friedlicher, wenn sie von Frauen regiert würde – von wegen!

Kleopatra;
Theodora von Byzanz;
die einzige chinesische Kaiserin Wu Zetian;
Isabella von Kastilien;
Maria I. "Bloody Mary" Tudor;
Elizabeth I. Tudor;
Elisabeth Báthory;
Christina von Schweden;
Anna Maria Mauricia von Spanien;
die "Hobby-Piratinnen" Anny Bonny und Mary Reed;
die russische Kaiserin Anna Iwanowna;
Katharina von Russland;
Sophie Friederike von Österreich;
Queen Victoria;
der "weibliche DDR-Freisler" Hilde Benjamin;
Mao's "First Lady" Jiang Qing;
die ranghöchsten Frauen des Khmer-Regimes Khieu Ponnary und Khieu Tirith;
die RAF-Frauen Susanne Albrecht, Gudrun Ensslin, Birgit Hogefeld, Ulrike Meinhof, Brigitte Mohnhaupt, Irmgard Möller;
Winnie Mandela;
Imelda Marcos;
Elena Ceauşescu;
die ruandischen Massenmörderinnen Schwester Gertrude, Schwester Maria Kisito und Agathe Habyarimana;
Biljana Plavšić, einzige Kriegsverbrecherin der Jugoslawien-Kriege
und Condoleeza Rice beweisen, dass Machtmissbrauch nicht eine Frage des Geschlechts, sondern der Möglichkeit dazu ist!



Multitasking:

Mit der Legende von der angeblichen weiblichen Multitaskingfähigkeit wird gründlich aufgeräumt!



Verkehr:

Gern wird in Medienberichten behauptet, dass Frauen die besseren Autofahrer seien. Dabei handelt es sich jedoch um eine Legende, die auf verschiedenen statistischen Irrtümern basiert.
Um die Zeit der letzten Jahrhundertwende herum führte das Essener Institut für Automobil-Marktforschung und Kommunikation (IfA) eine Untersuchung zur Verkehrssicherheit in Deutschland unter geschlechterspezifischen Aspekten durch. 7.000 Autofahrer und –fahrerinnen nahmen daran teil.
Neu für die damalige Zeit war die Vorgehensweise, auch den Aspekt der Kilometerfahrleistung beider Geschlechter mit einzubeziehen. Dies brachte Erstaunliches zutage. Und man gelangte zu dem Fazit: In Bezug auf seine Fahrleistung war das weibliche Geschlecht überproportional oft an Unfällen beteiligt. Der weibliche Anteil an der Gesamtfahrleistung lag im Deutschland des Jahres 1998 bei nur 25,6 %. Dafür gingen 31,7 % der Unfälle mit Verletzungen auf das Konto von Frauen am Steuer. Ihr Unfallrisiko war damit um ein Viertel höher als ihr Anteil an der Gesamtfahrleistung.
Darüber hinaus ist auch das Alter ein Statistikverzerrer, und was ebenfalls gern bei solchen absoluten Zahlen miteinander "vermengt" wird, ist die Schwere des Unfalls.



Vernetztes Denken:

Über Männer kursierte vor allem in der Zeit der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert das Klischee, sie seien im Gegensatz zu Frauen aufgrund weniger entwickelter Gehirnstrukturen zu vernetztem Denken nicht fähig. Unwissenschaftlicher Unsinn!



Zum Schluss noch ein fiktiver Dialog zwischen einer Feministin und einem Männerrechtler bezüglich ein paar "Kinkerlitzchen" aus der Geschlechterdebatte:

Feministin: "Aber sind an einem Großteil der Benachteiligungen von Männern nicht Männer selber schuld?"
Männerrechtler: "Was kein Grund ist, das Ganze nicht zum Thema zu machen."

Feministin: "Männer sind wehleidig! Wenn sie wie wir die Schmerzen beim Kinderkriegen aushalten müssten – oh je!"
Männerrechtler: "Dies ist eine selektive Wahrnehmung. Weil man es von Männern weniger gewohnt ist, dass sie 'jammern', nimmt unser Gehirn die Fälle, in denen sie es tun, mit wesentlich größerer Intensität auf. Und so entsteht dann im Kopf das Klischeebild vom besonders stark 'jammernden' Mann.
Es gibt auch empirische Studien, aus denen hervorgeht, dass die Angst vorm Zahnarzt, die so genannte Dentalphobie, bei beiden Geschlechtern annähernd gleich verteilt ist.
Und was die Sache mit dem Kinderkriegen betrifft: Das ist einfach schon einmal von Haus aus Unsinn, weil es die Natur nun einmal so eingerichtet hat, dass nur Frauen Kinder kriegen.
Außerdem schüttet der weibliche Körper bei der Schwangerschaft Oxytocin aus. Das ist ein Hormon, welches dafür sorgt, dass die Geburtsschmerzen etwas erträglicher werden. Das ist also ungefähr dasselbe, als würde sich ein Mann irgendeine Schmerz ausschaltende Droge einwerfen, Speed etwa. Danach könnte er auch barfuss über glühende Kohlen wandeln und spürte nichts."

Feministin: "Frauen können alles besser!"
Männerrechtler: "Wenn dem so ist, warum brauchen sie dann überall Hilfen und Förderungen wie ansonsten schwer behinderte Menschen?"

Feministin: "Männer sprechen nicht über ihre Gefühle."
Männerrechtler: "Warum sollen sie das tun? Welchen Nutzen soll das haben?
Außerdem gehören Gefühle zum Intimsten eines Menschen. Es ist daher unstatthaft, wenn darin mit Stasi-Methoden 'herumgeschnüffelt' wird. Es ist schlichtweg rücksichtslos und unhöflich."

Feministin: "Die heutigen Männer sind alle keine richtigen Männer mehr!"
Männerrechtler: "Und die heutigen Frauen haben anscheinend zu wenig zu tun, dass sie sich ausgiebig mit solch einem an den Haaren herbeigezogenen Unsinn befassen!"

Feministin: "Alle Männer sind Schweine!"
Männerrechtler: "Dann müssen ihre Mütter aber Säue gewesen sein."

Standard: "In welchen Bereichen gibt es eine Diskriminierung von Männern?"
Heinisch-Hosek: "In Fußballstadien und Discos gab's das immer wieder, wenn es um den Preis für die Karten geht. Das fällt mir ad hoc ein. ..."
Gabriele Heinisch-Hosek, österreichische Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst, in "Der Standard", 6. März 2011, ebenso in der ORF-Pressestunde vom 6. März 2011.
Zitiert nach: http://www.wien-konkret.at/soziales/maennerdiskriminierung/fussball-tickets/, Abruf vom 7. Oktober 2014.

Ende der Buchbesprechung.

Gründe, weshalb ich mich auf diesem Gebiet politisch zu engagieren begann, hatten sich im Laufe von Jahren wahrscheinlich Tausende angesammelt. Einige davon waren jedoch hauptausschlaggebend – in zeitlicher Reihenfolge:

Wie ich inzwischen erfahren hatte, waren es zum übergroßen Teil Jungen, die in der Bundesrepublik Deutschland in Hauptschulen strandeten. Es brauchte nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass da sehr viel an Potenzial ungenutzt verkümmerte.

Magda – durch feministische Fanatikerinnen in den Tod getrieben.

Carmen – durch feministische Fanatikerinnen in den Tod getrieben.

Lisas Infektion, ausgelöst durch den feministischen Selbstfindungs-Spleen ihrer Mutter.

Ich wäre ein Dreckskerl, wenn ich nach diesen drei Todesfällen meinen Alltag ganz normal weitergelebt hätte, als ob nichts gewesen wäre. Diese Tode wären vollkommen sinnlos gewesen, wenn ich nicht zumindest versucht hätte, daraus ein Fanal gegen herrschende gesellschaftliche Missstände zu machen.
Allein schon daran sah man, dass nicht Frauenhass meine Motivation war, auf diesem Gebiet politisch aktiv zu werden, auch wenn das immer die erste rhetorische Keule war, die gegen mich in Stellung gebracht wurde, sobald das Thema zur Sprache kam.

Und zum Schluss noch ein etwas persönlicherer Grund: Nach vielen Jahren tagtäglicher Erfahrung damit   K O T Z T E   E S   M I C H   I N Z W I S C H E N   N U R   N O C H   AN, wie versucht wurde, im Namen des Feminismus Männer flächendeckend zu quatschigen, gefühlvollen Weicheiern umzuerziehen. Rechtsstaatliche Standards, mehr noch, primitivste Formen des respektvollen Umgangs miteinander schien der Feminismus außer Kraft gesetzt zu haben. Ziel schien die Errichtung eines allumfassenden feministischen Polizeistaates zu sein, in dem jede Form von Privatheit abgeschafft war. Es kotzte mich an.


3. 12. Politischer Terror!


Frühjahr 2011. Ich saß im Garten des Schweizerhauses und trank ein Bier. Es war ein schon recht warmer Frühlingstag.
Als ich mir im WC-Raum vor den Spiegeln die Hände wusch, tauchte plötzlich ein Mann hinter mir auf. Mit hektischer, gehetzter Stimme raunte er mir zu: "Ich muss Sie unbedingt sprechen! Es ist sehr wichtig! Es geht um Ihre Zukunft! Kommen Sie morgen 16:00 Uhr zur Straßenbahnstation Burgring!"
Ehe ich richtig erfasst und verarbeitet hatte, was da eigentlich gerade geschehen war, hatte sich der Unbekannte auch schon wieder in Luft aufgelöst.
Als ich wieder an meinem Tisch im Freien saß, entdeckte ich ihn wieder. Er stand mit mehreren Bundespolitikern am Eingang zum Gasthausgebäude zusammen. War er ein verrückter Wichtigtuer? Ich wusste es nicht.

Am Tag nach der geheimnisvollen Verabredung fand ich mich zum vereinbarten Zeitpunkt am vereinbarten Ort ein. Ich war sogar etwas eher da.
Erschienen war außer mir natürlich niemand. Ich brachte mehr als eine halbe Stunde dort zu; niemand kam oder übermittelte mir zumindest eine Nachricht.
Schließlich wurde mir die Sache zu dumm und ich bestieg die Straßenbahn, um wieder heimzufahren.
Ich saß relativ allein in der alten, quietschenden Straßenbahn vom Typ E1 und schalt mich in Gedanken selbst einen Idioten, dass ich einem verrückten Spinner auf den Leim gegangen war, als mich plötzlich jemand von hinten leise ansprach.
Meine geheimnisvolle Verabredung. Er machte nicht viel Federlesen und kam gleich zur Sache. Er wolle mich warnen, teilte er mir mit, und klang dabei ernstlich besorgt. Mein Buch habe in gewissen politischen Kreisen für einigen Wirbel gesorgt. Und darum rüste man jetzt zum Gegenangriff. Man würde jeden meiner Schritte von nun an genau verfolgen. Er bat mich, und es klang schon fast verzweifelt, jetzt nicht noch durch irgendwelche unbedachten Taten oder Äußerungen Öl ins Feuer zu gießen und denen noch etwas in die Hand geben, das sie im Ernstfall gegen mich verwenden können.

Es musste eine geraume Zeit vergehen, ehe mich plötzlich eine Erkenntnis wie ein Blitz durchfuhr: Wir waren uns schon einmal begegnet! Damals, 1996, als wir mit der Klasse auf der GEWINN-Messe in Wien waren. Der geheimnisvolle unbekannte Mann, der mich angesprochen hatte!
Doch in welchem Verhältnis stand er zu mir?
Jedenfalls beschloss ich, ihn für mich selbst fortan "den Hofrat" zu nennen, da mich seine Erscheinung und sein Auftreten an verschiedene Hofratscharaktere in alten österreichischen Spielfilmen erinnerten.

Bei unseren kommenden Treffen klangen seine Prognosen immer düsterer. "Die nächsten Wochen könnten kritisch werden", sagte er unter anderem wörtlich.
Die Warnungen meines unbekannten Gönners waren eher noch eine grobe Verharmlosung. Es sollte nun ein politischer Terror gegen mich beginnen, der sich fast nicht in Worte fassen ließ; ich hätte ausnahmslos jeden für verrückt erklärt, der mir in meiner Jugendzeit prophezeit hätte, dass ich später einmal so etwas erleben werde. Was sich in den nun folgenden Wochen und Monaten abspielte, nahm sich aus wie eine Mischung aus "Dr. Kimble auf der Flucht", "The Prisoner" und "Nowhere Man – Ohne Identität".

Die österreichische Bundesfrauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und die Tageszeitung "Kurier" erklärten mich unisono zum derzeit gefährlichsten Terroristen Österreichs. Die Frau Heinisch-Hosek hatte damals im Schloss Laudon am Stadtrand von Wien eine Konferenz abgehalten, auf der Maßnahmen gegen die immer stärker werdende Männerrechtsbewegung beraten wurden. Auf ihrer Eröffnungsrede als Gastgeberin des Ganzen teilte sie mit, die Veranstaltung müsse von einer ganzen Hundertschaft Polizei beschützt werden müssen, weil ich sonst mit meiner Privatarmee von Männerrechtlern angerückt gekommen wäre. Es existiert ein Video von dieser Rede; es war lange Zeit im Internet aufrufbar. Verrückt, einfach nur verrückt.
Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Polizei doch erst einmal die tatsächliche Bedrohungslage checkt, bevor sie das ganz große Besteck rausholt. Das kennt man doch inzwischen aus hunderttausend Krimis, dass bei jedem größeren Einsatz die Kosten gerechtfertigt werden müssen! Dann käme heraus, dass ich in keiner Datenbank zu finden bin, dass ich bisher weder normal strafrechtlich noch politisch extremistisch in Erscheinung getreten bin. Oder wie es in Krimis immer so schön heißt: Nicht einmal ein unbezahlter Strafzettel.
Aber trotzdem hat Frau Heinisch-Hosek ihre Polizeihundertschaft bekommen, damit nicht der böse Christoph auftaucht und mit einer Erbsenschleuder eine Fensterscheibe einschießt. Demzufolge müssen doch entweder sie oder jemand aus ihrem Umfeld der Polizei die wüstesten Horrorgeschichten über mich aufgetischt haben. Und da frage ich mich: Wieso tun die das? Wieso bauschen die mich künstlich zu einem terroristischen Phantom auf? Brauchen die irgendein zusammenschweißendes Feindbild mit starker Symbolwirkung, damit sie hinterher umso brutaler zuschlagen können? Bin ich für die eine Art Marinus van der Lubbe, ein Herschel Grynszpan, ein Lee Harvey Oswald?
Objektiv könnten sie mir doch viel mehr Schaden zufügen, indem sie mich einfach totschweigen. Darauf spekulieren, dass ich mangels öffentlichen Echos die Männerrechtlerei irgendwann einfach einmal frustriert hinschmeiße. Aber nein, sie bauen mich zu einem regelrechten Mythos auf!
Man hatte mich über Nacht auf eine Stufe mit Carlos, dem Schakal, Abu Nidal und Gottfried Küssel gehoben!

Eigenartig auch, wie die Pressesprecherin Heinisch-Hoseks in besagtem Interview mit dem "Kurier" mitteilte, man versuche gegenwärtig, die Lage nicht noch weiter eskalieren zu lassen. 1
Neville Chamberlain reist nach München, um Adolf Hitler zu besänftigen! Als hätte ich mit den Terrortruppen des Maskulistischen Staates bereits halb Österreich überrannt und würde nun von Schwechat und Korneuburg aus zum Sturm auf Wien ansetzen! Als wäre es nur noch eine Frage von ein paar Wochen, bis General Ludendorff und ich mit gezückten Pistolen die Treppen von ihrem Frauenministeriums-Palais hoch rennen und sie festsetzen.
VERRÜCKT! Das ist verrückt!
Aus dem Artikel ging außerdem noch hervor, dass der "Kurier" bei der Österreichischen Männerpartei nachgegrast habe, ob sie hinter dieser "geplanten Aktion" stehe. Man gab zur Auskunft, dass sie nichts damit zu tun habe. Irre! Das ist so abgefahren, als ob Hitchcocks Dritter Mann es mit Emmanuel Goldstein treiben würde und Jason Bourne dadurch zur Welt käme! Auf den Fox Mulder als Nanny aufpasst!
Und bei all diesen   n a c h p r ü f b a r e n   Fakten soll mir noch einmal jemand sagen, ICH würde unter Verfolgungswahn leiden!
Was ich ebenfalls nicht verstehe: Einerseits lese ich im "Kurier", wegen mir hätte die ganze Veranstaltung unter schwerstem Polizeischutz gestanden. Warum habe ich dann keine offizielle Vorladung zur Polizei erhalten, damit ich ich mich zu dem Sachverhalt äußern kann?
Die ganze Geschichte ist von vorne bis hinten undurchsichtig!

Auch die Sache mit dem Plakat, auf dem die Frau Ministerin in Nazi-Uniform dargestellt wurde – das war nicht ich. Ich habe mich zwar irgendwie geehrt gefühlt, dass man mir so eine hammerharte Aktion zutraut, aber da will ich mich überhaupt nicht mit fremden Federn schmücken, auch wenn das leicht verdientes Geld für einen selbst gestrickten Mythos um meine Person wäre.
Nein, ich hätte etwas Anderes gemacht. In einer Version hätte ich die Frau Ministerin zur Borg-Königin von "Raumschiff Enterprise" gemacht. Sie bildfüllend in der Bildmitte. Rings um sie herum lauter roboterhafte, im Gleichschritt marschierende Männer, die zu Conchita Würsten assimiliert wurden. Als Titel: "Wir sind die Borginnen und Borg! Sie werden assimiliert! Widerständinnen und Widerstände sind zwecklos!"
Und in der zweiten Version hätte ich sie in eine sexy Lack-und-Leder-Nazi-Kluft im Stil der Siebziger-Jahre-Nazi-Pornofilme gesteckt. Hier mit dem Titel: "Gabi, She Wolf of the Gender Terror".
Oder ich hätte sie in den Lack-und-Leder-Body einer Domina gesteckt und ihr eine Peitsche in die Hand gegeben. Überschrift: "Die Geschichte der G.".

Noch etwas war in diesem Zusammenhang sehr irritierend.
Im Jahr 2014 gab es einen Internet-Shitstorm gegen Heinisch-Hosek. Der Auslöser war der, dass seit 2011 eine Textzeile der österreichischen Bundeshymne offiziell "Heimat großer Töchter und Söhne" lautete. Der österreichische Volksmusik-Rock'n-Roll'er Andreas Gaballier sang beim Grand Prix von Österreich im steirischen Spielberg jedoch demonstrativ die historische Version der Hymne.
Heinisch-Hosek ließ daraufhin einen Youtube-Video-Clip von sich produzieren, in dem sie ein Schild nach dem anderen in die Kamera hielt, auf welchen die ihrer Meinung nach richtige moderne Version des Textes zu lesen stand. Vermutlich kam da ihre berufliche Vergangenheit als Lehrerin bei ihr durch.
In nicht einmal 24 Stunden hatte sich im Kommentarbereich unter dem Video eine Debatte mit über 14.000 Meinungen entsponnen, viele mit sexistischen Bemerkungen und Beleidigungen. Die krassesten Sachen seien Morddrohungen gewesen.
Okay, dieser Ausbruch war weit überzogen. Ich selbst hatte für mich die Aktion der Ministerin amüsiert unter der Rubrik Jeder-macht-sich-so-gut-lächerlich-wie-er-kann abgelegt.
Aber worauf ich hinaus wollte: 14.000 Statements, ich wiederhole, 14.000 (!), überwiegender Teil davon Angriffe, sind im Internet scheinbar nichts so Ungewöhnliches bei einer Person in ihrer Funktion. Wie gesagt: 14.000! Und da veranstaltete sie wegen eines harmlosen PDF-Dokumentes, das ich im Internet hochgeladen hatte, einen solchen Zinnober, dass ich der gegenwärtig gefährlichste Terrorist Österreichs bin und plane, mit einem ganzen Freischärler-Kommando Männerrechtler ihre Veranstaltungen auseinanderzunehmen? DA STIMMT DOCH ETWAS VORNE UND HINTEN NICHT!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! HABEN DIE SOVIEL ANGST VOR MEINER POLITISCHEN AUFKLÄRUNGSARBEIT??????????????

Es war nicht das erste Mal, dass man mir von feministischer Seite her sehr viel mehr Macht und Einfluss in der Männerrechtsbewegung zuschrieb, als ich tatsächlich innehatte. Der deutsche Soziologe Robert Claus von der SPD-nahen Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung etwa stellte in seiner Studie über die Männerrechtsbewegung "Maskulismus Antifeminismus zwischen vermeintlicher Salonfähigkeit und unverhohlenem Frauenhass" ganz private Aussagen von mir zu diesen und jenen Themen als hochoffizielle "Presseerklärungen" der Männerbewegung dar. Man kann sich dieses Schundwerk aus dem Internet herunterladen und dort über die Suchbegrifffunktion meinen Nicknamen "Kurti" eingeben. Wie gesagt: Einige ganz private Gedanken, die ich mal im WGVDL-Forum hinterlassen hatte, sind dort vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen in einer Weise wiedergegeben worden, die den Eindruck erweckten, als wäre ich der Chefideologe einer europaweiten faschistoiden Untergrundbewegung. So eine Art männerrechtlerischer Alfred Rosenberg.
Es ehrte mich zwar irgendwie, für einen dementsprechenden "Gröfaz" gehalten zu werden. Nachdem einem in der Bundesrepublik Deutschland als Hauptschulabsolvent pauschal der Intelligenzquotient von Quietschpappe zugeschrieben wird, tat ab und zu das Gegenteil mal ganz gut; da war der Ruf als dämonischer James-Bond-Schurke, der einen ganzen europäischen Kleinstaat in Geiselhaft nimmt, der Ruf als Curd Jürgens für Arme, schon ein wesentlicher sozialer Aufstieg. Dennoch war das aber sehr weit von der Realität entfernt. Sehr weit!

Wenn ich all diese Dinge las, dann hatte ich absolut nicht das Gefühl, dass da von Christoph Altrogge die Rede war, sondern dass ich einen Bericht aus einem Geschichtsbuch vor mir hatte, der von irgendeinem politischen Hasardeur handelte, welcher kurz davor stand, sich in einem instabilen Staat an die Macht zu putschen! Mit all dem konnte doch nicht ICH gemeint sein!
Ich erinnerte mich an die Kunstfigur des genial-größenwahnsinnigen Offiziers und kriminellen Geschäftsmannes Elkanah Bent aus "Fackeln im Sturm", der gegen Ende der Handlung die amerikanische Südstaatenregierung stürzen und sich selbst zum Diktator ausrufen wollte. So kam mir das eher vor! Aber MIT MIR hatte das doch nichts zu tun!
Oder um es mit einer Anspielung auf den Film "Das Leben des Brian" auszudrücken: Die Feministinnen stellen mich als die RAF dar. In Wahrheit bin ich jedoch die Maskulistische Volksfront!
Obwohl, wenn ich mir die derzeitige politische Lage im Lande mit Alexander van der Bellen als Bundespräsident so ansah … Ein greiser Staatspräsident, der den Laden nicht mehr wirklich im Griff hatte, auf der einen Seite, auf der anderen Seite ein junger politischer Emporkömmling, der mit seinen brutalen Schlägerhorden die Grundfeste der Demokratie erschüttert – Freunde, erinnert uns das an etwas? ERINNERT UNS DAS AN ETWAS??? *Lachendes Emoticon.*

Damit wir uns richtig verstehen: Auch ich würde normalerweise jeden für Balla Balla halten, der von sich selbst behauptet: Die Regierung ist hinter mir her!
Aber wenn dann tatsächlich auf Youtube ein Video auftaucht, auf dem eine österreichische Bundesministerin einige äußerst merkwürdige Dinge über dich behauptet, wenn dich eine der größten österreichischen Tageszeitungen ebenfalls als Terroristen hinstellt, dann verschiebt das deine altgewohnten Parameter von Realität etwas …

Wieso liefen die alle wie ein aufgescheuchter Hühnerschwarm durch die Gegend? Im Gegensatz zu deren "Säulenheiliger" Valerie Solanas hatte ich kein Buch mit dem Titel "Manifest zur Vernichtung der Frauen" geschrieben. Da war ich im Vergleich dazu mit meiner Kernaussage, dass man aufmüpfigen Frauen ab und zu mal den Arsch versohlen muss, um sie wieder einzunorden, doch wesentlich moderater geblieben!

Es gab Zwangspsychiatrierungsversuche gegen mich. Ich wurde zum Bundessozialamt beordert, wo ich einen so genannten "Idiotentest" absolvieren musste und man mir nach einer Viertelstunde eine vollkommen absurde Phantasiediagnose verpasste. Danach bestellte man mich zu einer arbeitsmarktpolitischen Einrichtung in Wien, die sich um aus gesundheitlichen Gründen kaum noch vermittelbare Arbeitnehmer kümmerte. Dort setzte man mir richtig die Pistole auf die Brust. Mit frei erfundenen Anschuldigungen (Wieder mal der Klassiker: Kinderpornografie.) versuchte man auf erpresserischste Weise, dass ich "freiwillig" meine Unterschrift zu einer langwierigen psychotherapeutischen Behandlung leistete. Scheinbar arbeitete man gezielt darauf hin, mich für Jahre in irgendeiner psychiatrischen Einrichtung verschwinden zu lassen. Meine Reputation, meine ganze Existenz, sollten zerstört werden. Schließlich legte man mich mit dem wahrscheinlich ältesten Trick der Welt rein: dem mit der doppelten Unterschrift. Man gab meinen Protesten, dass ich nichts von dem, zu dem man mich zwingen wollte, machen werde, zum Schein klein bei. Beim Abschlussgespräch in dieser Einrichtung legte man mir dann ein harmlos wirkendes Formular vor, in dem ich den Inhalt und die Ergebnisse der Gespräche bestätigen solle. Da der Bogen Papier nichts Verfängliches enthielt, unterschrieb ich ohne zu zögern.
Unter dem Blatt lugte ein zweites Blatt hervor. Man brauche das für die Verwaltung in zweifacher Ausfertigung, wie man mir erklärte. Auch hier setzte ich meinen Namen darunter.
Hinterher dachte ich, mich trifft der Blitz!
Mir fiel die Kinnlade nach unten! Ich hätte mich ohrfeigen können! Ich Idiot! Ich gottverdammter, dämlicher, bescheuerter Idiot! Ich verstieß doch wirklich gegen sämtliche EU-Verordnungen in Sachen Dämlichkeit! Ich war auf einen Trick hereingefallen, den ich schon als Kind aus meinen Abenteuerbüchern kannte.
Ich hatte mich mit dieser zweiten Unterschrift "freiwillig" zu einer externen psychiatrischen Behandlung bereiterklärt.
Sie hatten die Sache sauber eingefädelt, etwas Anderes ließ sich dazu nicht sagen. Sie hatten mich so gründlich schachmatt gesetzt, dass jeglicher Verteidigung von vornherein aller Wind aus den Segeln genommen war. Ginge ich vor Gericht und würde behaupten, eine politfeministische Verschwörung auf höchster Ebene hatte mir die schriftliche Einverständniserklärung zu der psychiatrischen Behandlung untergejubelt – einen schöneren Beweis für die Richtigkeit dieser Maßnahme könnte ich gar nicht liefern. Die würden mich noch im Gerichtssaal in Zwangsjacke abführen lassen.
Der Hofrat haute mich aus der Sache schließlich raus.

Paradox: Immer, wenn ich etwas wirklich Verrücktes und Idiotisches anstelle, tut mir keine Sau etwas.

Während seiner Schulzeit in Deutschland erntete ich ein paar Mal einen Lacher mit dem Spruch "Füße hoch! Das ist ein Unterfall!"

Wir lebten ebenfalls noch in Deutschland, da verschickte ich mal eine Luftaufnahmen-Ansichtskarte von unserer Stadt. Über unserem Haus machte ich mit Kugelschreiber ein Kreuz und schrieb dazu auf der Rückseite im Duktus vollster Ernsthaftigkeit: "Das Haus mit dem Kreuz ist unseres. Im Haus daneben wohnen unsere Nachbarn."

Ich entdecke im Internet ein Bild vom Harzvorland und kommentiere das mit den Worten: "Lieber Harzvorland statt Hartz IV."

"Kognito und Flagranti sind Vorstädte von Erkorn."
"?"
"Maria, die Jungfrau aus Erkorn."

Als einmal der Briefkasten leer war, sagte ich: "Post aus Bielefeld – gar nichts."

Während meiner Schulzeit an der Handelsakademie reißzweckte ich einmal anonym und geheim eine Spaß-Petition einer angeblichen "Union sadomasochistischer Schüler" an den offiziellen Aushang unserer Schule. Darin wurde eine einseitige Orientierung liberaler Bildungspolitik vergangener Jahrzehnte beklagt, welche die Interessen sadomasochistisch veranlagter Schüler und Schülerinnen vernachlässigte. Kern des Flugzettels war eine Forderung, einen Passus in das Schulunterrichtsgesetz aufzunehmen, welcher es jedem sadomasochistisch veranlagten Schüler erlaubt, auf Wunsch eine angemessene körperliche Züchtigung durch ein Mitglied des Lehrkörpers seiner Wahl zu erhalten.
In einem Zettel gleich daneben nahm ich unseren unmittelbaren Schulnachbarn, Hauptschuldirektor Rrrrrrrrrrreinhard Grrrrrrrrrrruber, aufs Korn. Er hatte die Marotte, dass er jedes Mal fast ausrastete, wenn jemand über seinen heiligen Rasen vor dem Schulgebäude latschte.
In meinem Aushang erklärte ich daher den Hauptschulrasen offiziell zur Drogenkonsumationszone.
Ein paar Tage danach erfuhr ich, dass meine Züchtigungspetition ein paar Jungen an der Schule inspiriert hatte, ebenfalls Texte mit BDSM-Inhalten zu verfassen und in ihren Klassenräumen aufzuhängen. Beklopptheit besaß an dieser Schule einen sehr fruchtbaren Boden, das hatte ich ziemlich schnell spitz gekriegt. Insofern schien diese Schule auf mich als Schüler nur gewartet zu haben …

An der Handelsakademie wurde uns im Religionsunterricht mal die Frage gestellt, was wir tun würden, wenn wir erfuhren, dass wir nicht mehr lange zu leben haben.
Ich hatte schon damals die Angewohnheit, auf persönliche Fragen, welche ich generell als Grenzverletzung empfinde, prinzipiell nur mit völlig durchgeknallten Psychopathen-Statements zu antworten. Einfach um die Leute, die mich neugierig ausschnüffeln wollen, die Suppe dahingehend zu versalzen, sie dahingehend zu frustrieren, ihnen gezielt das Leben schwer zu machen, dass aus mir nichts rauszubringen ist außer lauter Scheiß, um es mal ganz brachial auszudrücken. Und so sagte ich ohne groß zu zögern: "Alle abknallen, die mich schlecht behandelt haben!"
Das war von mir zu hundert Prozent als sehr schwarzhumoriger Scherz gedacht. Allein schon am Technischen wäre das gescheitert. Ich hatte im ganzen bisherigen Leben ein einziges Mal im Alter von 13 Jahren als Gastmitglied bei der GST auf Ringe geballert. Meine Waffenkenntnisse lagen also irgendwo zwischen Null und Zero. Mit einem Gewehr in der Hand hätte ich mir als Erstes wahrscheinlich in den eigenen Fuß geschossen.
Bald darauf war die Sage von meiner angeblichen Todesliste – welche zu keinem Zeitpunkt existierte – an der Schule herum.

Während der Sportwoche im tschechischen Otrokovice zu Schulzeiten habe ich entlang der Ränder des Tennisplatzes mehrfach auf meinem Tennis-Racket Gitarre spielend Chuck Berrys Duck Walk imitiert.

Unseren Tschechischlehrer Balinek begrüßte ich auf den Gängen der Schule manchmal aus Jux mit "Čest práci, soudruhu!", dem alten tschechoslowakischen Kommunistengruss.

Nach dem Unterricht war ich einmal mit Äns in ein leeres Klassenzimmer gegangen. Dort spielten wir auf mein Drängen hin einen homosexuellen Koitus nach, allerdings mit angezogenen Hosen. Mit mir als aktivem und ihm als passivem Part.
Mit einem Male ging die Tür auf und Balinek kam herein!

In einem Kulturzentrum in Wien habe ich mal zwei junge Inderinnen an ihren langen Seitenzöpfen aneinandergebunden. Sie lachten bloß die ganze Zeit über dazu.

Im Gartenbereich hinter dem Retzer Althof-Hotel blühte Edelgarbe.
In einer Nacht schlich ich mich mit einem Farbtöpfchen Verkehrsrot und einem Pinsel in das öffentlich zugängliche Gelände, um drei der Blüten knallrot anzupinseln, weil ich der Meinung war, dass das mehr Vielfalt reinbrachte.

Der kleine Flur im größeren Schulgebäude, der direkt unter der Terrasse vorm Lehrerzimmer lag, war von der Architektur her ziemlich düster. Manchmal, wenn ich dort zu tun hatte und ich hörte, dass jemand kam, stellte ich mich völlig reglos in eine besonders dunkle Ecke zwischen zwei Eingängen, und gab keinen Ton von mir. Entsprechend groß war das Erschrecken bei dem Ankommenden, dass da plötzlich eine reglose Gestalt im Dunkeln stand und ihn anstarrte!

Ans Finanzamt habe ich mal in voller Absicht genau einen Schilling zu wenig Steuern überwiesen, um zu sehen, was dann passiert. Es geschah nichts.

Während meiner Handelsakademie-Zeit gab ich mal einen Entschuldigungszettel ab, auf welchem wortwörtlich geschrieben stand: "Unwohlsein aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums auf dem Retzer Weinlesefest".

An "Wetten, dass?" sandte ich mal die folgenden drei Wettvorschläge ein:
1.      Wetten, dass ich es schaffe, fünfzig deutsche Volkslieder allein am Titel zu erkennen?
2.      Wetten, dass ich es schaffe, fünfzig deutsche Ortschaften allein an der Beschriftung der Ortstafel zu erkennen?
3.      Wetten, dass ich es schaffe, mich, in einem Personenwaggon erster Klasse sitzend, von einer Diesellokomotive über eine zehn Kilometer lange Schienenstrecke ziehen zu lassen und dabei ein Leberwurstbrot zu essen?

Jahre später hatte ich einmal während eines geistigen Aussetzers eine gleichlautende Mail an sämtliche der fünf im Nationalrat vertretenen Parteien sowie an das Büro des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten geschickt.
Betreff: "Der ABC-Mann hat wieder zugeschlagen!"
Inhalt: Zunächst sämtliche Zeichen auf der Tastatur auf der Ebene der Großbuchstaben.
Darunter nach einem Leerschritt sämtliche Zeichen auf der Ebene der Kleinbuchstaben.
Danach, wieder nach einem Leerschritt, sämtliche Zeichen auf der dritten Ebene.
Abgeschlossen habe ich die Mail mit einer saftigen Drohung: "Und morgen schicke ich das gesamte griechische Alphabet!"
Bis heute habe ich darauf keine Reaktion erhalten. Was bei soviel hirnverbranntem Schwachsinn auch nicht groß verwundert.
Äns lachte sich kaputt, als ich ihm damals von der Aktion erzählte. Diese Reaktion von ihm war so etwas wie das Stiftung-Warentest-Urteil "Sehr gut" in Sachen Psychopathie.

Gehe jedes Jahr am 30. April beim Fackelzug der Sozialistischen Jugend Wien mit. Unterwegs werden jede Menge linksradikaler Parolen gerufen. Als ich im Zug einmal in der Nähe der "Vorbeter" ging, rief ich: "20 Prozent auf alles – außer auf Tiernahrung!" Das fiel nicht einmal auf.

Einmal hatte ich mir ein tip-top Dienstzeugnis von einer angeblichen Wiener Niederlassung der Umbrella Corporation aus den "Resident Evil"-Filmen gefälscht und mich damit bei verschiedenen Firmen als Buchhalter beworben. Ich habe tatsächlich zwei Einladungen zu Bewerbungsgesprächen bekommen! Auf die ich dann allerdings nicht mehr reagierte, da ich den Bogen nicht überspannen wollte.

Ich gebe regelmäßig Wiener Bus- und Straßenbahnfahrern, wenn sie ihr Fahrzeug in der Station verlangsamen, das Autostopper-Signal.

Vor jedem Denkmal, vor dem ich mich fotografieren lasse, nehme ich exakt dieselbe Positur ein wie das Kunstwerk.

Als einmal in einem Supermarkt, in den ich sonst nicht ging, über Lautsprecher eine Durchsage gemacht wurde, starrte ich voller Angst in der Gegend umher. Schließlich fragte ich eine Verkäuferin: "Haben Sie diese Stimmen jetzt auch gehört???"

Am Empfang des ORF-Sendezentrums auf dem Küniglberg bestand ich einmal darauf, in die Sendeanstalt von ORF 2 zu wollen. Ich habe eine Einladung zu einer Show auf ORF 2 und müsse jetzt bitte unbedingt in das Gebäude von ORF 2.

Manchmal, wenn mich jemand mit "Morgen!" grüßt, antworte ich mit "Gestern!"

Als Autist macht es mir großen Spaß, immer wenn ich Apfelmus esse, zu beobachten, wie das Mus bis zum allerallerletzten Tropfen aus dem Glas in das Kompottschälchen läuft.

In einem Fahrstuhl zeigte ich auf die Taste für das Erdgeschoss und fragte, wieso da denn noch EG stehe, wo wir doch schon lange in der EU leben.

Einmal rief ich in einen Passbildautomaten, in dem gerade jemand saß, hinein: "Entschuldigung, ich müsste dann auch mal ganz dringend telefonieren!"

Während eines Backkurses in einer Volkshochschule in der Vorweihnachtszeit legte ich mir auf meinem Arbeitsplatz mal eine Linie aus Mehl und zog sie mir durch die Nase. Danach tat ich für ein paar Sekunden so, als ob ich vollkommen high wäre.

Auf Tierschauen beuge ich mich stets zu Hühnern in ihren Käfigen herunter und "unterhalte" mich mit ihnen, indem ich ihren langgezogenen Gesang imitiere. Die Angesprochenen starren mich dann stets fassungslos entsetzt an und zucken heftig mit dem Kopf. Ein paar nervenstärkere Hennen "antworten" mir sogar in dem gleichen Singsang. Vermutlich gut, dass ich nicht verstanden habe, was sie mir da auf Hühnerisch gesagt haben! Es war wahrscheinlich nicht sehr schmeichelhaft!

In einem Supermarkt wollte mir eine Kostprobenverteilerin mal so ein verrücktes, neumodisches Fruchtsaftgepansche anbieten, wo man sich wirklich nicht sicher sein konnte, was alles drin war. Ich lehnte ab mit der Begründung: "Der Arzt hat mir das Trinken verboten!"

Auf einer Firmenfeier verkündete der Moderator, dass drei Smartphones verlost werden. Ich rief vor allen Anwesenden aus: "Wozu brauche ich denn drei Smartphones? Eines reicht doch!"

Als ich einmal am 1. Mai auf dem Wiener Rathausplatz nach dem offiziellen Ende der Kundgebung mit auf der Tribüne vorm Rathaus war, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, einmal kurz "Achtung, Sprechprobe!" in das noch angeschaltete Mikrophon zu husten.
Ein paar SPÖ-Bundespolitiker in meiner Nähe, unter anderem Faymann und Hundstorfer, guckten irgendwie irritiert, wussten anscheinend nicht, was da noch für ein Programmpunkt folgen sollte.

Kontrolleuren in Bus und Straßenbahn komme ich auf die obligatorische Aufforderung "Den Fahrschein, bitte!" manchmal mit dem Uralt-Gag: "Erlauben Sie mal, mein Herr! Kaufen Sie sich gefälligst selbst einen!"

Ich konnte im Roman öffentlich mein Verknalltsein in Laura Rudas eingestehen – das interessierte keinen! Das interessierte einfach keinen!

In einem Stuhlkreis stellte ich mich schon einmal mit den Worten vor: "Ja, hallo, ich bin der Jehowa, bin 20 Milliarden alt und von Beruf zertifizierter Universumsbauer."

Ich machte noch mit Ende Dreißig im Winterhalbjahr, wenn man schnell in der Dunkelheit abtauchen konnte, an den Neubaublocks im 22. Wiener Gemeindebezirks Klingelstreiche.

Einmal streichelte ich auf einem Straßenfest in Wien-Ottakring einer Schaufensterpuppe zärtlich die Wangen, was ihre Besitzerin sehr amüsierte.

Ich hatte schon ein paar Mal, wenn ich irgendwo schriftlich Angaben zu meiner Person machen musste, als Staatsangehörigkeit das fiktive Kaiserreich Peniscilis auf dem Saturn aus Äns' Science-Fiction-Geschichten genannt. Keinerlei Reaktionen von irgendjemandem. Spätestens bei der Staatsbürgerschaftsangabe Saturn hätte sich doch irgendjemand die Frage stellen sollen, ob mit mir alles stimmt. Nichts.

Ich kam mir fast schon vor wie die Kunstfigur Willi Winzig des deutschen Komödianten Heinz Erhardt, die aus beruflichen Gründen für verrückt erklärt werden wollte, stattdessen jedoch im sozialen Ansehen immer höher stieg.
Wahrscheinlich könnte ich sogar mit einem weiß-orange gestreiften Verkehrskegel auf dem Kopf pudelnackig durch die Straßen rennen und dabei laut schreien: "Die Kommunisten kommen wieder! Die Kommunisten kommen wieder!" Das würde wohl im höchsten Fall als Ordnungswidrigkeit geahndet.
Wenn ich aber ANHAND VON ZITATEN AUS WISSENSCHAFTLICHEN STUDIEN eine Liste erstelle, wo im Alltag Männer alles diskriminiert werden – die Aussagen stammen also nicht einmal von mir, ich habe praktisch bloß abgeschrieben – dann gibt es massivste Zwangspsychiatrierungsversuche gegen mich. Den Unterschied begreife, wer will!

Auch in der Folgezeit gab man nicht auf, mir eins auszuwischen. Kinderpornografisches Material landete in meiner EDV.
Es war gerade die Zeit, in der die österreichische Justiz massivste Kampagnen gegen die bekannten Männerrechtler Herwig. B. und Kurt E. fuhr. Und ganz offensichtlich hatte man auch mich auf dem Schirm. Ein Abwasch.

Auf dem Höhepunkt der Intrigen gegen mich musste ich sogar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Österreich verlassen, weil eine Verhaftung wegen einer angeblichen Vergewaltigung drohte. Der Name meines vermeintlichen Opfers sowie die näheren Umstände der Tat wie Tatort oder Tatzeitpunkt, blieben mir bis zum heutigen Tage unbekannt. Ich wusste nichts über mein Opfer, nichts. Ich wusste nicht, war sie jung – alt, hübsch – hässlich, blond – braun, groß – klein, Inländerin – Ausländerin, oder was sonst noch. "Ficken mit Godot" nannte ich diese Geschichte immer.
Der Hofrat regelte alles, was mit meinem Untertauchen zusammenhing. Ich wurde in verschiedenen Safe Houses untergebracht, die noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammten. Zuerst in Rom, danach in Tunesien, schließlich in Buenos Aires in Argentinien.
Ich war damals so neurotisch, dass ich in jedem meiner Quartiere einen anderen Falschnamen angab. Christoph Altrogge, alias Norbert Röttger, alias Jürgen Esser, alias Professor Siegfried Hauser, alias Dragan Plevic, alias Arameel Chons. Bei den letzten beiden Scheinidentitäten war ich Kroate und Israeli. Ist ja auch irgendwie verständlich, ein solches Verhalten. Du wirst ja schließlich nicht alle Tage als Vergewaltiger durch etliche Länder gejagt. Dabei war ich seit meinem Schlaganfall ein solches gesundheitliches Wrack, dass ich nicht einmal dem Stress eines einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs gewachsen wäre.
Aus Tunesien musste ich auf höchst abenteuerliche Weise flüchten, da zu der Zeit gerade der Arabische Frühling ausgebrochen war und niemand mehr sagen konnte, was der kommende Tag brachte.
Erst in Buenos Aires kam ich zur Ruhe.

Nachdem sich die Lage wieder einigermaßen stabilisiert hatte, kehrte ich nach Österreich zurück.

Eine Journalistin meldete sich bei mir zuhause telefonisch. Sie wolle mich wegen des "Männerhassbuches" interviewen. Ich verstand zwar nicht, für welche Zeitung sie tätig war, wollte jedoch am Telefon nach dreimal nachfragen nicht noch ein viertes Mal dumm fragen.
Ich freute mich. Endlich nahmen mich auch die Mainstream-Medien wahr!
Das Gespräch fand in der Lobby eines Wiener Nobelhotels statt.
Es verlief etwas merkwürdig. Die ganze Dreiviertelstunde lang hatte mir die Frau praktisch keine Fragen gestellt. Lediglich ein paar Opener am Anfang – danach hatte ich eeendlose Monologe gehalten. Zum Schluss war ich bei meiner Schulzeit in Kastanienberg angelangt.
Ich dachte: So katastrophal schlecht vorbereitet bin ich zu meinen Journalisten-Zeiten nicht einmal gewesen, wenn ich die ehrenamtlichen Anger-Blumenbeet-Pfleger eines 200-Seelen-Dorfes interviewt habe. Jeder Kinderreporter vom Kinderfernsehen würde die journalistisch in den Sack stecken!!!
Ich hatte ein ganz merkwürdiges Gefühl, ohne sagen zu können, warum. Rein instinktiv. Rein vom Instinkt her hatte ich ein unruhiges Gefühl im Magen. Und auf meinen Instinkt konnte ich mich bisher fast immer verlassen.
Und es sollte noch merkwürdiger werden. Es war also eine Dreiviertelstunde vergangen, als die Lage plötzlich eine eigenartige Wendung nahm. Die Reporterin verfiel urplötzlich in ein regelrechtes Sharon-Stone-Basic-Instinct-Gehabe. Sie sah mich auf eine Weise lasziv an, die man schon grenzdebil nennen musste. Sie sah einfach nur bescheuert aus, als sie krampfhaft versuchte, einen verführerischen Gesichtsausdruck zu machen, sie sah komplett bescheuert aus. Und schließlich rückte sie mit der Sprache raus. Sie fragte mich ganz unverblümt, ob ich mit ihr aufs Zimmer gehen will.
Ich kam so schnell gar nicht hinterher. Ich war völlig von der Rolle und dachte: Was für eine Show läuft hier denn ab???
Irgendwie hatte ich das Gefühl, als ob das das eigentliche Ziel des Treffens gewesen wäre. Dass sie in Wahrheit mit mir ins Bett wollte und mir vorher bloß notgedrungen ein paar unmotivierte Fragen gestellt hatte. Ich hatte richtig das Gefühl: Jetzt ist die Katze aus dem Sack! Alles Vorherige war bloß Geplänkel.
Aber dann schaltete ich blitzschnell. Ich dachte bloß: Ich bin weder reich noch kann ich Anderen eine Karriere ermöglichen. Warum also sollte dann eine Frau mit mir ins Bett wollen? Weil sie etwas ganz Böses und Hinterhältiges ausheckt!
Die war keine Journalistin. Die war ja nicht in der Lage, eine einzige vernünftige Frage zu stellen! Und dann dieses komische Gestotter am Telefon auf die Frage, für welche Zeitung sie arbeitet. Die handelte im Auftrag von denen! Die hatten mir diese Wiener-Vorstadtkiez-Sharon-Stone aus dem Gemeindebau, diese Femme Fatale für Sozialhilfeempfänger, auf den Hals gehetzt. Die hatten sie bezahlt, dass sie mit mir ins Bett sprang. Um sich hinterher ein wenig selbst die Wäsche zu zerreißen und flugs zur Polizei zu rennen. Heul, heul, heul, das miese Schwein hat mich vergewaltigt!

Kurze Zeit später hatte ich wieder einmal die Leitung eines Computerkurses "gerissen". Es verging nicht allzu viel Zeit, als die Geschichte mit "Weiolätt" begann. Afrikanerin, Jahrgang 1986, also zehn Jahre jünger als ich. Sie kam gemeinsam mit einer neuen Gruppe, die ich zu betreuen hatte.
Sie war ziemlich gutaussehend, was mir gleich am ersten Tag auffiel. Ihre vollmilchschokoladenfarbene Haut, von der es dank ihrer ärmellosen Blusen stets ziemlich viel zu sehen gab, war ein Anblick, von dem man sich nur schwer lösen konnte. Ihr Haar trug sie vollkommen glatt, überhaupt nicht afrikanisch kraus. Wahrscheinlich hatte sie friseurtechnisch irgendetwas machen lassen. Meistens war es zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Fachlich gehörte sie zu jenen Teilnehmern in meinen Kursen, denen man im wahrsten Sinne des Wortes zeigen musste, wo man den Computer einschalten musste. Die Gruppen, die wir Trainer vom AMS vor die Nase gesetzt bekamen, waren ja stets sehr "bunt gemischt". Da gab es teilweise hauptberufliche Informatiker und Programmierer. Die dann bei mir im Kurs "Word und Excel für Anfänger" landeten … Es gab alles Mögliche dazwischen. Und eben auch die absoluten Anfänger.
Jedenfalls gehörte auch sie zu den Teilnehmern, die aufgrund ihrer nicht vorhandenen Vorkenntnisse wesentlich mehr Betreuung brauchten als die anderen. So kamen wir uns im Verlauf der nächsten Wochen näher, natürlich auf einer rein beruflichen Ebene.
Eines Tages fragte sie mich, ob ich ihr auch privat Unterricht geben könnte. Sie hätte da eine Teilzeitstelle in einem Büro in Aussicht, wenn sie nur ein klein wenig besser mit Computern Bescheid wüsste.
Allerdings, und da druckste sie herum, könne sie mir nicht viel zahlen.
Ich beruhigte sie erst einmal dahingehend, dass ich meine Preise nach den Kunden gestalte.
Wir vereinbarten Ort und Termin.
Wir hatten einen Zeitpunkt am frühen Nachmittag ausgemacht, 14:00 Uhr. Ich war rechtzeitig losgefahren, da ich den Teil der Stadt, in den ich hinkommen sollte, praktisch gar nicht kannte.
Der Ortsteil stellte sich als ein Einfamilienhausviertel mit Vorgärten heraus. Mindestens der etwas betuchtere Mittelstand schien hier zuhause zu sein.
Nach etwas Sucherei und ein paar Blicken auf den Stadtplan erreichte ich schließlich auch die angegebene Adresse. An der Gartentür suchte ich zunächst vergeblich nach einer Klingel. Ich drückte daher die Klinke der niedrigen, metallenen Gartentür herunter und betrat das Grundstück. Als ich den Vorgarten durchquerte, dachte ich für einen Moment: So etwas kann sich eine Asylantin aus Afrika leisten? Aber danach schob ich den Gedanken schon wieder beiseite.
Ich läutete an.
Kurz darauf öffnete sie.
Irgendetwas war merkwürdig an ihrer Reaktion. Einerseits schien sie sich zu freuen, mich zu sehen. Andererseits war da auch eine gewisse Verunsicherung.
Als wir im Vorzimmer standen, begann sie zu stammeln, dass sie noch etwas vorbereiten müsse, dass ich hier einen Augenblick warten sollte und sie mich dann rufen würde.
Daraufhin verschwand sie durch eine offenstehende Tür geradeaus.
Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte.
Kurz darauf hörte ich dann aus dem Zimmer ihre Stimme: "Du kannst kommen!"
Ich betrat das Zimmer, in das ich gerufen wurde, und dann verschlug es mir die Sprache.
Sie stand splitternackt da!!!!!!!!!! Sie stand vom Kopf bis zu den Fußsohlen splitternackt da!!!!!!!!!!
Ihr Kleid lag zusammengeknüllt auf den Boden geworfen. Sie musste es sich in Windeseile heruntergerissen haben. Offensichtlich hatte sie darunter nichts angehabt, um möglichst schnell nackt zu sein. Auch ihre Schuhe lagen achtlos auf dem Teppich herum.
Sie selbst stand kerzengerade da, in einer soldatischen Habt-Acht-Position. Das Einzige, was sich an ihr bewegte, war ihr Hals. Er bebte wie wahnsinnig. Sie war so aufgeregt, dass sie so heftig atmete, als wäre sie zehn Runden um den Block gelaufen.
Ich hatte das Gefühl, vollkommen in zwei Hälften gespalten zu sein. Einerseits war da ihr Anblick, der sich eigentlich nur noch mit dem Ausdruck Woooooooouw umschreiben ließ. Ihre vollmilchschokoladenfarbene Haut am ganzen Körper. Ihre apfelförmigen Brüste. Ihr pechschwarzes, geometrisch exaktes Dreieck. Ihre sportlich durchtrainierten Beine.
Und auf der anderen Seite war diese Panik, diese nicht in menschliche Worte zu fassende Panik, jetzt unentrinnbar in der Falle zu sitzen. Dass jetzt der Fall Klappe-zu-Affe-tot eingetreten war. In meinem Kopf herrschte nur noch der omnipräsente Satz: Das war's jetzt! Ich rechnete fest damit, dass sie jeden Augenblick ohrenbetäubend schrill zu schreien beginnen würde und – gaaaaanz zufällig – aus einem Nachbarzimmer ein paar Kavaliere herbeieilen würden, um mich von meinem schändlichen Tun abzuhalten.
Im Genick gepackt von einer verdammten Scheißangst, bald die Oberschwuchtel im Knast zu sein, brüllte ich los: "ICH HABE LANGSAM DIE SCHNAUZE VOLL VON SOLCHEN SPÄSSEN!!! DU SAGST MIR JETZT SOFORT, FÜR WEN DU ARBEITEST, ODER ICH SCHLAGE DICH ZUSAMMEN!!!!!"
Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich im Leben das letzte Mal eine solche Scheißangst gehabt hatte wie jetzt. Nicht einmal vor der Volkspolizei hatte ich mich so sehr gefürchtet, als ich mich damals mit 13 Jahren gemeinsam mit Katharina auf die Demonstration geschlichen hatte. Als wir uns in dem Hof versteckten und uns vor Angst so eng aneinanderkauerten, dass man uns mit einer Brechstange nicht hätte trennen können und wir nicht einmal zu atmen wagten.
In dem Augenblick begann sie zu schluchzen. Schluchzend rutschte sie zusammen. Auf ihren Knien blieb sie schließlich neben dem Sofa hocken, bei dem sie stand. An der Kante hielt sie sich mit ihren Händen fest und legte ihren Kopf auf ihre Hände. In dieser Position schluchzte sie nur noch.
Schließlich begann sie unter Tränen zu sprechen. "Es waren Männer von irgendeinem …", sie zögerte kurz, "Office". Offenbar kannte sie das deutsche Wort Behörde nicht. Dafür kannte ich Behörden inzwischen aber umso intensiver. "Sie haben mir Geld gegeben und mir versprochen, mir bei meiner Aufenthaltsgenehmigung zu helfen, wenn ich mit dir schlafe", erzählte sie mir mit tränenerstickter Stimme in ihrem afrikanischen Akzent. "Dann haben sie dafür gesorgt, dass ich in deinen Kurs komme." Danach wandte sie wieder ihren Kopf von mir ab, legte ihr Gesicht auf ihre Hände, mit denen sie sich an der Sofakante festhielt, und verfiel wieder in ein nicht enden wollendes Schluchzen.
Das war nicht geschauspielert, das sah man. Es war echt. Sie war mit den Nerven völlig fertig, sie war am Ende.

In der Woche darauf trank ich am Abend noch ein Bier in einer Kneipe im Zehnten Bezirk.
Draußen war es schon dunkel, als ich plötzlich einen Teilnehmer aus meinem Kurs hereinkommen sah. Der drahtige, kleine Mann um die Fünfzig steuerte auch gleich auf mich zu.
"Hallo, Josef!" begrüßte ich ihn. Im Kurs sprachen wir uns mit Vornamen und Sie an.
Er druckste zunächst etwas herum, als er mir schließlich etwas mitteilte, das mich einige Jahre zuvor noch an meinem Verstand hätte zweifeln lassen. Inzwischen überraschte mich jedoch fast nichts mehr. "Ich komme von dem Mann, den wir beide kennen", teilte er mir zögernd mit. Im Anschluss erfuhr ich von ihm, dass er Geld dafür bekommen habe, nach der angeblichen Vergewaltigung von "Weiolätt" vor Gericht gegen mich auszusagen, dass ich sie im Kurs schon die ganze Zeit über bedrängt hätte. Um meinen Ruf in der Verhandlung vollkommen zu zerstören. "Unser beider Bekannter hat mich jedoch überzeugt, von der Sache abzusehen." Damit entfernte er sich wieder von mir, etwas unsicher zurückblickend. Gleich darauf war er verschwunden.
Die "überzeugenden Argumente" dürften wohl einfarbig gestaltete Sammelbilder mit Darstellungen europäischer Baugeschichtsepochen gewesen sein, dachte ich. Denn dass so ein schmieriger, kleiner, käuflicher Verräter plötzlich sein Gewissen entdeckte, ist eher unwahrscheinlich.
Ich konnte nur spekulieren, was hinter den Kulissen geschehen war. Wahrscheinlich hatte der "Hofrat" im Zusammenhang mit der Intrige nur von Josef erfahren. Und ihn aus dem gegnerischen Lager für unser Team weggekauft. Von der Identität "Weiolätts" wusste er entweder gar nichts oder er erfuhr es zu spät, um noch einschreiten zu können. So könnte es abgelaufen sein.
Auch Josef erschien ab dem nächsten Tag nicht mehr im Kurs.
Aber noch mehr beschäftigte mich eine Frage: Wieso fühlte sich der "Hofrat" immer wieder bemüßigt, den Dreck hinter mir wegzuräumen?

In der Zukunft wurde dann noch ein paar Mal mein Webspace-Accout gehackt, um dort Schmuddelbilder von, nun ja, nennen wir es einmal "sehr ausgefallenen" erotischen Vorlieben zu hinterlegen.
Es waren zwei Sorten von Bildern. Die einen zeigten nackte, kleine Mädchen am FKK-Strand. Da musste irgendjemand fleißig alte FKK-Zeitschriften eingescannt haben.
Ich sah bereits den Polizei-Ermittler süffisant grinsen: "Ja, natüüürlich haben Sie keine Ahnung, wie die Bilder da hingekommen sein können. Hat wahrscheinlich der Weihnachtsmann gebracht!"
Die zweite Sorte gehörte zu einer sexuellen Randgruppen-Orientierung, welche sich Dolcett nannte. Auf ihnen war zu sehen, wie Frauen in Fleischereien geschlachtet und zu Wurst- und Fleischspezialitäten verarbeitet wurden. Ich wusste nicht, ob ich die Bilder abstoßend oder unfreiwillig komisch finden sollte.
Auf jeden Fall war man krampfhaft bemüht, mich als vermeintlichen Sammler solcher Bildchen als abnormen Geisteskranken hinzustellen.
Ich vermutete, dass die irgendeinen Spionage-Trojaner bei mir platziert hatten, der fleißig alle meine Aktivitäten am Computer mitprotokollierte. So hatten sie auch im Nullkommanichts alle meine Passwörter rausbekommen. So etwas war technisch mittlerweile kein großer Akt mehr. Denn dass bei meinem nächsten Provider   g l e i c h   w i e d e r   solche Bildchen zu finden waren, war doch sehr auffallend. Ich wusste nicht, ob das Einschüchterungsversuche oder Beweismittelplatzierungen waren.

Menschen treten in dein Leben, begleiten dich eine Weile, und verschwinden wieder, als wären sie nur eine Fata Morgana gewesen.
Aber wenn sie dann nach sehr langer Zeit plötzlich wieder auftauchen, dann ist das eine ganz eigenartige Situation.
Baumeister suchte wieder Kontakt zu mir. Wir trafen uns im Café Schwarzenberg in Wien.
Ich wusste nicht, warum ich mich mit jemandem verabredete, der meine Klassenkameradin Carola zu seinem ganz persönlichen Vergnügen von seiner Gang vergewaltigen ließ und mich selbst um ein Haar getötet hatte. Der naheliegende Grund war natürlich, zu erfahren, was er von mir wollte.
Aber da gab es noch etwas Anderes. Da war diese geheime Anziehungskraft, diese Faszination des Bösen, die von ihm ausging. Wenn ich ehrlich war, dann hatte ich all die Grausamkeiten, die er in Praxis und Tat ohne jede moralische Grenze auslebte, in meinem Kopf wahrscheinlich schon Tausende Male gegen die Menschen umgesetzt, die mich jemals als Hauptschüler diskriminiert hatten. Irgendwie war er etwas, was ich nie sein konnte.
Wieder erlebte ich eine der erstaunlichen Wandlungen des Jens Baumeister. Aus dem Anführer einer Schulhofschläger-Gang war über die Zwischenstufe eines den ganzen Landstrich terrorisierenden Motorrad-Rockers ein eloquenter, aalglatter Businessmann geworden.
Unter seinem abnormen Vater, der ihn als Kind oft auf sadistische Weise quälte und misshandelte, hatte er es gelernt, sich jeder Situation sofort anzupassen, um selbst zu überleben. Dabei ging mittlerweile auch er über Leichen.
Bei der Frage nach seinem genauen beruflichen Aufgabenfeld gab er sich vage. "Sicherheitsbeauftragter", war aus ihm bloß herauszubekommen. Was immer das bei einem Immobilienkonzern auch konkret bedeuten mochte. Auf jeden Fall entbehrte es bei seiner kriminellen Vergangenheit nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik; der sprichwörtliche Bock als Gärtner war im Vergleich dazu eine ausgebildete Fachkraft für Naturschutz und Landschaftspflege.
Auch als ich mich nach Gornwald erkundigte, blieb er einsilbig und blinzelte unsicher. "Dem geht es gut", kam es kurz und abgehackt. Dafür, dass es sich um einen Mann handelte, den wir beide gut kannten, war dieses Verhalten merkwürdig. Ich wusste nicht, ob das etwas zu bedeuten hatte.
Während des Gespräches ließ er andeutungsweise durchblicken, dass das Geschäftsmodell seiner Firma auf den nach der Wende verschwundenen SED- und Stasi-Millionen fuße.
Der Überfall fast 15 Jahre zuvor schien bei ihm in Vergessenheit geraten zu sein, er machte mit mir auf Best Buddy. Er hatte von meinen Schwierigkeiten gehört, die ich nach der Veröffentlichung meines "Männerhassbuches" mit einigen politischen Kreisen in Österreich hatte. Daher bot er mir den Schutz seiner Organisation an, wenn ich kurzfristig als Geschäftsführer einer ihr gehörenden Firma hier in Wien einspringe. Mein Vorgänger war in Ungnade gefallen, nachdem er sich an der Portokasse zu schaffen gemacht hatte. Und bei mir glaubte man wohl, dass man mich über Baumeister gut im Griff habe, daher erschien ich als Idealbesetzung für den Posten.
Mir ging ein Licht auf! Deshalb also hatte ich ihn im zurückliegenden Herbst hier in Wien in einem Auto gesehen! Hatte ich mich also nicht getäuscht!
Viel fehlte damals nicht, und ich hätte meine Seele an den Teufel verkauft. Baumeister hatte mich in einer schwachen Stunde erwischt. Die Wiener Emanzen waren zu dem Zeitpunkt dran und drauf, meine ganze Existenz zu zerstören. Der Schutz einer mächtigen und einflussreichen Mafiaorganisation erschien da mehr als verlockend.
Und schließlich wandte er seinen teuflischsten Taschenspielertrick gegen mich an. Einen, mit dem er einerseits Vertrauen schaffen wollte, um mich für seine Sache zu ködern. Und auf der anderen Seite wollte er mir damit in aller Deutlichkeit klar machen, wer bei diesem Machtspiel die Fäden in der Hand hielt. Zuckerbrot und Peitsche. Er motivierte mich überlegen grinsend, dass ich nicht zögern solle, sein Angebot anzunehmen, schließlich würde ich eine Familientradition fortsetzen.
Dann brachte er Mutters Cousin Siegfried ins Spiel, "Stasi-Siegfried".
Ich erstarrte. Woher wusste er dass? Woher kannte er überhaupt Siegfried?
Wieder einmal dieses Gefühl, dass ein gigantisches Spiel lief, bei dem jeder die Spielregeln kannte, nur ich nicht.
Das Treffen endete ohne konkretes Ergebnis. Seitdem hatte ich zu Baumeister auch keinen Kontakt wieder gehabt.

Ich bat den Hofrat, die Hintergründe der Firma, für die Baumeister mich haben wollte, zu überprüfen. Bei unserem nächsten Treffen, wieder in der Nacht, wieder an einem Ort irgendwo in Wien, erstattete er mir Bericht. Seine Auskünfte waren allerdings eher dazu geeignet, noch mehr Verwirrung zu stiften. Schon in den 1980-er Jahren waren diese Firma, damals noch unter einem anderen Namen, und ihr geschäftliches Umfeld ein sehr dubioses, schwer durchschaubares Geflecht aus mutmaßlichen DDR-Spionen, Wiener Polit-Schickeria und nahöstlicher Terrorfinanzierungsabwicklung gewesen.
Mehrheitseigentümer heute sei eine Investmentfirma mit Sitz in Zürich, die wiederum zahlreiche geschäftliche Verbindungen nach Panama unterhielt. Es drängte sich einem regelrecht der Eindruck auf, dass durch bizarre Firmenkonstrukte verschlüsselt werden sollte, wer für was verantwortlich war.
Gegen Ende unseres Treffens wurde es richtig gruslig. Er warnte mich vor den vermutlich nicht sehr sauberen Absichten Baumeisters.
Nicht, dass er mir damit auch nur im Entferntesten etwas Neues erzählte. Genauso gut hätte er mir sagen können, dass die Donau durch Wien fließt. Es war einfach die Tatsache, dass er es tat, und der ganze Duktus seiner Sprachweise, der mutmaßen ließ, dass er Baumeister ebenfalls gut kannte.
Der Hofrat – er war und blieb das große X in der Gleichung, das über allem schwebende Fragezeichen in dieser seit mittlerweile 35 Jahren laufenden Geschichte. Erstellte man ein Organigramm, wie man es in Krimis immer sieht, um die komplexen Beziehungen zwischen Verdächtigen einer Straftat grafisch sichtbar zu machen – von ihm aus würde kein Strich zu auch nur einer einzigen weiteren beteiligten Person führen. Er war ein Rätsel, ein Mysterium.

Akam tauchte wieder auf, nachdem wir uns knapp fünf Jahre nicht mehr gesehen hatten.
Mir fielen bald die Augen raus, was für eine Kreatur mir da entgegen kam! Er war zu einem Islamisten geworden!
Er schien wirklich bedacht zu sein, kein einziges Klischee in Bezug auf diese Menschen auszulassen. Auf dem Kopf trug er ein typisches weißes Häkelkäppi. Einen langen Rauschebart hatte er sich wachsen lassen. Auch verheiratet war er inzwischen. Selbstredend ging seine junge Frau stets in verhaltenem Gang drei Schritte hinter ihm. Im Schwarzen Niquab, der nur einen schmalen Augenschlitz freiließ.
Er war regelrecht "mutiert"!
Wir unterhielten uns nur kurz; es überraschte mich nicht, dass er mir, dem "Kufr", gegenüber jetzt äußerst distanziert auftrat. Vorbei die Zeiten, in denen wir uns mal über Marvel-Comics austauschten.

Noch im Jahr 2011 hielt ich mich auf Einladung einer französischen Männerrechtsgruppe ein paar Tage in Paris auf. Dort traf ich nach 25 Jahren überraschend Lisa aus Gelsenkirchen wieder. Wir verlebten ein paar wunderschöne Tage in der Stadt der Liebe.
Als wir uns verabschiedeten, wussten wir beide, ohne dass wir ein Wort darüber verlieren mussten, dass es ein Abschied für immer war. Ich klinkte mich daher geistig vollkommen aus. Obwohl ich mein autistisches Dauer-Musikhören im Geiste für gewöhnlich hasste, griff ich in dieser Situation bewusst darauf zurück. So legte ich als "CD im Gehirn" das "Love Theme" aus den "Dornenvögeln" auf. Ich versetzte mich in meiner Phantasie in die lange Abschiedsszene zwischen Ralph und Meggie am Ende des dritten Teils, in welcher diese Melodie besonders ausgedehnt wiedergegeben wurde. Damit wurde das Ganze zu etwas Fiktivem, und man gewann den Abstand zu der Situation, der in dem Augenblick erforderlich war. Anders hätte ich das emotional gar nicht verkraftet. Ich wäre vor ihren Augen zusammengerutscht und hätte ihr damit ihre Situation noch schwerer gemacht, was ja auch nicht im Sinne des Erfinders gewesen wäre. Manchmal musst du im Leben so ein bisschen kontrolliert durchdrehen, um nicht mit voller Härte und Brutalität den Verstand zu verlieren.

Als ich 37 war, lernte ich Kusama kennen. Sie kam in meinen Computerkurs, war gelernte Bauzeichnerin, stammte aus Tschetschenien. Entfernt erinnerte sie mich ein bisschen an die spanisch-deutsche Sängerin Aurora Lacasa, die zu DDR-Zeiten etliche musikalische Erfolge hatte. Auch wenn es ganz und gar gegen meine Prinzipien verstieß, etwas mit einer Teilnehmerin anzufangen und die Tatsache, dass sie drei Jahre älter war, vielleicht etwas ungewöhnlich – bei ihr machte es einfach Spaß, sie in den Armen zu halten!
Es war an einem trüben Herbsttag Anfang September 2013, als wir das erste Mal privat miteinander ausgingen. Die Kronen der noch voll belaubten Bäume der Promenade ließen die Lichtstimmung des Tages sogar noch eine Spur trüber wirken. Dazu passte, dass von irgendeinem elektronischen Gerät im Hintergrund gerade Moll-Töne einer elektronischen Orgel zu hören waren.
Was sich dann allerdings einen Monat später abspielte, war zunächst einmal ein Faustschlag ins Gesicht. Und gleichzeitig hatte die Situation auch ihr Gutes, denn sie bewies nun endgültig: Ich war nicht verrückt. Ich bildete mir all diese merkwürdigen Ereignisse nicht bloß ein. Auch Hemingway hatte man lange Zeit für verrückt erklärt, als er behauptete, vom FBI überwacht zu werden. Bis dann eines Tages die entsprechenden Akten geöffnet wurden.
Ein schöner Herbsttag im Oktober. Mit ihrem Wagen waren wir irgendwohin ins Freie vor den Stadtgrenzen von Wien gefahren. Richtung Süden. Dort blieben wir dann im Auto sitzen und unterhielten uns.
Nach etlichem Herumdrucksen gestand sie mir schließlich, dass sie Geld dafür erhalte, regelmäßig Berichte über mich abzuliefern.
Nur noch irgendwie entfernt, wie durch eine Glasscheibe, bekam ich danach noch von ihr mit, dass man mich inzwischen als einen der führenden Köpfe der Maskulistenszene in Österreich einstufe und man daher interessiert sei, von meinen Plänen beziehungsweise denen meiner Maskulistenkollegen zu erfahren.
Nachdem sie mich jedoch näher kennengelernt habe, könne sie dieses Doppelleben einfach nicht mehr weiterführen. Sie habe gemerkt, dass ich gar nicht der fanatische Frauenhasser sei, als den man mich ihr geschildert habe.
Wooooooooooooooooooooow!
Das war erst einmal ein Schlag in die Magengrube!
Und – es hätte kein verdammter Drehbuchschreiber vom Fernsehen kitschiger gestalten können: Genau in dem Augenblick erklang im Autoradio "The Power Of Love" von "Frankie Goes to Hollywood". Ich hatte wirklich das Gefühl, als wollte mich irgendeine höhere Macht verhöhnen. Als wollte sie sich weiden an der Dummheit dieses Idioten, der genau in die Falle reingelatscht war, die man ihm ausgelegt hatte. Kommentarlos verließ ich das Auto. Ich muste erst einmal tief durchatmen. Auch draußen verfolgte mich "The Power Of Love".
Sie hatten sich wirklich sehr viel Mühe mit mir gemacht. Jeden nur denkbaren Typ Frau testeten sie an mir aus. Zuerst die Sexbombe, die Femme fatale, diese vermeintliche Reporterin. Ihre Vorstellung war so abgrundtief schlecht, dass ein Blinder mit dem Krückstock merkte, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Nicht mal ein extremer Autist wie ich fiel auf ihre Show herein.
Dann setzten sie mit "Weiolätt" das hilflose, kleine, exotische Asylantenmädchen auf mich an. Die Beschützer-Nummer. Hier hatte man das Ganze schon etwas subtiler eingefädelt. Aber dann vergeigte sie im letzten Moment alles, indem sie sich ihre Kleider vom Leib riss und vor Angst am ganzen Körper bebend darauf wartete, dass ich sie vergewaltigte.
Und schließlich kam Kusama ins Spiel. Damit hatte man mich nun endlich geknackt. Mit der konservativen, biederen, stillen, zurückhaltenden tschetschenischen Bauzeichnerin, böswillige Menschen mögen sie vielleicht als etwas spröde klassifizieren, hatte man ein Bingo erreicht. Sie hatte es geschafft mich zu verführen, ohne dass ich im Nachhinein auch nur im Ansatz erkennen konnte, an welcher Stelle ihr das gelungen war. Es war gruslig, Spieler in einem Spiel zu sein, dessen Regeln du nicht kanntest. Es war einfach nur gruslig.
Gerade noch rechtzeitig fiel es mir ein, ihr die entscheidende Frage zu stellen: "Wie sind sie eigentlich auf dich gekommen?"
Daraufhin erzählte sie mir eine Geschichte, die so verrückt war, dass ich einige Schwierigkeiten hatte, sie gleich beim ersten Mal zu verstehen.
Sie habe einen Sohn, begann sie.
Das stimmte. Von ihm hatte sie mir schon andeutungsweise berichtet.
Sie kam mit ihrem Sohn 2001, als er noch klein war, nach Österreich. Religion habe seitdem in ihrem Alltag nie eine große Rolle gespielt. Sie selber sei zwar Muslima, aber sie habe ihren Sohn niemals in diese Richtung erzogen.
Erst hier in Wien habe er sich im Umfeld einer Moschee, auf die auch schon der Verfassungsschutz ein Auge geworfen habe, radikalisiert. Es sei immer schlimmer mit ihm geworden.
An dieser Stelle nun kam eine Person aus meiner Vergangenheit ins Spiel: Akam!
Die beiden, also er und ihr Sohn, hätten sich dort kennen gelernt. Und im Lauf der Zeit in ihren Ansichten und Haltungen gegenseitig immer weiter hochgeschaukelt.
Schließlich fielen beide wegen ihrer gefährlichen Nähe zu islamistischen Scharfmachern in Wien den Behörden auf. Man begann sich mit ihnen näher zu beschäftigen.
Bei einer Einvernahme Akams nach seinem gesamten sozialen Umfeld erwähnte er auch mich. Und als sie meinen Namen hörten, klingelte es bei ein paar Beamten. Hier ergab sich für sie eine günstige Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Man begann ihn nun gezielt nach mir zu befragen. Was ich mache, woher ich komme. Und man suchte gezielt nach Schwachpunkten. So versuchte man auch, ihm zu entlocken, auf welchen Typ Frau ich stehe.
Akam erwies sich als sehr redselig, vermutlich um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Somit hatte man bei dem Frauenthema, verknüpft mit sonstigen demografischen und psychografischen Merkmalen meiner Person, innerhalb kurzer Zeit ein exaktes Profil erstellt. Und dieses passte genau auf Kusama!
All das habe sie über ihren Sohn wiedererfahren, der es wiederum von Akam erzählt bekam.
Man bestellte nun sie ein, konfrontierte sie mit dem gesamten islamistischen Werdegang ihres Sohnes. Sie sei völlig mit den Nerven fertig gewesen, habe während des ganzen Gespräches nur geweint.
Als sie am Tiefpunkt angelangt war, unterbreitete man ihr ein Angebot. Man sei bereit, die Eskapaden ihres Sohnes unter den Tisch fallen zu lassen. Wenn sie im Gegenzug dafür eine Beziehung mit mir beginne, um Informationen über mich zu sammeln.

Lisa Mönkemann verstarb 2013 im Alter von 37 Jahren in Thailand, wo sie die letzten Monate ihres Lebens in geistlicher Begleitung eines buddhistischen Predigers verbrachte.

2016 beendete ich, fünf Jahre nach meinem Erstlingswerk, dem "Männerhassbuch", meinen autobiografischen Roman, in dem ich all diese Entwicklungen festhielt, und veröffentlichte ihn ebenfalls im Internet.
Dies war jedoch noch lange nicht das Ende der Geschichte.


4. Das Imperium schlägt zurück –
Reaktionen auf die Romanveröffentlichung

2017. Seit Monaten ist nun auch der Roman, die Hintergrundgeschichte zur Entstehung des Männerhassbuches, im Internet.
Das Telefon in der Stube klingelte. Der Stimme nach ein junger Mann mit osteuropäischem Akzent meldete sich. Ich merkte mir den Firmennamen nicht so schnell, bildet mir aber ein, dass irgendwie "Consulting" mit darin vorkam.
Ich wunderte mich ein bisschen, da ich mich bei einer Firma mit einem solchen Namen DEFINITIV NICHT beworben hatte. Denn sonst reagieren viele Firmen ja nicht einmal auf Bewerbungen von einem. Umso überraschter ist man, wenn eine Firma, zu der man gar keinen Kontakt aufgenommen hat, einem von sich aus hinterher telefoniert.
Der Anrufer fragte: "Sie suchen Arbeit als Buchalter?"
"Als Buchhalter, richtig. Ich habe erst kürzlich eine Prüfung 'mit ausgezeichnetem Erfolg' absolviert!"
Dann fragte der Anrufer, ob ich auch bereit sei, etwas Anderes zu tun.
"Kommt darauf an, müsste ich mir erst einmal anhören."
Der Anrufer erzählte dann, seine Firma beschäftige sich mit Finanzen. Im Rahmen dessen mache sie "auch ein bisschen Buchhaltung", wie es wörtlich hieß.
Was ist steuerrechtlich unter "ein bisschen Buchhaltung" zu verstehen??? An dem Tag muss ich im Kurs gefehlt haben, als wir das durchgenommen haben.
Daneben beschäftige sich die Firma mit Dateneingabe und Kundenberatung, hieß es weiter.
Ich empfand den Gesprächsverlauf als unangenehm, da mir lediglich Schlagworte hingeworfen wurden, die alles und jedes heißen konnten. Irgendetwas zusammenreimen konnte ich mir mit diesen Brocken nicht.
Nun entspann sich ein ziemlich langwieriges Hin und Her, da ich immer wieder nachhakte, was genau diese Firma denn im Bereich Finanzen tue. Finanzen sei ein sehr weiter Begriff, warf ich ein. Ich wollte daher genau wissen, was das in dieser Firma ganz konkret in der Praxis bedeutete.
Es wurde ein Ping-Pong-Spiel, der Anrufer geriet immer mehr ins "Faseln". Längst schon erschien mir die Sache als hochgradig unseriös.
Schließlich formulierte ich meine Anfrage in einem ganz primitiven Kindergartendeutsch: "Für welche Wirtschaftszweige regeln Sie die Finanzen? Ich nenne mal Beispiele: die Baubranche, Landwirtschaftsbetriebe, die Lebensmittelindustrie …"
Der Anrufer wurde jetzt vollends nervös und stotterte: "Ähem, das ist jetzt nicht wichtig. Das kann ich Ihnen erklären, wenn wir uns persönlich treffen. Ich habe auch nicht viel Zeit. Ich muss mich noch um etliche andere Bewerber kümmern." Was auch sehr unglaubwürdig war, weshalb er dieses Telefonat ausgerechnet an einem Tag führt, an dem er angeblich fürchterlich unter Stress steht wegen zahlreicher Bewerbungsgespräche.
Ich dachte: Soll ich hier in irgendeine Falle gelockt werden?
"Na, für mich ist das schon wichtig. Ich möchte ja etwas über meinen zukünftigen Arbeitgeber erfahren, bevor ich irgendetwas unterschreibe."
Hier zog der Anrufer nun die Reißleine: "Also, Sie wollen nur Buchhaltung machen?" Danach verabschiedete er sich sehr hektisch und unsicher.

Ein ähnlicher Anruf ein paar Wochen später. Diesmal nahm Mutter den Hörer ab.
Eine Frau mit hörbar falschem osteuropäischem Akzent meldete sich. "Kann irch mal Christoph Altrockä sprächän?" Mutter legte sofort auf. Wie ich erfuhr, habe die Frau ziemlich schlecht gelaunt geklungen.
Auch hier die naheliegende Frage: Wieso verstellt jemand die Stimme, wenn er oder sie mich telefonisch kontaktiert? Doch wohl nur jemand, der etwas Hinterlistiges im Schilde führt.
Warum versuchte sie nicht, mich ein zweites Mal zu kontaktieren, wenn sie mir unbedingt etwas mitteilen wollte?
Es war gut, dass Mutter rangegangen war. Damit mir niemand unterstellen konnte, ich würde mir all diese Vorkommnisse nur einbilden.

Wieder ein mysteriöses Jobangebot. Diesmal per Brief und von einem Mann aus Mariahilf hier in Wien. Ich solle angeblich irgendwelche journalistischen Ermittlungen für ihn übernehmen. Der Brief kam in meine Unterlagen, ansonsten reagierte ich nicht darauf.

Ich war im Stubensessel eingeschlafen, das Klingeln des Telefons weckte mich. Ich hob den Hörer ab und meldete mich.
Eine Frauenstimme war zu hören. Es kam ein langer, wie auswendig gelernt oder heruntergelesen klingender Text. Ich merkte mir nur noch, dass die Firma angeblich aus der Schweiz sei und in Österreich eine Umfrage mache.
Erst im Nachhinein kam mir das komisch vor. Wieso beauftragte man eine Firma aus der Schweiz und nicht aus Österreich?
Außerdem gaben diese Umfrageinstitute niemals so ausführlich über ihre Standorte Auskunft. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass hier etwas vertuscht, von etwas abgelenkt werden sollte. Auch ich erzähle oftmals weitschweifig über Gott und die Welt, wenn ich nicht will, dass respekt- und anstandslose Menschen in einer heiklen, persönlichen Angelegenheit weiter bohren.
Wieder zurück zum Gespräch. Den Namen der Firma bekam ich so schnell nicht mit.
Die Stimme der Frau klang osteuropäisch oder exjugoslawisch, ob echt oder verstellt, ließ sich nicht sagen.
Im weiteren Verlauf des Redeschwalls bekam ich mit, dass man eine Umfrage zu den Themen Haut- und Bartpflege mache und dass man mich persönlich sprechen möchte.
Moment mal, woher wissen die, dass ich einen Vollbart habe? klingelte bei mir eine Alarmsirene.
Ab dieser Sekunde war mir klar, dass hier wieder einmal etwas ganz Anderes dahinter steckte. Ich begann mich über die Anruferin lustig zu machen. In völlig ernster, seriöser Tonlage sagte ich ihr: "Ich benutze keine Seife. Ich warte, bis man den Schmutz von der Haut abklopfen kann. Das ist viel einfacher und spart Wasser!"
Eine gespenstische Wandlung ging mit der Frau vor. Mit einem Male kam von ihr ein extrem bösartig, gehässig, zynisch, giftig, hämisch, keifend klingendes "Haaaaah-haaaaaaah-haaaaaah-haaaaaaah!" An dieser Stelle klang der Akzent der Frau außerdem sehr gekünstelt.
Sie schien plötzlich einen solch abgrundtiefen Hass auf mich zu haben …
Ich legte blitzartig auf. Das war mir zu unheimlich.
So verhielten sich doch nie und nimmer Callcenter-Angestellte …

Die seltsamen Anrufe nahmen kein Ende. In den folgenden Wochen und Monaten meldete sich dann ziemlich oft – nicht der dänische Koch aus der Muppet-Show –, sondern der italienische Koch. In diesen Fällen war immer ein Mann in der Leitung. Auch wieder merkwürdig: Er erzählte jedes Mal, dass er aus Italien anrufe. Er sei der Betreiber eines Kochstudios und fragte mich, ob ich Interesse an italienischen Rezepten habe. Und bei jedem Anruf erkundigte er sich dezidiert, ob er mich, Christoph Altrogge, am Apparat habe.
Nach fast jedem Anruf dachte ich: Wollen einige Leute erreichen, dass ich mal einen richtig spektakulären Ausraster bekomme, damit man endlich eine Handhabe hat, mich in die Klapsmühle zu verbringen, was man ja schon seit vielen Jahren versucht?

Dreiviertel Zwölf in der Nacht. Ich saß noch vor dem Fernseher.
Plötzlich klingelte es an der Haustür. Zuerst empfand ich es ein wenig unheimlich, dass um diese Zeit jemand klingelte. Dann aber dachte ich, dass vermutlich mal wieder jemand aus dem Haus seinen Schlüssel vergessen hatte und jetzt irgendwo klingelte, um hereingelassen zu werden. Das war schon oft der Fall gewesen.
Ich stand aus dem Sessel auf und bewegte mich in Richtung Wohnungstür. Dort nahm ich den Hörer von der Gegensprechanlage ab und fragte vorsichtshalber erst einmal, wer da war.
Jemand mit ausländischem Akzent antwortete, ich verstand nur ein paar einzelne Wörter. Das durfte jemand von den zahlreichen ausländischen Familien im Haus sein, die hier einzogen und auszogen wie in einem Taubenschlag. Ich betätigte daher den Öffnerknopf.
Ich saß vielleicht zehn Minuten im Sessel, als es wieder klingelte. Diesmal an der Wohnungstür. Soll das ein Witz sein? dachte ich.
Ich sprang auf, bewegte mich abermals in Richtung Tür. Diesmal mit einem ziemlich flauen Gefühl in der Magengegend. Ich war Horrorfilme im Fernsehen gewohnt, aber dass um diese Uhrzeit jemand bei mir an der Wohnungstür klingelte, empfand ich doch ein wenig gruslig.
"Wer ist da???" brüllte ich.
"Pizzeria Pico Bella."
Pizza??????? Um die Uhrzeit????????? Ich würde bis morgen Früh Samba tanzen! Das wäre so, als würde ich mir Methylamphetamin einwerfen.
"Ich habe keine Pizza bestellt!!! Verschwinden Sie!!!"
In fremdländischem Akzent war zu hören: "Doch, ich habe hier Pizza für Altrogge, XYZ-Straße 1234!"
Ich hatte keine Pizza bestellt. Und auch keiner meiner Bekannten würde mir einen derart bescheuerten Streich spielen. Keiner! Das hier war etwas Anderes. Der Typ wollte in die Wohnung rein …
Ich tat daher etwas, was ich für mich Den-Psychopathen-rauslassen nannte. Beziehungsweise meine Sergeant-Hartman-Nummer, nach dem psychopathischen Drill-Instructor aus "Full Metal Jacket". Ich konnte in Situationen, in denen es erforderlich war, im Kopf einen Schalter umlegen, der dafür sorgte, dass ich von einer Sekunde zur nächsten einen Menschen so abgrundtief hasserfüllt beschimpfen und anbrüllen konnte, dass jeder, der mich nicht kannte, mich für den unehelichen Sohn von Jack the Ripper und Hannibal Lector halten musste.
So war es auch jetzt wieder. Ich stieß die psychopathischsten und durchgeknalltesten Drohungen durch die geschlossene Tür. Solange, bis ich draußen keine Geräusch mehr vernahm.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und atmete erst einmal tief durch …
Die Schweine hier schrecken doch wirklich vor nichts zurück …
Was mich sehr wunderte: Irgendetwas Wertvolles zu Klauen gab es bei uns nicht. Alles, was wir an elektronischen Dingen besaßen, hatte nur noch Schrottwert, war schon um mehrere Generationen veraltet, das würden andere Leute nicht einmal geschenkt annehmen. Allein unser Festnetztelefon stammte noch aus dem Jahr 1992. Bargeld bewahrten wir in der Wohnung immer nur soviel auf, wie wir für die nächsten paar Einkäufe in den Supermärkten brauchten.
Am Tag darauf wollte ich der Sache auf den Grund gehen. Ich fuhr zur Pizzeria Pico Bella in der Kalvarienberggasse 41. Dort schilderte ich den Fall, dass man mir vergangene Nach irrtümlich eine Pizza liefern wollte, obwohl ich keine bestellt hatte.
Erstaunte Gesichter sahen mich an. Man habe in der vergangenen Nacht keinen Auftrag in der XYZ-Straße 1234 gehabt, versicherte man mir.
In diesem Augenblick fühlte ich mich wie Bruce Greenwood in "Nowhere Man – Ohne Identität!"
Gruslig auch: Die Pizzeria hat bloß bis 23:00 Uhr geöffnet. Küchenschluss ist in der Gastronomie meistens eine halbe Stunde vor Geschäftsschluss. Gehen wir mal davon aus, dass die Bestellung allerspätestens um 22:30 Uhr aufgegeben wurde. Gehen wir weiter von einer Zubereitungszeit von ungefähr 20 Minuten aus. Damit sind wir bei 22:50 Uhr.
Und eine Stunde später war der Bote da. Mal davon abgesehen, dass das Ding in dieser einen Stunde inzwischen eiskalt geworden sein muss: Du brauchst mit dem Auto keine volle Stunde von dieser Pizzeria bis zu uns! Da bin ich ja zu Fuß schneller! Wenn du über die nahezu vollständig autofreien nächtlichen Wiener Straßen losfährst, bist du nach einer Stunde schon irgendwo im tiefsten Niederösterreich!

Was zum Teufel lief hier? Wenn man mich einfach nur fertig machen wollte, warum hängte man mir dann keine Vergewaltigung an, oder lies mich von einem Schlägertrupp ordentlich vermöbeln? Weshalb gab sich vermutlich irgendjemand derart große Mühe, dafür zu sorgen, dass ich immer mehr an meinem Verstand zweifelte? Weshalb all diese grusligen, nicht nachvollziehbaren Spielchen? Wem war ich diese Mühe wert?

Abermals ein merkwürdiger Anruf. Eine angebliche Umfrage nach meinem Musikgeschmack. Da ich es langsam leid war, mich immer wieder verarschen zu lassen, brüllte ich bloß in das Telefon: "Auf Wiederhören!!!!!!"
Noch bevor ich auflegte, hörte ich, wie im Hintergrund eine Frau sagte: "Da müssen wir es noch mal versuchen."
Eigenartig, oder?

Da wieder mal ein Trainervertrag mit einem Erwachsenenbildungsinstitut ausgelaufen war, musste ich wieder zum AMS.
Meine Beraterin gibt mir ein Stellenangebot von einem Architekturbüro mit. Sie schärft mir ein, dass ich mich dort unbedingt persönlich bewerben soll.
(Jobvermittlungsvorschlag kam über das AMS Huttengasse, damalige Beraterin: Frau E. B..)
Ich fahre mit der U-Bahn zu der Firma. Sie liegt im Erdgeschoss eines Wohnhauses im 15. Bezirk, Nähe Station Johnstraße.
Dort wusste man gar nicht, dass man einen zusätzlichen Mitarbeiter suchte!!!!! Die starrten mich an wie einen Außerirdischen!!!!! Die waren vollkommen überrumpelt von meinem Erscheinen!
Die Kommunikation lief durchaus korrekt ab, aber ich konnte es überdeutlich von ihren Gesichtern ablesen, dass hinter ihrer Stirn nur eine große Frage waberte, als ich ihnen den ausgedruckten Vermittlungsvorschlag vorzeigte: Was genau will der Typ eigentlich von uns?
Und es handelte sich um ein ziemlich kleines Büro. Während meiner Anwesenheit waren gerade mal drei Personen da; es machte nicht den Eindruck, dass da wesentlich mehr Mann dazugehören würden.
Dass ich im falschen Büro gelandet war, konnte man ausschließen, da es zum einen in diesem Gebäude nur eine einzige Firmenadresse gab und zum anderen sie ja den Wisch unterschrieben, wie es die Lady vom Arbeitsamt verlangt hatte.
Wieder dieselbe Frage: Wer hatte einen solchen Spaß daran, mich immer wieder wie einen kompletten Vollidioten aussehen zu lassen?

Ein Anruf von einem angeblichen Marktforschungsinstitut. Der Apothekenverband mache eine Umfrage zu verschiedenen Gesundheitsthemen.
Hinterher wollte ich es ganz genau wissen. Ich schickte eine gleichlautende Mail an den österreichischen und den deutschen Apothekenverband. Schilderte darin den Inhalt des Telefonats; fragte, ob die Umfrage echt war, äußerte konkret den Verdacht auf Trickbetrug.
BEIDE Apothekenverbände versicherten mir, dass es eine solche Umfrage gegenwärtig in ihrem Bereich nicht gäbe!
Merkwürdig …

Das Telefon klingelte. Eine Frau mit slawischem Akzent meldete sich auf Deutsch. Gleich als Erstes erzählte sie mir, dass sie aus Conneticut anrufe.
Ich verstand erst einmal nur Bahnhof und ließ sie weiterreden.
Sie fragte mich dann nach meiner Teilnahme an einem bestimmten Meeting. Das Meeting trug eine längere englische Bezeichnung, ich konnte sie mir so schnell nicht merken.
"Sagt mir jetzt überhaupt nichts …", kam es aus mir heraus.
"Na, sind Sie denn kein Mitglied der 'Näschjenäl Ähjtschensie'?
"Ich ein NSA-Mitglied?" An dieser Stelle musste ich schallend loslachen.
Die Frau am anderen Ende der Leitung wurde plötzlich sehr aufgeregt, begann zu haspeln und beendete dann das Telefonat.
So oft ich alle denkbaren Gründe für diese merkwürdigen Ereignisse durchging, ich kam immer wieder zu dem einen Schluss: Irgendwer musste mich sehr, sehr, sehr hassen und versuchte, mich durch fiese Spielchen ganz langsam psychisch zu erodieren. Eine fließend Deutsch sprechende Frau mit slawischem Akzent ruft mich aus Conneticut, einem US-Bundesstaat, von dem ich gerade mal wusste, dass er existierte, an, ob ich am Treffen eines US-Geheimdienstes teilnehme? Hat man jemals von einer so schwachsinnigen Geschichte gehört?

Freitagmittag. Ich kam aus dem Kursinstitut heim.
Vor unserem Haustor herrschte hektische Betriebsamkeit. Ein Kastenwagen mit geöffneten Hecktüren hatte direkt davor geparkt. Überall auf dem Bürgersteig waren Möbel abgestellt, teils im Stück, teils in ihre Einzelteile zerlegt. Die Leute aus der Wohnung genau über uns schienen auszuziehen, irgendwelche Asylanten, ich hatte sie nie persönlich kennen gelernt.
Sie machten auf mich einen ziemlich gehetzten Eindruck, als könnten sie nicht schnell genug von diesem Ort fortkommen.
Aber schon als ich die kleine Innentreppe hinaufstieg, war ich mit meinen Gedanken bereits wieder ganz woanders.
Ich arbeitete bis in die Nachtstunden hinein an meinem Computer, erledigte verschiedene Dinge. Irgendwann stand ich auf, ging in die Küche, um eine Flasche Schärdinger Sauermilch aus dem Kühlschrank zu holen.
Ich hatte das Küchenlicht noch nicht angeschaltet, als ich Wasser rieseln hörte. Wird wohl der Wasserhahn laufen.
Doch falsch gedacht. Als das Licht brannte, sah ich die Bescherung. Wasser rieselte von der Decke!
Ich verfiel erst einmal in tiefes Grübeln, was nun zu tun sei, vor allem um diese Uhrzeit. Am Tag hätte ich die Hausverwaltung angerufen, aber jetzt?
Irgendetwas musste auf jeden Fall geschehen, bloß was?
Irgendwann weckte ich Mutter in ihrem Schlafzimmer, und wir kamen recht bald überein, die Feuerwehr zu verständigen.
Zuerst riefen wir die Feuerwehr hier im Bezirk an, wo man uns bat, den offiziellen Notruf zu wählen.
Ziemlich genau um Mitternacht trafen dann an die fünf, sechs Feuerwehrmänner bei uns ein.
Sie sahen zunächst kurz den Schaden bei uns in der Küche und an der Außenseite der Küchenwand im Flur an.
Wir sagten ihnen auch, dass das Wasser aus der Wohnung kam, die heute Mittag geräumt wurde.
Die Männer gingen daraufhin hoch, um zu ermitteln, ob vielleicht noch jemand von den Mietern anzutreffen ist oder sich bei den Nachbarn ein Schlüssel organisieren lässt.
Keiner der beiden Pläne war von Erfolg gekrönt.
Nun teilte man uns mit, dass man sich von außen gewaltsam Zutritt zu der Wohnung verschaffen werde, durch Aushebeln des Fensters. Das Auto mit Drehleiter und angeschaltetem Blaulicht war schon die ganze Zeit über an der Seite unseres Hauses geparkt.
Bald darauf sah ich, wie sich die Drehleiter in Bewegung setzte.
Nach der Beendigung des Einsatzes erfuhren wir die Details. Die Wasserabflüsse in der Wohnung waren vollkommen verstopft und die halbe Wohnung unter Wasser gesetzt. Totalschaden.
Was für einen Sinn machte es, am Tage des Auszuges eine so verrückte Aktion zu setzen?
In mir spukte ein Gedanke herum. War das alles nur eine Anhäufung von Zufällen? Oder handelte es sich hier um eine gezielte psychologische Zermürbungstaktik, für die es auch den Namen Gaslighting gab?
Irgendwelchen Entmietungsterror konnte man definitiv ausschließen. Mit der Hausverwaltung bestand ein sehr gutes Einvernehmen, erst kürzlich hatten wir den Mietvertrag verlängert. Falls es eine gezielte Aktion war, dann kam sie jedenfalls nicht von da.
Der Einsatz ist irgendwo bei der Wiener Berufsfeuerwehr aktenkundig, ich habe das mitternächtliche Intermezzo also NICHT halluziniert!!! (Wenn einem schon einmal massivst die Zwangspsychiatrierungs-Keule drohte, kommt irgendwann mal ein Punkt, ab dem man beginnt, sich rechtlich abzusichern, bevor man jemandem einen "Guten Morgen!" wünscht.)
Als wir ein paar Tage später Mietern, die schon ziemlich lange im Haus wohnten, einer davon hatte mal einen kleinen Handwerksbetrieb (!), von der Sache erzählten, konnten sie sich überhaupt nicht vorstellen, wie so etwas technisch möglich war.
Merkwürdig …

Ich saß am Stubentisch, als das Telefon zweimal klingelte.
Ich nahm den Hörer ab.
Zuerst war Ruhe.
Dann meldete sich der Stimme nach eine junge Frau mit osteuropäischem Akzent als jemand von den "EZM Sozialstudien".
Ich ließ mir den Namen genau buchstabieren, hakte mehrmals nach.
Die Frau schien das stark zu verunsichern.
Nachdem ich mir den Namen der Firma notiert hatte, wollte ich genervt sagen: "Und jetzt werden Sie mir bestimmt drei Fragen zum Thema Gesundheit stellen", weil es merkwürdige Anrufe dieser Art in den vergangenen Wochen schon oft gab.
Ich kam jedoch bloß bis "Und jetzt werden sie bestimmt …", da hörte ich schon das Freizeichen. Die Anruferin hatte das Gespräch selbst beendet, was für die "Schmeißfliegen" von solchen Instituten ein sehr untypisches Verhalten war.
Ich wartete fünf Minuten, ob sie sich noch einmal rührten. Ich wartete zehn Minuten. Nichts.
Diese Scheiß-Call-Center-Wichser, die sich sonst wie Kletten verhielten, beendeten von sich aus einen Anruf? Das hatte es ja noch nie gegeben.
Lief hier die gottverdammte "Truman-Show", bei der ich gerade unbeabsichtigt einen Blick hinter die Kulissen geworfen hatte?
Hinterher stellte ich fest, dass die Firma mit unterdrückter Rufnummer arbeitete. Auch im Internet konnte ich über sie nichts finden.

Pizzalieferungen, die niemand in Auftrag gegeben haben will, Bewerbungen für Arbeitsstellen, die es nicht gab, Call-Center, die scheinbar nicht existierten – was zur Hölle lief hier?

Das Telefon läutete.
Mein Cousin Torsten aus Halle/Saale war dran. Wir hatten schon längere Zeit nicht mehr miteinander telefoniert.
Extremst aufgeregt und hektisch wirkte er.
Er sei für einen Tag in Wien und fragte mich, ob er mich mal persönlich sehen könne.
Das Gespräch zog sich eine ganze Weile hin. Er faselte alles mögliche wirre, konfuse Zeug, aus dem ich überhaupt nicht schlau wurde. Schließlich beendete er das Gespräch fast schon verzweifelt klingend.
Wie vom Donner gerührt sank ich in meinen Sessel.
Wer hatte ihn so sehr unter Druck gesetzt? Was sollte mit diesem Treffen bezweckt werden?
Ein ominöser Finanzdienstleister, bei dem ich mich nie für einen Job beworben habe, will mich zu einem Vorstellungsgespräch locken, mein eigener Cousin plant Ähnliches …
Was zum Teufel ging hier vor?
Das Ganze wuchs sich langsam zu einem Fiebertraum aus …

Was auch sehr, sehr merkwürdig war in dieser Zeit: Ich konnte mich plötzlich vor Verehrerinnen nicht mehr retten. Und wenn Frauen scheinbar ohne ersichtlichen Grund nett zu dir sind, dann gehen bei einem Mann mit Lebenserfahrung nun einmal die Alarmglocken an.

War auf einem Volksfest im 23. Bezirk. Bei einem Stand hatte ich mir einen Becher Bier geholt und war damit in ein Bierzelt gegangen. Ganz hinten standen Kopf und Kopf noch zwei Tische frei. Ich wählte diesen Platz, weil ich ein bisschen meine Ruhe vor dem volkstümlichen Humtata auf der Bühne haben wollte.
Ich sitze eine unbestimmte Zeit da, als ich plötzlich direkt neben mir etwas sich bewegen sah. Eine Frau setzte sich dicht an dicht neben mich hin. "Ich setze mich mal neben Sie hin", teilte sie mir mit. Sie fragte nicht, ob noch frei ist, sie schuf gleich vollendete Tatsachen. Etwas überrumpelt sagte ich: "Ja, ja, ist noch alles frei." Tatsächlich saß an den ganzen Tischen außer mir nach wie vor niemand. Aber trotzdem setzte sie mich hauteng neben mich.
"Wissen Sie, warum ich mich neben Sie gesetzt habe? Weil Sie hier gar so traurig dreinschauten." Menschenkenntnis wie ein Russenpanzer. Die vielgepriesene weibliche Empathie. Dass ich nicht lache. Ich fühlte mich nämlich ganz und gar nicht traurig in diesen Augenblicken. Eigentlich hatte ich an überhaupt nichts gedacht, an gar nichts. Dafür aber mein vordringlicher Gedanke während des Ereignisses: Sollte das etwa eine Anmache sein????? Wenn ja, dann sollte sie noch einmal zum Zelt hereinkommen und noch einmal bei Null anfangen. Dann aber mit einem Spruch wie: "Sagen Sie mal, kann es sein, dass Sie ein Verwandter von George Clooney sind?"
Uuuuuund dann begann sie mich vollzutexten. Ob ich jedes Jahr hier herkomme? Wie mir die Musik gefällt? Ich habe meistens nur mit "Hm" und "Ja" geantwortet. Irgendwann gab sie das Rennen auf.

Ein Volksfest im benachbarten 17. Bezirk. Stehe mit einem Glas Bier an einem Stehtisch beim Bierausschank. Gleich daneben die Bühne mit dem Show-Programm. Etliche Leute sind am Tanzen.
Plötzlich erscheint vor mir eine junge Frau. Vielleicht so um die 30 Jahre, blond, von schlanker Gestalt. Von den Gesichtszügen her kam sie mir osteuropäisch oder jugoslawisch vor.
Und obwohl auf der Bühne gerade etwas Rock'n Roll-Ähnliches lief, tanzte sie plötzlich Limbo. In dieser typischen Limbo-Haltung, also den Oberkörper so weit wie nur möglich nach hinten gebogen, stand sie vor mir. In dieser Stellung machte sie kreisende Beckenbewegungen. Dabei sah sie mir ganz fest in die Augen.
Die hat wohl zuviel Strom auf ihrer Hmhm, dachte ich.
Da ich ja bekanntermaßen ein frauenfeindliches Arschloch bin, macht es mir Freude, eine Frau, die mich sexuell belästigt, am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Sie durch zur Schau getragenes Desinteresse meinerseits immer weiter in die Verzweiflung zu treiben, sodass sie überhaupt nicht weiß, woran sie bei mir ist. Ich stand daher völlig regungslos da, wie beim Spiel Wer-schafft-es-dem-Anderen-länger-in-die-Augen-zu-sehen-ohne-loszulachen. Ich dachte innerlich amüsiert: Immer strampele dich nur ab, du dumme Kuh. Ich hatte mich in einem imaginären Fernsehsessel zurückgelehnt und genoss die Show, die sich da vor mir abspielte.
Irgendwann gab sie ihre Versuche auf und verschwand.
Hätte ICH das umgekehrt auf der Tanzfläche mit einer Frau gemacht, hätte mit Sicherheit irgendjemand die auf dem Fest anwesenden uniformierten Polizisten verständigt, welche zumindest meine Personalien aufgenommen hätten.
Auf demselben Fest. Ich saß schon länger an einem Heurigentisch und trank die Maß Bier, die ich mir vom Stand geholt hatte. Parallel dazu las ich in dem Buch weiter, das ich gerade las. Die "Stralsunder Geschichten" von Heinrich Alexander Stoll.
Plötzlich sprach mich ein kleiner Junge an. Ungefähr Einschulungsalter. Ich kannte ihn nicht, hatte ihn ebenfalls nie zuvor gesehen. Er fragte mir über alles Mögliche Löcher in den Bauch. Unter anderem interessierte er sich sehr für mein Handy. Er sprach Wiener Akzent und wirkte auch von seiner äußeren Erscheinung her typisch mitteleuropäisch, sodass man irgendwelche Balkan-Trickbetrügerbanden ausschließen konnte.
Ich versuchte, möglichst normal auf ihn einzugehen. Und immer zwischendurch wanderten zwei bange Augen hin und her, die zu erkunden versuchten, wie viele feindselige Blicke wohl schon auf den geilen alten Sack gerichtet waren, der sich da an ein kleines Kind heran machte.
Was mich stutzig machte, war diese extreme Zielgerichtetheit, mit der der Kleine zu Werke ging. Als ob ihn jemand geschickt hätte. Er kannte mir gegenüber überhaupt keine Hemmungen, als ob wir schon sehr lange miteinander vertraut wären. Zuerst fragte er mich irgendetwas nach der Tontechnik der Bühne, die in unmittelbarer Nähe meines Tisches stationiert war. Dann interessierte er sich ganz genau für mein Handy. Er wollte unbedingt mit mir ins Gespräch kommen.
Ganz spontan, ohne groß nachzudenken, rein vom gesunden Menschenverstand her fühlte sich das für mich an wie: Geh mal zu dem Onkel hin und frag ihn das und das. Und nachdem die erste Kontaktaufnahme nicht geklappt hatte, weil ich zwar schon um Höflichkeit bemüht, aber doch sehr verhalten reagiert habe, kam er zehn Minuten später mit einer neuen, total gekünstelt wirkenden Frage an. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, es war kein typisches Verhalten von Kindern. Und wenn dir ganz spontan etwas komisch vorkommt, ohne dass du groß darüber grübelst, liegst du oftmals auch richtig.
Litte man unter Verfolgungswahn, könnte man das Ganze so auslegen: Die Vergewaltigungsnummer hat nicht geklappt. Also tritt Plan B in Kraft und wir versuchen es über die Pädo-Schiene.
Ich traue der Emanzen-Bagage in dieser Stadt inzwischen sogar zu, dass sie kleine Kinder für ihre Zwecke einspannt. Ich traue denen inzwischen alles zu. Wer mir massenhaft Bilder von nackten, kleinen Mädchen auf den Webspace schmuggelt, der schreckt auch nicht davor zurück, reale Kinder für Intrigen zu missbrauchen.
Mann, atmete ich auf, als ich mich auf leisen Sohlen von dem Fest davon schlich. Wie sagte irgendein deutscher Journalist mal: "Es ist ja möglich, dass ich unter Verfolgungswahn leide. Aber sie sind trotzdem hinter mir her!"

Ein Volksfest im 22. Bezirk. Ich bewege mich langsamen Schrittes die Feststraße entlang, halte Ausschau, was es an den Ständen so gibt. Plötzlich kommt aus der Masse ein mir unbekannter Mann auf mich zu. Ohne sich vorzustellen, sprach er mich sofort an: "Herr Altrogge, bisher waren Sie für uns nur ein ganz kleiner Pisser. Aber langsam werden Sie lästig!" Er sprach Hochdeutsch mit leichtem Wiener Akzent. Danach verschwand er wieder in der Masse. Ich sah ihn nicht wieder.
Zuerst hatte ich ein mulmiges Gefühl. Aber dann habe ich es als Kompliment aufgefasst.

Komischerweise immer die Volksfeste. Auf dem Hinweg zu einem solchen spricht mich eine unbekannte Frau an, wie man dort hingelangt. Auch sie tat gleich sehr vertraulich. Das ganze letzte Stück der Route begleitete sie mich, als wären wir Bekannte. Ich kriege einen Riesenbammel, welchen ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen. Ich dachte nur: Was für eine Show läuft hier?????
Und gleichzeitig dachte ich: Wie ist die denn drauf? In einer Millionenstadt mit einem fremden Mann, den man eben mal so an der Straßenbahnhaltestelle kennen gelernt hat (War sie eigentlich mit im Zug?), einfach irgendwo hin mitgehen? Hat dir deine Mama denn nicht erklärt, dass es so böse Onkels gibt, die kleine Mädchen wie dich bei der nächsten Gelegenheit hinters Gebüsch zerren, um dann komische Sachen mit ihnen zu machen?
Bei der Ankunft auf dem Festgelände nutzte ich die erste Gelegenheit, um in den Gästemassen unterzutauchen.

Wieder ein Volksfest. Bin zufällig mit einer aus Wien stammenden Nachbarin da. Nichts Ernstes, ich helfe ihr bloß immer mit den Einkäufen beim Heimfahren mit meinem Trolley, da sie kein Auto hat. Sonst läuft da nichts.
Sie sagte plötzlich: "Na, die Serviererin zieht ja eine ganz schöne Show ab!"
Ich, völlig von den Socken: "Was? Welche Serviererin?"
"Na, die Blonde. Die produziert sich vor dir schon die ganze Zeit vollkommen theatralisch!"
Ich hatte das Gefühl, dass wir uns auf zwei verschiedenen Veranstaltungen befanden, denn mir war absolut nichts dergleichen aufgefallen. So teilte ich das auch meiner Nachbarin mit.
Sie: "Du hast wirklich nur Augen für deine ostdeutschen Eisenbahnen!"
Ich dachte nur: Aus guten Gründen! Aus guten Gründen!

Bin beim Hofer einkaufen. Über zwei Ladentischreihen strahlt mich plötzlich ganz begeistert eine Inderin an.
Ich dachte: Oh, Gott! Das wird jetzt wieder so eine peinliche Situation, bei der jemand aus deiner Vergangenheit auftaucht, mit dem du beruflich irgendwann einmal kurz zu tun hattest, der jedoch inzwischen völlig aus deinem Gedächtnis entschwunden ist. Als Journalist und Computertrainer lernt du im Laufe von Jahren …zig Tausende von Personen kennen! Da ist es ganz natürlich, dass dir ab und zu jemand durch den Rost fällt.
Doch es sollte anders kommen. Die Frau teilte mir mit, dass sie gerade erst einen Kurs bei uns im Institut absolviert hatte und mich von daher kannte.
??? Ich schwor vor mir selbst Stein und Bein, dass ich diese Frau noch niemals gesehen hatte!
Und eine INDERIN wäre mir vom Optischen her auf jeden Fall aufgefallen, da ich für diesen Typ Frau einen kleinen Fetisch habe! Indischen Frauen glotze ich auf der Straße hinterher, dass mir bald die Augen raus fallen! Einmal hatte bei einer stark negroiden Südinderin in der Wiener U-Bahn in meiner unmittelbaren Nähe die Hautfarbe von zartbitterschokoladenfarben auf Terrakotta gewechselt, nachdem, ähem, unsere Blicke sich wohl für ein, zwei Sekunden per Zufall gekreuzt hatten. Rein zufällig, versteht sich.
Aber ich hatte diese Frau bei uns im Kursinstitut nicht bemerkt! Was im krassen Gegensatz dazu stand, dass sie mich mit einer stürmischen Begeisterung begrüßte, als wären wir zusammen zur Schule gegangen und hätten uns seit Jahrzehnten nicht gesehen! Sie will mich zwar gesehen haben, und das anscheinend so oft, dass sich mein Äußeres ihr unauslöschlich eingeprägt hatte, aber ich konnte mich nicht erinnern, sie auch nur ein einziges Mal gesehen zu haben! – War das schon beginnende Demenz?
Ohne in Verschwörungstheorien verfallen zu wollen: Irgendetwas stimmte hier nicht! Irgendetwas stimmte hier einfach nicht!
Früher einmal, wenn mich da eine INDERIN, eine INDERIN, angemacht hätte, das wäre für mich die Wiederkunft des Messias auf Speed gewesen!!!!!
Unter den heutigen Umständen jedoch sprangen da nur noch sämtliche Systeme im Gehirn auf DEFCON 1 hoch, und im Kopf zog die eine einzige, große Frage ihre kreisförmigen Bahnen: Was will das verdammte Miststück von mir?
Auch hinterher arbeitete genau dieser Punkt noch lange in mir. Wieso präsentiert sich mir ausgerechnet eine Inderin, die zudem noch optisch genau in mein Beuteschema passt, auf dem Silbertablett? Zufall oder nicht: Im Roman hatte ich an einer Stelle ziemlich weit vorn von diesem Inderinnen-Fetisch berichtet. Es genügte theoretisch schon, wenn nur eine einzige Person an der falschen Stelle das gelesen hat. Wie wäre das eigentlich weitergegangen, wenn ich mich auf sie eingelassen hätte? Hätte sie mir dann splitterfaserpudelnackt mein Lieblingsessen, Weißkrautrouladen mit Hackfleischfüllung und Rote Grütze mit Vanillesoße, serviert, bevor wir zur Sache kamen? Um dann am nächsten Tag zur Polizei zu rennen: Heul, heul, heul, der Scheißkerl hat mich vergewaltigt!
Was mich zusätzlich noch irritierte: Indische Frauen waren in aller Regel ziemlich stoisch und unzugänglich. Die ließen nicht durchblicken, was sie gerade fühlten und dachten. Ich wusste es auch von zahlreichen "Feldversuchen" auf der Straße. Inderinnen konnte man theoretisch Stunden lang anstarren – die zuckten nicht mal mit der Wimper!!! Die konnte man einfach nicht aus der Ruhe bringen! Eine Inderin, die einem Kerl geradezu um den Hals fiel, wirkte daher äußerst untypisch, fiel regelrecht aus dem Rahmen.
Ich war von dem "Überfall" irgendwie überfordert, wusste einfach nicht so Recht, was ich mit der Frau anfangen sollte. Sie war ja schließlich eine vollkommen Fremde für mich. Und genau das merkte sie wohl auch nach einer bestimmten Zeit.
Ich sah diese Frau niemals wieder, was zumindest, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken, auffallend war. (Nachdem man schon einmal kurz vor der Zwangspsychiatrierung stand, muss man ja auf jedes Wort Acht geben, dass einem eventuell im Munde umgedreht werden kann.)

Eine neue Kollegin hat bei uns im Institut angefangen, eine junge Tschechin, vielleicht Mitte Zwanzig.
Von Anfang an zwinkerte und winkte sie mir jedes Mal zu, wenn wir uns begegneten.
Sie drängte sich richtig danach, zusammen mit mir mit der U-Bahn nach Hause zu fahren.
Sie hämmerte mir ins Gehirn ein, dass sich ihr Schreibtisch in einem Büro im fünften Stock befände.
Ich wollte nicht unhöflich zu ihr sein, aber irgendwie ging sie mir doch gewaltig auf die Nerven.
Eines Tages drängte sich mal ein Satz in mein Gehirn: Gewisse feministische Wiener Genossinnen hetzen mir doch wirklich immer schärfere Sexbomben auf den Hals, um mich endlich zu Fall zu bringen! Eines Tages kommt mir wahrscheinlich sogar mit der Post ein Puff-Gutschein für fünf Mal Freificken ins Haus geflattert!
Je mehr ich mich selbst dazu zwang, Gegenbeweise für meine These, dass da ein gewaltiges Gaslighting-Spiel am Kochen war, zu finden, umso mehr fand ich meinen Verfolgungswahn beängstigenderweise bestätigt. Ich konnte die Dinge einfach drehen und wenden, wie ich wollte – die Ungereimtheiten blieben in Stein gemeißelt! Und vor allem: Zwei der Damen hatten es ja bereits zugegeben, dass sie auf mich angesetzt wurden!!!!!!!!!!!!!!!
Irgendwann wurde sie dann an eine andere Filiale unserer Einrichtung versetzt. Ich war erleichtert.

Ich weiß schon, die Emanzen würden mir in Bezug auf die Frauengeschichten gleich wieder paranoiden Verfolgungswahn attestieren. Aber bei einer derart massiven Häufung solch merkwürdiger Ereignisse machst du dir nun mal ganz automatisch deine Gedanken. Es kommt dir einfach vom Gefühl her sehr, sehr seltsam vor, ohne dass du sofort konkret etwas hineingeheimnist. Die ganz große Gretchenfrage ist halt: Kann man eine derart intensive Häufung offenkundiger Ungereimtheiten im Alltag noch als eine Ansammlung nichtkontextueller Zufälle ansehen, oder steckt da irgendeine Art von Muster, von System dahinter? Dass mit dem Wissen um meinen Autismus die Strategie dahinter lautet: Gucken wir mal, wie viele verrückte Spielchen wir mit ihm treiben müssen, bis er zusammenklappt.
Und das alles noch vor dem Hintergrund, dass eine Ministerin mich zu Österreichs Andreas Baader erklärt hat. Respektive ein Think Tank der SPD in Deutschland mich für so gefährlich hält, um meine Aussagen wissenschaftlich zu analysieren. Dass man mir Bilder von nackten, kleinen Mädchen in den Webspace geschmuggelt hat. Dass ich von einem Tag zum anderen im wahrsten Sinne des Wortes bei Nacht und Nebel das Land verlassen musste, auf eine Weise die an Hollywood-Thriller erinnert. Dass eine Teilnehmerin meiner Computerkurse sich vor mir die Klamotten vom Leib riss, um mit mir in die Kiste zu hüpfen, wofür sie nach ihren eigenen Worten von Männern bezahlt wurde, die sich als österreichische Regierungsbeamte ausgaben. Dass man mir in einem Kursinstitut, in das ich vom AMS geschickt wurde, Zeugen präsentierte, die angeblich bereit waren, vor Gericht zu schwören, dass ich Mitglied in einem Kinderporno-Ring sei und man von dort aus bereits erste Schritte zu einer Zwangspsychiatrierung setzte. Für all das konnte ich Orte, Zeitpunkte und Namen nennen. Wo willst du unter diesen Umständen noch eine halbwegs vernünftige Grenze hin zum Verfolgungswahn ziehen? Da lebst du schon irgendwie ständig mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass dich eines Tages ein paar Zivilfahnder abpassen und zu dir sagen: "Österreichische Volkspolizei. Bürger, wir bitten Sie, uns zur Klärung eines Sachverhaltes auf die Dienststelle zu begleiten!"
Und dann verschwindest du für drei Jahre in irgendeinem österreichischen Bautzen II.

5. Das Licht ist zu weiß

Etwas vollkommen Anderes, hatte mit dieser Thematik überhaupt nichts zu tun. In den Jahren 2011 bis 2013 erschien mir im Freien sehr oft das Sonnenlicht als extrem weiß und grell. Und gleichzeitig kam es mir so vor, als hätte die Sonne während meiner Kindheit in einem satten Gelb geschienen.
Okay, auf dem Mond erscheint die Sonne weiß, weil es dort keine Atmosphäre gibt. Aber hier auf der Erde?
Zunächst bekommt man da schon ein bisschen Bammel, dass eventuell gesundheitlich etwas Ernsteres dahinter stecken könnte. Vor allem wenn man schon einmal einen Schlaganfall gehabt hat.
Ich hatte mir das dann erst einmal mit Erschöpfungszuständen erklärt. Da spielt einem die Wahrnehmung schon mal einen Streich, dachte ich.
Dann aber begann ich doch im Internet nachzugrasen.
Ich stieß auf Meldungen auf diversen Esoteriker-Websites:

"Hallo,
mir wird es immer deutlicher, dass die Sonne extrem grell geworden ist, ich hab das so in meiner Kindheit nicht in Erinnerung.
Heute stört mich die Sonne, weil es einfach heftig hell bzw. grell ist.
Was meint ihr, Einbildung?"

Und:

"Was die Medien Ihnen nicht erzählen: Warum ist die Sonne plötzlich so grell und weiß? War sie nicht mal eher 'gelb'?"

Und:

"Yo,
findet ihr das Sonnenlicht auch so grell? Es ist vielleicht etwas unsinnig hier zu fragen, weil ihr nicht dasselbe Wetter erlebt habt wie ich, aber vielleicht ja doch.
Also, es gab hier in der letzten Woche das erste Mal echten hellen Sonnenschein. Bisher war der Himmel immer grau betrübt.
Ich bin auch rausgegangen tagsüber, Besorgungen mit dem Fahrrad erledigt usw.
Aber seitdem die Sonne scheint, ist es nicht auszuhalten. Ich war früher ein Sonnenkind. Letzten Sommer gab's noch Urlaub in Italien bei brütender Hitze etc...

Jedenfalls wo die Sonne jetzt raus kam hier, konnte ich das kaum ertragen. Ich würde das Licht als grell und gleißend beschreiben (...)

Oder ist das normal? Und was sagt ihr dazu?"

Sowie:

"Hatte dennoch das Gefühl, dass es im Moment heller ist als in der Vergangenheit."





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